Rezension über:

Michel Pauly (Hg.): Die Erbtochter, der fremde Fürst und das Land. Die Ehe Johanns des Blinden und Elisabeths von Böhmen in vergleichender europäischer Perspektive. Colloque international, Luxembourg, 30 septembre et 1er octobre 2010 (= Publications du CLUDEM; Tome 38), Luxemburg: CLUDEM 2013, 285 S., ISBN 2-919979-28-0, EUR 35,00
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Rezension von:
Nils Bock
Historisches Seminar, Westfälische Wilhelms-Universität, Münster
Redaktionelle Betreuung:
Ralf Lützelschwab
Empfohlene Zitierweise:
Nils Bock: Rezension von: Michel Pauly (Hg.): Die Erbtochter, der fremde Fürst und das Land. Die Ehe Johanns des Blinden und Elisabeths von Böhmen in vergleichender europäischer Perspektive. Colloque international, Luxembourg, 30 septembre et 1er octobre 2010, Luxemburg: CLUDEM 2013, in: sehepunkte 15 (2015), Nr. 7/8 [15.07.2015], URL: https://www.sehepunkte.de
/2015/07/27471.html


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Michel Pauly (Hg.): Die Erbtochter, der fremde Fürst und das Land

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Die sogenannte "gute Partie" ist ein Ausdruck, der bestenfalls noch in der "People-Press" anzutreffen ist, da die Bedeutung des "Gotha" als Verzeichnis des europäischen Adels zurückgeht und den rein materiellen Wohlstand mit dem besagten Ausdruck zu bezeichnen doch als etwas schnöde gilt. Auch die Feststellung, dass die Heirat ein Mittel der Herrschaftskonsolidierung, gar des Herrschaftsausbaus des europäischen Adels des Mittelalters war, ist ein Gemeinplatz. Allerdings, das zeigt der vorliegende Band, beginnen die eigentlichen Schwierigkeiten erst, wenn die Hochzeitsfeierlichkeiten beendet sind.

Der von Michel Pauly herausgegebene Sammelband vereint die Beiträge einer Tagung, die 2010 zum 700. Jahrestag der Hochzeit von Johann von Luxemburg und Elisabeth von Böhmen veranstaltet wurde. Es handelte sich um eine Jahrhunderthochzeit, da sie einen Grafen zu einem König machte und den Tod des böhmischen Königs in Frankreich im Kampf gegen England mit sich brachte. Die Ambivalenz, die sich aus Hochzeiten mit Erbtöchtern ergab, ist nur zum Teil mit den Personen verbunden, resultiert sie doch vielfach aus den vielfältigen und komplexen Verflechtungen, welche die Beiträge hervorheben.

Erschlossen wird diese Problemstellung durch die beiden Aufsätze von Karl-Heinz Spiess und Michel Margue. Während Spiess das historische Tableau der internationalen Ehelichungen von Erbtöchtern im Mittelalter sehr illustrativ in Ausmaß, Ablauf und kulturvermittelnder Funktion zeichnet, geht Margue anhand von vier Beispielen (Flandern, Luxemburg, Böhmen, Tirol) auf die Verhandlungen mit den Ständen ein und erkennt dabei in der Erbtochter einen Kristallisationspunkt für die Verdichtung von Landesrecht.

