Geschenktipps (nicht nur) zu Weihnachten

Ruth Leiserowitz, Warschau


Anne Applebaum: Der Eiserne Vorhang. Die Unterdrückung Osteuropas 1944-1956, München 2013.

Auch wenn die deutsche Textfassung eine etwas sorgfältigere Redaktion verdient hätte, empfehle ich diese flüssig zu lesende Schilderung der amerikanisch-polnischen Journalistin, in der sie aufzeigt, wie unter großem Druck in Polen, Ungarn und Mitteldeutschland sozialistische Gesellschaften generiert wurden. Anne Applebaum verbindet allgemein bekannte mit persönlichen Perspektiven auf die Zeit des Hochstalinismus und flicht zahlreiche Details aus Interviews mit Zeitzeugen ein, die sie selbst geführt hat. Bisweilen erscheinen diese eher beliebig gewählt, doch gelingt es der Autorin paradigmatisch aufzuzeigen, wie stark die neue Gesellschaftsordnung in alle Bereiche des Alltags und in die Familien vordrang. Insgesamt liefert sie in einer spannenden Beschreibung wichtige Befunde dafür, wie die Zivilgesellschaft in Ostmitteleuropa nach dem Zweiten Weltkrieg abgeschafft wurde.


Louis Begley: Lügen in Zeiten des Krieges, Frankfurt/M. 1994.

Angesichts des neuesten Romans von Begley, der gerade im Buchhandel ausliegt, möchte ich noch einmal auf seinen Romanerstling hinweisen, den der damals 57-jährige New Yorker Rechtsanwalt veröffentlichte und der meiner Meinung nach unter seien Werken bis heute unübertroffen ist. Begley erzählt darin die Geschichte des jüdischen Maciek in Krakau, der bei Kriegsbeginn 1939 gerade sechs Jahre alt ist und mit seiner Tante Tanja versucht, der Verfolgung des Holocaust auf der arischen Seite zu entgehen. Es gelingt ihnen um den Preis der Lüge, der falschen Identitäten, der wiederholten Vorspiegelung, sei seien Mutter und Sohn und der ständigen Vorgabe, katholisch zu sein. Der Autor schreibt auf der Basis eigener Erlebnisse völlig ohne Pathos und auch gänzlich unprätentiös. Diese nüchterne und überaus glaubwürdige Schilderung der Kriegszeit und des Verstecktseinmüssens lohnt es unbedingt zu lesen, zumal auch die deutsche Übersetzung sehr gediegen ausgefallen ist.


W.G. Sebald: Austerlitz, München 2001.

In diesem Roman wird das Leben des jüdischen Wissenschaftlers Jacques Austerlitz aufgezeigt, der erst im Pensionsalter nach seinem Schicksal zu forschen beginnt. Die Handlung ist in Dialoge zwischen einem Erzähler und Austerlitz gekleidet, wobei vorrangig Begegnungen in Antwerpen, Lüttich, Zeebrugge, London und Paris stattfinden, während derer Gespräche über Bahnhöfe eine wesentliche Rolle spielen. Erst spät stellt Austerlitz fest, dass er 1939 im Alter von vier Jahren mit einem Kindertransport nach England kam. Er beginnt die Spuren seiner Eltern zu suchen. Der Erzähler dokumentiert im Nachhinein die Gespräche der beiden, die fast in einem Lehrer-Schüler-Verhältnis stehen. So wird eine Nacherzählung daraus, eine Dimension des extremen Hörensagens, verfasst in einer reichen Sprache mit vielfachen Satzgefügen und üppigen Assoziationen . Insgesamt ein sprachlicher Lesegenuss mit durchaus historischen und kunsthistorischen Ansprüchen.