Geschenktipps zu Weihnachten

Holger Afflerbach, Leeds


Ich möchte hier fünf Bücher empfehlen, die sich an den historisch interessierten Leser richten. Dabei habe ich Bücher ausgesucht, die ich an Laien und Kollegen gleichermaßen verschenken würde, habe also gehaltvolle und nützliche, aber mühsam zu lesende Werke ausgeschlossen. Auch wurde ich durch die Herausgeber vernünftigerweise nicht auf Neuerscheinungen beschränkt. Da niemand alles gelesen hat, kann auch die Empfehlung eines älteren Titels von Wert sein.

Ich habe mich entschieden, aus dem riesigen Fundus empfehlenswerter Bücher zwei historische Werke, zwei historische Romane und ein politisch-zeitgeschichtliches Buch auszuwählen. Ich beginne mit einer literarischen Empfehlung - einem Buch, das zur Literatur gehört, aber historische Quellen nutzte und interpretierte.


1. John Updike: Gertrude und Claudius. Aus dem Amerikanischen von Maria Carlsson.

Ein Buch nicht nur für Shakespeare-Fans. John Updike hat in "Gertrude und Claudius" die Geschichte von Hamlets Mutter Gertrudis, die Geschichte ihrer Ehe mit Horwendil/Hamlet und ihre Liebe zu dessen Bruder Feng/Fengon/Claudius beschrieben. Das Buch endet dort, wo Shakespeare's Hamlet beginnt. Updike nutzte für seinen Roman die Chroniken des Saxo Grammaticus (Historiae Danicae), die auch Shakespeares Stück und früheren Bearbeitungen des Stoffes zugrundelagen. Updike entschied, die jeweils in den Vorlagen verwendeten unterschiedlichen Namen beizubehalten; deshalb heißt Hamlets Vater zuerst Horwendil, dann Horvendile und schließlich, wie bei Shakespeare, Hamlet. Ähnliche und noch dramatischere Transformationen machen in den drei Teilen des Buches fast alle anderen Namen durch. Ob das nötig war, bleibe dahingestellt. Trotzdem: Das Buch ist meisterhaft und bietet eine spannende und intelligente Lektüre. Wer anfängt, es zu lesen, wird es nicht mehr aus der Hand legen können.


2. Alan Posener: Imperium der Zukunft. Warum Europa Weltmacht werden muss (Pantheon Paperbacks) (Broschiert) 2007.

Diese zweite Empfehlung ist etwas für den politisch interessierten Leser. Der Journalist Alan Posener behandelt die derzeit viel-, vielleicht sogar überdiskutierte Frage nach dem Imperium/Empire unter einem neuen Blickwinkel. Dutzende von Autoren, so etwa Niall Ferguson, haben bei dieser Diskussion die Außenpolitik der USA vor Augen. Posener bietet eine in vielerlei Hinsicht überraschende Neudeutung und erklärt, warum Europa, nicht die USA, ein Imperium ist und, seiner Ansicht nach, auch sein sollte. Das Buch eröffnet einen neuen Blickwinkel auf die Diskussion um die Form und Zukunft der Europäischen Union. Wenn ich diese Diskussion um die Zukunft Europas so benennen wollte, wie wir es normalerweise mit dem Paulskirchenparlament und seinen Debatten um die zukünftige Form Deutschlands machen, dann würde ich drei große Gruppen sehen: Erstens die Europagegner, die alles so lassen wollen, wie es ist, oder die EU sogar rückbauen möchten; dann die Europafreude, die im wesentlichen ein Kern- oder Kleineuropa als eine Art Riesenschweiz ansehen, als gut abgeschottete Insel der Seligen in einem Ozean von Krieg und Armut; und schließlich die Europafreunde, die ich als "Großeuropäer" bezeichnen würde. Diese sehen Europa in der zivilisierenden Verantwortung, lehnen eine Beschränkung auf das "weströmische" oder "karolingische" Erbe ab und befürworten die Erweiterung der EU. Diese letzte Gruppe hat hier in Posener einen eloquenten Sprecher gefunden. Großeuropäer Posener negiert die angebliche politische Lähmung der Union und beschreibt die zivilisierende Wirkung, die das europäische Imperium durch die rigiden Aufnahmekritieren auf seine beitrittswilligen Nachbarn hat. Das Buch hat seine Schwachstellen und wird, da in seinen Thesen nicht gerade schüchtern - so fordert Posener auch das Erbe Ostroms ein - , auch zu Widerspruch herausfordern. Trotzdem oder deshalb empfehle ich es dem politisch interessierten Leser. Posers Buch ist informativ, kontrovers, originell und außerdem noch leicht lesbar.


