Rezension über:

Laurent Murawiec: The Mind of Jihad, Cambridge: Cambridge University Press 2008, 352 S., ISBN 978-0-521-73063-1, GBP 14,99
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Rezension von:
Wolfgang G. Schwanitz
Browns Mills, NJ
Redaktionelle Betreuung:
Stephan Conermann
Empfohlene Zitierweise:
Wolfgang G. Schwanitz: Rezension von: Laurent Murawiec: The Mind of Jihad, Cambridge: Cambridge University Press 2008, in: sehepunkte 9 (2009), Nr. 1 [15.01.2009], URL: https://www.sehepunkte.de
/2009/01/15497.html


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Diese Rezension ist Teil des Forums "Islamische Welten" in Ausgabe 9 (2009), Nr. 1

Laurent Murawiec: The Mind of Jihad

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Blutige Angriffe auf öffentliche Zentren Mumbais schockierten die Welt. Zwei Dutzend Terroristen und ihre lokalen Helfer der dahinter vermuteten Army of the Righteous (Urdu Lashkar i-Taiba, Arabisch Jama'at Askar Tayyiba), haben nahezu zehnmal so viele Leute getötet und etwa doppelt so viele verletzt. Beobachter wähnten Ende November 2008 in diesem Terrorverein das wahre Gesicht des Jihads: die Medien durch so viel wie möglich ermordete Ungläubige zu okkupieren. Also dieses Jihad-Buch könnte aktueller nicht sein.

Der Geschichtsphilosoph Laurent Murawiec hat die Entfaltung des Jihads seit dem 20. Jahrhundert ausgelotet. Die "irreguläre Art des Krieges gegen den Westen" gleiche einer neuen Sphinx: mysteriös, unergründlich und schicksalshaft. Herkömmliche Analysen, so beklagt der in Washington DC lebende Autor französischer Herkunft, seien allzu einseitig und berücksichtigten nicht hinreichend den historischen Hintergrund. Gleichwohl würden Ausdrücke wie "Krieg gegen den Terror" oder "Terrorismus" zu sehr das Mittel betonen, aber zu wenig den Terror als Verlängerung der Politik und System der Macht. Das will er ändern: ihm gehe es speziell, erläutert er einführend, um den Kontext und die Geschichte.

In sieben Schritten behandelt der Autor Todeskult, Eliten und Mahdi-Erlösertum. Sodann folgen Kapitel über das Stammeswesen, den modernen Jihad, die islamische Revolution und Jihad als Terror. Laurent Murawiec, seit dem Millennium bekannt durch Werke wie "La Guerre au XXIè siècle", "L'Esprit des Nations: Cultures et géopolitique", "La guerre d'Après" oder "Princes of Darkness: The Saudi Assault Against The West", konfrontiert den Leser mit zweierlei: wie er scheinbar unverbundene Entwicklungen in dieser Historie miteinander ins Verhältnis zu setzen sucht, und wie er, oft streitbar, solche Teile erörtert.

Gut erhellt Laurent Murawiec bestimmte Quellen und Bestandteile der sunnitischen und der schiitischen Ansichten über den Jihad. Richtig spannend wird es ab der Buchmitte, wo er türkische, deutsche und russische Jihadisierungen des Islam im Ersten Weltkrieg und danach untersucht. Hier erweisen sich die großen Memoiren Manabendra Nath Roys (Bombay: Allied 1964) als wichtige Hilfsquelle, da dieser Inder sowohl mit dem grünen Jihad Enver Pashas und seiner deutsch-osmanischen Kreise als auch mit dem roten Jihad Lenins und seines islamischen Gefolges vertraut war. Dabei sowie auf anderen Gebieten vermag der Autor, einen Hauptteil der weit verstreuten Sekundärliteratur zu erschliessen.

Ein Verdienst des Buches von Laurent Murawiec ist es fraglos, weiterführende Gedanken anzuregen. Bevor vier Komplexe erwähnt seien, noch ein Wort zur Methodik. Positiv ist, wenn er Aussagen solide mit Zitaten belegt. Jedoch hat er zuweilen zu viele und zu lange davon aufgereiht. Das macht es dem Leser schwer und vermindert die Analysekraft. Zum anderen demonstriert er, wie weit der westliche Intellekt vordringen kann. Aber er erhellt auch Grenzen, sofern Autoren wie er vor allem Übersetzungen und Sekundärliteratur nutzen. Es werden nicht nur Fehler wiederholt, sondern gar manche Wendungen aus dem Arabischen zu gering in ihre Ursprünge gerückt oder fehlinterpretiert. Die seit den 1970er Jahren beachtliche arabische Literatur über den Jihad und Terror blieb unberücksichtigt.