Es folgt der erste von zwei thematischen Abschnitten. Unter vier Geschichtspunkten wird die im Zentrum stehende Hochzeit Johanns und Elisabeths behandelt. Lenka Bobková fokussiert auf die Herrschaft des Ehepaares, die sie im Spannungsfeld von "Träumen der Herrlichkeit" und "Wirren der Realität" des ersten Regierungsjahrzehnts platziert. Dem politischen und sozialen Prestige sowie den materiellen Ressourcen der böhmischen Krone standen Probleme gegenüber, die aus unterschiedlichen Erwartungen resultierten. Prägend sollten insbesondere die Hoffnungen des böhmischen Adels sein, der infolge des Todes Heinrichs VII. eine Chance zur Durchsetzung seiner Rechte sah. Dana Dvořáčková-Malá zieht eine Bilanz der Kenntnisse des böhmischen Herrscherhofes unter den letzten Přemysliden als Ausgangspunkt der Übernahme der Krone durch die Luxemburger. Über die Hof- und Landesämter, die niederen Diener und den königlichen Haushalt kommt sie zu den Geistlichen am Prager Hof, deren Zahl im 13. Jahrhundert stetig anstieg und unter denen die Zisterzienser eine bedeutende Stellung einnahmen. Im Weiteren folgt sie der Unterscheidung zwischen kleinem und großem Hof, dessen Ausgestaltung sie bei Zeremonien und Festen nachgeht. Literarische Werke, die dem böhmischen Hof zugeordnet werden können, bilden den Abschluss. Den Übergang von den Přemysliden zu den Luxemburgern betrachtet auch Zdeněk Žalud, der sich der Fragestellung unter dem Aspekt der Verwaltung nähert. Die sogenannte "Hauptmannsverwaltung" in Böhmen bestand bereits vor der Ankunft Johanns, der sich mit ihr auseinandersetzen musste und dabei vor allem durch seine längeren Abwesenheiten Unordnung hinein gebracht haben soll. Žalud arbeitet zunächst die Charakteristika und Funktion dieser Form der Verwaltung heraus, um das landläufige Bild dahingehend zu revidieren, dass Johann die Verwaltung umgestaltete und als eines seiner Herrschaftsinstrumente ausbaute.

Die berühmten und einträglichen Edelmetallminen stellt Franz Irsigler unter der Fragestellung der Münz- und Geldpolitik Johanns heraus und gibt hier mittels der Arbeiten von Winfried Reichert einen Einblick in die böhmischen Finanzierungsprojekte, die mit der Expertise Florentiner Geldspezialisten unternommen wurden und auf eine "offensive Währungspolitik" im Westen ausgelegt waren.

Im zweiten Teil des Bandes eröffnet sich ein europäisches Panorama der Erbtochter-Frage. Mit ihrem Beitrag "Sie wollten nicht, dass er sich König nannte" fokussiert Laura Brander auf die Hochzeit zwischen Ramon Berenguer IV. von Barcelona und Petronella von Aragon. Was als "Vereinigung von Aragon und Barcelona" (Schramm) in die Forschung eingegangen ist, kontrastiert Bander dahingehend, dass es sich um eine Besitzübergabe Aragons an den Grafen von Barcelona handelte, die Berenguer aber nicht vollständig durchsetzen konnte (so fehlte z.B. der Königstitel). Erst unter dem Sohn des fremden Grafen und dem heimischen König könne von einer vollwertigen Personalunion gesprochen werden.

Eine weitere bekannte Erbtochter wurde hinter der mittelalterlichen Zuschreibung "Maultasch" versteckt, was auf eine entstellte Mundpartie hindeutet oder mit der Schmähung als "Hure" in Verbindung gebracht wurde. Julia Hörmann-Thurn und Taxis zeichnet das Bild der Margaretha von Tirol, die sich schon als Kind in einer Beziehung mit dem fremden, böhmischen Fürsten Johann Heinrich befand, in der private Differenzen überwogen und aus der keine Kinder hervorgingen. Dies zeigt sie umso überzeugender als sowohl die strukturelle und strategische Positionierung böhmischer Berater und Gefolgsleute als auch die finanziell angespannte Situation zwar Gründe für eine Intervention gegen Johann Heinrich lieferten, aber der Impuls zum Bruch in der Person Johann Heinrichs zu suchen ist. Ein anderer Sohn Johanns des Blinden, Wenzel, sah sich der Johanna von Brabant angetraut, die zuvor bereits mit Wilhelm von Hennegau vermählt worden war. Sergio Boffa hat beide Hochzeiten unter dem Blickwinkel der Nachfolgeregelungen im Herzogtum Brabant und internationaler Allianzen untersucht. Unter eben dem Eindruck der internationalen Lage im Vorfeld des Hundertjährigen Krieges scheint die erste "Vernunftehe" geschlossen worden zu sein. Für Herzog Johann III. galt es unter Einsatz seiner Tochter, sich zu positionieren und abzusichern. Die Lage war eine andere vor der zweiten Hochzeit, da zwischenzeitlich männliche Erben geboren worden waren. Wenzel kam auch in Betracht, weil die Position Johannas nicht mehr die einer Erbtochter war. Dies sollte sich aber durch den frühen Tod der Brüder ändern. Zweimal aus "Vernunft" verheiratet, stellt sich zweimal die Lage so dar, dass zweimal die Möglichkeit zu Mehr verpasst wurde.