3. Joachim Castan: Der Rote Baron. Die ganze Geschichte des Manfred von Richthofen, Stuttgart 2007.

Die dritte Empfehlung, eine Biographie des Roten Barons, ist eine leichte und an vielen Stellen fesselnde Lektüre. Castan hat Einfühlungsvermögen und macht die konstante Lebensgefahr und den Stress, dem die Jagdflieger des Ersten Weltkriegs in ihren primitiven Maschinen ausgesetzt waren, sehr plastisch. Er macht deutlich, inwiefern Richthofens familiärer Hintergrund, besonders seine Jagdleidenschaft, ihn für seine Rolle als Jagdflieger prädestinierten, und räumt mit dem Mythos der "Ritterlichkeit" im Luftkampf des Ersten Weltkriegs auf. Der Autor irrt an manchen Stellen, so zum Beispiel wenn er sich in den Landkrieg verirrt, und er neigt bisweilen zum unbeweisbaren Psychologisieren. Aber das fällt nicht sehr ins Gewicht und ich möchte diese Biographie des berühmtesten Fliegerhelden des Ersten Weltkriegs gerne weiterempfehlen. Sie ist ein gutes Geschenk nicht nur für den akademischen Historiker, sondern auch für den "history buff" und besonders für den militärgeschichtlich interessierten Leser.


4. Gordon S. Wood: The Americanization of Benjamin Franklin, New York 2004.

Dieses amerikanische Buch - meine vierte Empfehlung - ist meines Erachtens ein Meisterwerk. Wood ist Spezialist für den amerikanischen Unabhängigkeitskrieg und gleichzeitig Träger des Pulitzer Preises, und wer wissen möchte, warum, kann es in diesem Buch erfahren. Es behandelt das Leben von Benjamin Franklin, der, als Verkörperung des amerikanischen "common sense" später zur Zielscheibe von Mark Twaines Spott wurde. Wood folgt dem Lebensweg des Geschäftsmannes, Erfinders und Politikers Franklin von kleinsten Anfängen hin zum Weltruhm. Wood schreibt mit unverhohlener, aber kritischer Sympathie für seinen Helden. Das große Thema ist die "Amerikanisierung" Franklins, die eigentlich, so Wood, eine zufällige war, da Franklin lange ein treuer Anhänger der britischen Krone war. Auch spielte Woods Protagonist lange mit dem Gedanken, in London zu blieben, wo es ihm weit besser gefiel als im provinziellen heimischen Philadelphia. Und er genoß seine Zeit als amerikanischer Botschafter in Paris. Franklin wurde trotzdem zum Musteramerikaner, zum Paradefall für den amerikanischen Traum vom Aufstieg durch Fleiß und Begabung, und außerdem noch zu einem der wichtigsten Protagonisten des amerikanischen Unabhängigkeitskrieges. Dieses Buch ist ausgezeichnet in Inhalt und Form und kann jedem, der sich im Englischen nicht quält, empfohlen werden.


5. Uwe Timm: Heißer Sommer, 3. Auflage, München 2002.

Zum Abschluß erneut ein alter Titel, aber ein schönes Buch, das nicht nur die Studentenrevolte von 1968, sondern auch den immer und immer wieder diskutierten Generationenkonflikt in der Bundesrepublik zum Thema hat. Ich empfehle dieses Buch, obwohl mir viele andere, mindestens genausogute Bücher einfallen - oder gar Klassiker meines Lieblingsautors Fontane. Die "68er" sind derzeit im Gespräch - als Generation, die von der politischen Bühne abzutreten beginnt - und außerdem jährt sich die Studentenrevolte im nächsten Jahr zum vierzigsten Mal. Also nutze ich den Mythos der runden Zahl, der unsere historisch-journalistische Gedenkindustrie antreibt. Außerdem behandelt dieses ausgesprochen gut lesbare Buch einige Fragen, die in der Forschung zur Bundesrepublik und zur NS-Vergangenheitsbewältigung pausenlose Erwähnung finden. Was ich an dem Buch mag, ist vor allem das gebrochene Verhältnis zwischem dem - eigentlich nur halb - studentenrevoltierenden Protagonisten und seinem Vater, einem Kriegsteilnehmer, der nun ein kleines Möbelgeschäft betreibt. Der Sohn steht seinem Vater mit einer Mischung aus Fremdheit, Distanz, Kritik, fast Verachtung für dessen Kriegserzählungen und dessen Kameradenfimmel gegenüber - und doch enthält dieses Buch dann überraschende Drehungen hin zur Solidarität und Verständnis zwischen den Generationen.