So gerät auch seine palästinensische Historie lückenhaft, die arabisch besser erhellt ist.

Nun zu weiterführenden Überlegungen, die vier grundsätzliche Punkte betreffen. Erstens fordert ein Thema wie der Jihad zum Streit heraus. Daher sollte man wenigstens einmal sagen, welche Position der Jihad im Islam einnimmt. Neutral gesehen, bedeutet das Verb jahada "sich auf Gottes Pfaden zu bemühen". Das umfasst also zweierlei: die moralische Anstrengung und der militärische Kampf. Im Koran gibt es beides, wobei dann später, als Muhammad vom Widersacher in Mekka zum Staatsbilder in Medina wurde, Jihad mehr Gefecht ist. Er gilt aber nicht als eine der fünf Säulen des Islam. Dies wollten Führer wie der Mahdi im Sudan verändern, aber sie setzten sich gegenüber juristischen Schulen nicht durch. Sie erklären den Jihad des Angriffes und der Verteidigung mit diversen Pflichten.

In der heutigen aufgeregten Zeit meint zweitens Jihad zwar zumeist den militärischen Akt gegen Ungläubige (speziell Juden und Christen) sowie eigene Rebellen oder Abtrünnige. Doch ist Muslimen deswegen noch keine besondere Blutlust eigen, wie Murawiec dartut. Es ist noch nicht lange her, da kam Europa aus seinem vierhundertjährigen Krieg heraus, bei dem es um Konfessionen und deren Doktrinen ging. Wir haben nur das Pech, Zeugen ähnlicher Prozesse im islamischen Raum zu sein, die Medien blitzschnell zeigen. Unter dem Eindruck, verstärkt um die Kriege in Afghanistan und Irak, hat Murawiec sein Buch verfasst. Doch wenig ist am Islam im Vergleich zum Christentum besonders, weder die Doktrin des Heiligen Krieges noch die Forderung zur Mission. Das Christentum hat einen ebenso blutigen Lernweg mit anderen Völkern und Religionen hinter sich. Das darf man im Auge behalten, wenn man den Jihad und seine aktuellen Erscheinungen aufhellt.

Drittens, Jamal ad-Din al-Afghani hat der modernen Politisierung des Islam zwar Impulse gegeben. Aber er war weder Vater des Panislamismus noch des Panarabismus (29). Den Panislamismus betrieben vor ihm andere, so ab 1839 osmanische Sultane wie Mahmud II und Abd al-Majid I mit ihren Tanzimatreformen. Sie reagierten damit auf die Schwächen des Osmanenreiches gegenüber dem ausholenden Europa, das mit Napoleons Invasion in Ägypten und Syrien 1798 zuerst auf militärischen Felde die Moderne nach Mittelost trug.

Dieser Hauptvorgang, und was ihm an imperialen Reichen und einheimischer Gegenwehr folgten, stellt für alle in Amerika, Mittelost und Europa den kausalen Bezugsrahmen dar. Das ist die ultimative Wechselbeziehung zwischen Kollision und Kooperation, zwischen inneren und äußeren Faktoren in der mittelöstlichen Dynamik. Sie führte zu Hierarchien, Synthesen und Antithesen. Wer Ägyptens napoleonischen Chronisten Abd ar-Rahman al-Jabarti liest, findet bereits alle Zwiste: Waffenunterlegenheit, Jihad, Reform und Revolte.

Muslime reagierten unterschiedlich auf Europas Fortschritt und Erfolg. Zu sagen, Reform - übrigens Arabisch islah, keineswegs salafiyya - würde im islamischen Kontext "niemals die Schaffung von etwas Neuem sondern immer nur die Rückkehr zum Alten, wie es mehr oder weniger in der Imagination existiere, bedeuten" (31), ist unhaltbar. Ebenso wie die Aussage, islamischer Terror hätte "vier innere Quellen", also die Muslimbruderschaft, irakische Nationaltheoretiker, iranische Fidai-e-Islam des Navab-Safavi und schiitische Anhänger der rechten und linken Faschisten in Europa. (32) Alle genannten Quellen sind nachweislich von Europäern induziert worden. Wie können sie indogen genannt werden?

