Geschenktipps zu Weihnachten

Christoph Boyer, Salzburg


Dorota Maslowska: Schneeweiß und Russenrot. Roman. Kiepenheuer & Witsch 2004.
Juri Andruchowytsch: Zwölf Ringe, Roman, Suhrkamp 2005.
Vladimir Zarev: Verfall. Roman, Kiepenheuer & Witsch 2007.
Clemens Meyer: Als wir träumten. Roman. Fischer 2007.


Der Ruf nach "dem Wenderoman" ist leiser geworden: es ist schon erstaunlich, mit welch überbordender Kreativität der Übergang vom Sozialismus zum Kapitalismus in den jüngsten Jahren belletristisch verarbeitet worden ist. Unstreitig sind hier die literarischen Landschaften Ost(mittel-) Europas auf "Weltniveau". Die bitteren und die düsteren Töne überwiegen. Die Plots spielen in der Tristesse der banlieue, in den Glasscherbenvierteln und den Plattenbauten des postsozialistischen Prekariats; eine Geschichte ist auf einem aberwitzigen Zauberberg in den Karpaten angesiedelt. Es riecht nach dem alten Fett der Frittenbuden, nach Dosenbier und Drogen, nach schnellem Sex und nach Gewalt. Der wirtschaftliche Erfolg kommt auch vor - aber die Oligarchenkarriere endet in einem Alptraum. Und der naive Reisende aus dem Westen fällt unter die räuberischen Afghanzi …


Clarín: Die Präsidentin. Roman, Suhrkamp 2002 [Erstveröffentlichung 1884/85].

Das gemeineuropäische bürgerliche Ehebruchsdrama mit finalem Duell gibt es auch in der iberischen Variante. Um "die Präsidentin" - die spanische Effi Briest/Madame Bovary - herum entfaltet Leopoldo Alas ("Clarín") das Panorama der nordspanischen Provinzgesellschaft im späten 19. Jahrhundert. Beherrscht wird diese zwar noch von der "Hochburg der geistlichen Macht" im Verein mit "den Erben von Adelsbriefen und Stammhäusern". Aber es gibt auch schon den Rauch, der "nicht von Weihrauch" herrührt - das "Pfeifen der Maschinen hörte sich spöttisch an", die Arbeiter sprechen immer weniger "von Ergebung, Treue, Glaube und Gehorsam". Ein großer - und weihnachtsadäquat dicker - Gesellschaftsroman, eine genial-bösartige Satire, die am Horizont bereits die tiefen Brüche und die brutalen Konflikte der spanischen Geschichte im 20. Jahrhundert erahnen läßt.


Denis Johnson: In der Hölle. Blicke in den Abgrund der Welt. Mit einem Vorwort von Georg M. Oswald. Verlag Tropen 2007.

Auf den Spuren von Joseph Conrads Heart of darkness dringt der Meister des amerikanischen roman noir durch das Dickicht bizarrer Bürokratien und an der Hand dubioser Mittelsmänner zu den Warlords von Liberia und Somalia vor. Aus Johnsons Berichten von Bombardements und monströsen Schlächtereien, vom verlorenen Kontinent und seinen gescheiterten Staaten lernt nicht nur der Globalhistoriker, dass der Weihnachtsfrieden eben keine globale Errungenschaft ist.


Bernhard Lauth / Jamel Sareiter: Wissenschaftliche Erkenntnis. Eine ideengeschichtliche Einführung in die Wissenschaftstheorie, Verlag mentis 2005.

Wer sich von der sülzigen Schwurbeligkeit postmoderner "Theoretiker" intellektuell unterfordert fühlt und mit ihren Texten nicht mehr bullshit-bingo spielen mag, der ist mit Lauth/Sareiters "Einführung" gut bedient. Das Buch wurzelt in einer sehr viel präziseren, anspruchsvolleren und schwierigeren Denk-Kultur. Es präsentiert die logischen, methodologischen und erkenntnistheoretischen Grundlagen der empirischen Wissenschaften in historischer Perspektive, in einem Durchzieher von Aristoteles über Bacon und Hume bis zu Kuhn und Lakatos, in der wohlgelungenen Verknüpfung von formallogischen Methoden (immer auf laienkompatiblem Niveau!) und philosophischen Kontexten. Wollen Sie vielleicht die "außerdiskursliche Realität" wegeskamotieren? Dann sollten Sie sich doch die ausgewogen und subtil argumentierenden Abschnitte über den ontologischen und den epistemischen Realismus vornehmen. Das Buch steht in der gloriosen Tradition der bayrisch-österreichischen Wirts- und Kaffeehausliteratur: große Teile des Manuskripts sind im Café Teufelhart-Bubu in Dachau entstanden, wo, wie die Autoren dankbar vermerken, die Mitarbeiter immer "rechtzeitig mit Erfrischungen zur Stelle waren", wenn die Arbeiten ins Stocken gerieten.


Jeffry A. Frieden: Global Capitalism. Its Fall and Rise in the Twentieth Century, W.W. Norton Company 2006.
Robert Service: Comrades! A History of World Communism, Harvard University Press 2007.


Dies sind zwei hochkarätige Gesamtdarstellungen der beiden weltumspannenden Gesellschaftsformationen des 20. Jahrhunderts. Und deshalb ist das auch zweimal hochkarätige Globalhistorie. Wer vom Kapitalismus nicht reden will, der sollte auch vom Kommunismus schweigen - und umgekehrt; deshalb tut man gut daran, die Bücher kontrapunktisch aufeinander bezogen zu lesen. Der Sowjetkommunismus ist tot und begraben. Aber es gibt sie nach wie vor, die Nährböden, auf denen die Massen der Erniedrigten und Beleidigten wachsen. Das westliche Modell in der globalisierten Variante hat sich kurz- und mittelfristig als leistungsfähiger erwiesen. An der Antwort auf die Frage, ob dies auch langfristig gilt, wird derzeit noch gearbeitet.