Geschenktipps (nicht nur) zu Weihnachten

Martin Baumeister, Rom


David Abulafia: Das Mittelmeer. Eine Biografie, Frankfurt a.M. 2013.

In der deutschen Übersetzung hat man das modische "Biografie"-Etikett aufgeklebt. Der Originaltitel ist präziser: "The Great Sea. A Human History of the Mediterranean". Abulafia übertrifft alle Thalassologen vor ihm und nimmt seine Leser mit auf eine spannende Zeitreise von den Anfängen menschlicher Zivilisation am Mittelmeer bis in die Gegenwart. Der Cambridger Mediävist gehört zu den Pragmatikern unter den Mittelmeerhistorikern und zu den großen Erzählern, der statt des romantisch gefärbten Duktus‘ Braudels allerdings einen nüchtern-sachlichen Stil pflegt. Er lässt sich nicht zu sehr belasten von heftigen Theoriedebatten um "mediterraneanism" und den Sinn und Unsinn von Geschichtsregionen. Vielmehr richtet er seinen Blick auf das Meer mit seinen Inseln und Hafenstädten und entfaltet die vieltausendjährige Geschichte der "Great Sea" als einzigartigem und exemplarischem Zivilisationsraum in einem farbigen, weit gespannten Panorama. Wunderbarer Stoff für alle Lehnstuhlreisenden, die es an grauen kalten Tagen in den Süden zieht.


Rudolf Schlögl: Alter Glaube und moderne Welt. Europäisches Christentum im Umbruch 1750-1850, Frankfurt a.M. 2013.

"Säkularisierung wie die Religion der Gesellschaft gibt es. Man kann sie beobachten." Mit diesem nüchternen Fazit endet, recht unspektakulär, Rudolf Schlögls Geschichte des europäischen Christentums in einer Zeit grundlegender Transformationen der Gesellschaften West- und Mitteleuropas. Um zu diesem Schlusssatz vorzustoßen, muss man intensive Lesearbeit über 450 Seiten hinweg leisten, auf denen nicht die Geschichte der europäischen Christentümer nacherzählt wird, sondern luzide, theoriefreudig und thesenstark das (west-)europäische Christentum als Religion der europäischen Gesellschaft am Beginn der Moderne als Problemgeschichte verhandelt wird. Das Buch eignet sich nicht zur Entspannung nach dem Festtagsbraten, sondern fordert wissenschaftliche Askese. Es gehört zu den ganz großen intellektuellen Herausforderungen unter den historischen Neuerscheinungen dieses Jahres.


Friedrich Lenger: Metropolen der Moderne. Eine europäische Stadtgeschichte seit 1850, München 2013.

Droht in Zeiten von Megacities und globaler Verstädterung, von Stadttourismus und Festivalisierung der Städte eine Provinzialisierung und Musealisierung urbanen Lebens und Erbes in Europa? Friedrich Lenger verweist auf die grundlegende Diskrepanz zwischen dem hohen Anteil der in Städten lebenden europäischen Bevölkerung und ihrer unzulänglichen Erforschung. Auch in Europa ist die Verstädterung eine vergleichsweise junge Entwicklung und vor Lenger hat sich kein anderer Historiker dem Thema in derart umfassender und grundlegender Weise angenommen. Wie Schlögl arbeitet er am ambitionierten Projekt der Geschichte der europäischen Moderne, freilich aus der Perspektive einer sehr weit gefassten Sozial- und Kulturgeschichte der Städte Europas, die zeitlich dort einsetzt, wo Schlögl aufhört, und bis in die Gegenwart hineinführt. Während sich Schlögl an das strenge sola scriptura-Prinzip hält, bindet Lenger ausgezeichnetes Bildmaterial in seine Darstellung ein. Sein Blick geht bis an die Ränder Europas, in den Süden sowie nach Ost- und Ostmitteleuropa. In der Stadtgeschichte allenfalls nachrangig behandelte Aspekte wie die Frage innerstädtischer Gewalt nehmen bei ihm besonderes Gewicht ein. Eine beeindruckende Syntheseleistung, die die zentrale Rolle der Städte in der europäischen Moderne erhellt.


Edmund de Waal: Der Hase mit den Bernsteinaugen. Das verborgene Erbe der Familie Ephrussi, München 2013.

Paris – Wien – Berlin - Tokio – Odessa – London: Auch in Edmund de Waals ungewöhnlichem, 2010 erschienen Bestseller spielen Metropolen, in Europa und darüber hinaus, eine zentrale Rolle. Sie sind Knotenpunkte und Stationen des Schicksals einer weit verzweigten jüdischen Bankiersfamilie. Die Geschichte ist als eine Recherche des Autors auf den Spuren seiner Vorfahren erzählt, mit Sensibilität und großer sprachlicher Kraft. Wer das Glück der Lektüre noch vor sich hat, sollte nicht zu lange damit warten.


Rosemary Sutcliff: Der Adler der Neunten Legion, München 2012.

Ein Kinderbuch, das sechzig Jahre lang alle Moden und Konjunkturen von Geschichtsromanen und kürzlich eine britisch-amerikanische Verfilmung überstanden hat. Die Geschichte vom Vorstoß eines römischen Soldaten und seines Sklaven ins "wilde" Land nördlich des Hadrianwalls greift eine britische Variante des Arminius-Stoffs auf und folgt dem Muster der Reise ins Herz der Finsternis. Ein Kurtz fehlt allerdings. Sutcliff träumt den Traum vom guten Empire mit solchem erzählerischen Geschick, dass man ihr Buch auch heute noch gerne als Lese- und Vorlesestoff empfehlen mag.