Europas Stärke und Fortschritt galt Muslimen erstrebenswert, jedoch differenzierter: ihre Materialisten wünschten nur Technik und Technologie, nicht die westliche Ordnung. Ihre Spiritualisten bewunderten die geistige Freiheit, wiesen aber die Trennung von Staat und Kirche zurück. Ihre Rückwärtsgewandtgen wollten nichts von dem, erkannten indes ihre militärische und sonstige Unterlegenheit. Ihre Säkularisten und Nationalisten wünschten Modernisierung als Europäisierung oder Amerikanisierung. Nur im Lichte dieses bunten Prismas sind Generalisierungen möglich. Man kann, wie es hier passierte, den Strang des Jihads herausgreifen, sollte ihn aber in die angedeutete Vielfalt im Islam einordnen.

Viertens. Seit Napoleon kamen mehr Europäer nach Mittelost. Als Berater gebeten, aber oft unerwünscht als Kolonisten. Mit ihnen fluteten ihre Ideen und Praktiken herein. Dabei auch, geheime Logen und Parteien zu gründen. Das 19. Jahrhundert sieht sie in Mittelost aufblühen: antichristliche und andere Vereine. Europäer benutzten sie gegen ihre Rivalen.

Der in Kairo lebende Diplomat Max von Oppenheim verwies 1898 auf solche Vereine als Partner der Deutschen gegen Engländer, Franzosen und Russen. Er zeigte 1914 das ABC des Terrors für Ägypten [1] so: entscheidend seien religiöse Elemente der al-Azhar-Moschee und jene Bruderschaften. Man möge viele kleine Putsche und Attentate ausführen, ob sie nun gelängen oder nicht. Dies mache die Engländer nur noch kopfloser. Sie würden mit Repressalien reagieren: je grausamer und je mehr sie, wie zu erahnen, die Unschuldigen treffen, desto stärker werde Wut und Fanatismus im Volk für den Kampf bis aufs Messer, um Engländer hinauszuwerfen. Dafür seien pensionierte Offiziere, Soldaten und Türken in Banden zu einen, um zuerst auf dem Lande, dann überall die Engländer totzuschlagen. Oppenheim erhob die Ölanlagen zu Jihadzielen sowie Minoritäten aller Arten zu Helfern.

Berlin hat dieses Terrorrezept in vielen Sprachen des Islam verbreitet, wie Murawiec gut auslotet. Zum Brand von Kairo 1952 schreibt er, Hasan al-Bannas Terrorkampagne wäre ein Modell für die künftigen Fundamentalisten geworden, zum Wie der Insurrektion. Was war das Allgemeine, Besondere und Einzelne bei al-Banna? Was erfand er, was es nicht schon gab oder was ihm nicht als eine Idee von aussen im Weltkrieg und danach zukam?

Bis zum Ersten Weltkrieg wollten sich Muslime reformieren. Ihre Städte sollten wie Paris werden, umgeben von modernen Farmen. Dann erschütterte sie der Kriegsterror: Europas Völker schlachteten sich ab. Es gab zuweilen 40.000 Tote; zudem Giftgas, U-Boote und Flugzeuge. Muslime riss es zu Millionen in dieses tödliche Treiben. Mal auf dieser, mal auf jener Seite. Extra dafür veränderten Istanbul und Berlin die Jihad-Doktrin. [2] Und diese Urkatastrophe ging im Zweiten Weltkrieg schlimmer weiter, in dem Muslime über den schwarzen Jihad der Nazis gegen Juden die Araber von Zuschauern zu Beteiligten gemacht wurden. Wie im Krieg davor gab es Muslime, die daran profitierten, siehe Amin al-Husiani. Aus Europa und Amerika kamen nicht nur Fortschritte, sondern Wogen der Radikalisierung und Polarisierung, auf denen Jihadisten wie Usama Bin Ladin reiten. Murawiec legt dar, dass solche Synthesen und Antithesen für eine Diagnose tiefer zu ergründen wären. Ein ideologischer Mix des grünen, roten und schwarzen Jihads. Wie wäre er zu überwinden?

Anmerkungen:

[1] http://www.trafoberlin.de/pdf-Neu/Stefan%20Buchen%20Kaiser%20Wilhelms%20Heiliger%20Krieg.pdf [PDF-Dokument]

[2] http://www.trafoberlin.de/pdf-dateien/2008_12_24/Wolfgang%20G.%20Schwanitz%20Euro%20Jihad.pdf [PDF-Dokument]

Wolfgang G. Schwanitz