Rund 30 Jahre später findet sich Margaretha von Flandern in der Position der "Erbtochter" wieder und wird mit dem französischen Königssohn Philipp dem Kühnen im Jahr 1386 verheiratet, womit die spätmittelalterliche burgundische Dynastie begründet wird. Wie Marc Boone zeigt, ist auch hier die "Erbtochter" die Garantin für die dynastische Legitimität, während der Prinz alleine die aus der Heirat hervorgegangenen Rechte hält. Während Philipp der Kühne umfassend mit der französischen Politik beschäftigt blieb, vertrat Margaretha ihren Gatten vor den flämischen Untertanen, die sich auf eine bereits ausgeprägte politische Kultur zwischen Herrschern und Ständen berufen konnten. Ein Beitrag des Prinzen ist auf institutioneller Ebene zu sehen, da sich unter ihm die Rechnungskammer und weitere königlich-französische Errungenschaften in Flandern entwickelten.

Das 15. Jahrhundert ist zunächst präsent durch den Beitrag von Catherine Guyon, in dem die Heirat des mehrfachen "Erbsohn[es]" René d'Anjou, u.a. des Herzogtums Bar, mit Isabella von Lothringen und damit der "Erbtochter" der Nachbarherrschaft behandelt wird. Im Gegensatz zur Herrschaft in der Provence wird René d'Anjou in Lothringen weit weniger Bedeutung zugemessen. Allerdings stehen dem ausbleibenden Frieden einige verwaltungstechnische Neuerungen und kulturelle Impulse gegenüber. Nicht zuletzt stellt die Heirat einen ersten Schritt hin zur Vereinigung der lothringischen Herrschaften dar. Am Ende des Jahrhunderts geht es zurück nach Flandern und in die historischen Niederlande. Der Habsburger Maximilian I. war u.a. dafür bekannt, dass er, nachdem die burgundische "Erbtochter" Maria verstorben war, in Brügge von Parteigängern der Zünfte festgesetzt wurde, um Zugeständnisse und die gemeinsamen Kinder und Erben herauszupressen. Diesen Konflikt zwischen fremden Prinzen und flämischen Ständen beleuchtet Jelle Haemers. Dabei trägt sie durch ihre Analyse eine sehr erhellende Beobachtung für das Gesamtthema der Tagung bei, indem sie deutlich machen kann, dass der Vorwurf der Fremdheit gegenüber den fremden Prinzen vor dem Hintergrund des Respekts gegenüber den angestammten lokalen Gewohnheiten entwickelt wird: Der Fremde ist hier derjenige, der "ungewöhnliche" Maßnahmen ergreift. Maximilians Handschrift in den berühmten habsburgischen Heiratsverbindungen findet sich auch in der Heirat seines Sohns mit Johanna von Kastilien wieder. Die zum Zeitpunkt der Vermählung nicht vorhersehbaren Rechte auf die spanische Krone, die später Johanna in die Ehe einbringen sollte, trugen zum Mythos des Hauses Habsburg bei. Die kenntnisreiche Betrachtung von Jean-Marie Cauchies und Marie Van Eeckenrode zeichnet ein ernüchterndes Bild einer fremden Prinzessin, des politischen Alltagsgeschäfts und der Sorge, der Fürste möge von seiner Reise nach Spanien wieder gesund zurückkehren.

In seiner Schlussbemerkung ordnet Michel Pauly die Ergebnisse in den Bereich der Fürstenheiraten ein und strukturiert sie anhand der Begriffe "Stände, Fürstinnen und fremde Ehemänner". Dabei stellt er heraus, dass die vorgestellten eingeheirateten Ehemänner im Gegensatz zur Praxis bei Ehefrauen oder Witwen nie komplett von der Machtausübung ausgeschlossen wurden oder bloß als Regenten fungierten. Die Stände reagierten unterschiedlich auf die Heirat, die häufig Anlass zu Verhandlungen gab und eine politische Reaktion geradezu hervorbrachte. Pauly regt hier zur weiteren Untersuchung an: unbedingt seien die politischen, institutionellen und kulturellen Auswirkungen der internationalen Heirat zu berücksichtigen. Indem der Band zeigt, dass die "Fremdheit" des Fürsten in den Konsequenzen der Heirat konstruiert wurde, eröffnet er neue Perspektiven eines Themas, das nicht auf eine Vorgeschichte des "Gotha" reduziert werden kann.

Nils Bock