Rezension über:

Muzaffar Alam / Sanjay Subrahmanyam (eds.): Writing the Mughal World. Studies on Culture and Politics, New York: Columbia University Press 2011, XVIII + 516 S., 2 Karten, ISBN 978-0-231-15811-4, GBP 62,00
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Rezension von:
Tilmann Kulke
European University Institute, Florenz
Redaktionelle Betreuung:
Stephan Conermann
Empfohlene Zitierweise:
Tilmann Kulke: Rezension von: Muzaffar Alam / Sanjay Subrahmanyam (eds.): Writing the Mughal World. Studies on Culture and Politics, New York: Columbia University Press 2011, in: sehepunkte 13 (2013), Nr. 7/8 [15.07.2013], URL: https://www.sehepunkte.de
/2013/07/22756.html


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Forum:
Diese Rezension ist Teil des Forums "Die Mogulzeit in Indien" in Ausgabe 13 (2013), Nr. 7/8

Muzaffar Alam / Sanjay Subrahmanyam (eds.): Writing the Mughal World

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Der vor einigen Jahren herausgebrachte und mehrfach wieder aufgelegte Sammelband über den Mughal-State der Autoren Muzaffar Alam und Sanjay Subrahmanyam etablierte sich schnell zum Standardwerk. [1] Vor allem die ausführliche Einleitung, in der Alam und Subrahmanyam die damals aktuellen Forschungstendenzen diskutierten und sich gleichzeitig dafür aussprachen, neue Wege in der Forschung einzuschlagen, wurde und wird immer wieder zitiert.

Nicht anders verhält es sich nun mit dem vorliegenden Band, dessen Einleitung ebenfalls als Manifest für die Mogul-Forschung der nächsten Jahre gelesen werden kann. Gleich zu Beginn heben die Autoren hervor, dass es letztlich keine allgemeine englischsprachige Abhandlung über die Historiographie der Moguln gibt. Dankenswerterweise weisen sie auch gleich in der ersten Fußnote auf Stephan Conermanns Studie hin, die sie lobend als eine 'anspruchsvolle Neuinterpretation' bezeichnen und die sich in den nächsten Jahren sicherlich zum Standardwerk etablieren wird. (1) [2] Auch Nader Purnaqchebands Studie, welche ja von Stephan Conermann betreut wurde, wird ausdrücklich unter den vorbildlichen Ausnahmen hervorgehoben. (29) [3] Eva Orthmanns völlig berechtigte Kritik im vorliegenden FORUM an Azfar Moins neuester Studie, dass die anglo-amerikanische Forschung, welche die Geschichtsschreibung über die Moguln derzeit dominiert, die deutschsprachigen Forschungsergebnisse letztlich kaum berücksichtigt, trifft auf die vorliegenden Studie glücklicherweise also nicht zu. [4]

Dass Stephan Conermann und Nader Purnaqcheband einen derart prominenten Status in dieser so wichtigen Studie bekommen, kann also gar nicht genug begrüßt werden, da beide letztlich für eine ausführliche Neuinterpretation der Mogul-Historiographie argumentieren. Denn so vielversprechend und wichtig die neuesten Ansätze innerhalb der Geschichtswissenschaft auch sind, beispielsweise diejenigen der Globalgeschichte, so besteht dennoch die Gefahr, dass man sich den Mogulquellen viel zu unkritisch nähert und letztlich eins zu eins aus ihnen zitiert, ohne auch nur Ansatzweise auf die mögliche 'hidden Agenda' und narrative[n] Strategie[n] der Autoren einzugehen. [5] Und so entstehen Narrative, die Historikern wie Niall Fergusson oder Heinrich August Winklers für ihre Argumentation einer teleologisch fundierten Dominanz Europas die beste Grundlage liefern: Beispielsweise wird immer wieder auf die angeblich fehlende wissenschaftliche Neugierde muslimischer Eliten im Vergleich zu frühneuzeitlichen europäischen Forschern verwiesen, um den Aufstieg Europas kulturhistorisch belegen zu können: "Again, one of the central reasons why technology allegedly remained static was the cultural attitude of the elite, which was portrayed as lacking in scientific curiosity and technological application." (22) Hier richtet sich die Kritik vor allem gegen die Ansätze der Aligar-Schule: "Aside from its place in such blunt-edged culturalist formulations, 'ideology ', usually simply read as 'religion ' had to be seen as largely irrelevant for purposes of historical analysis. The main contradictions and tensions in the empire were to be viewed as structural, and flowing from the clash of interest rather than ideological perspectives. Even the reasons for the curious elite ideology mentioned above are not to be investigated, but treated as given." (ibid.) Die wesentliche Ursache für diese Tendenz sehen die Autoren - und genau hier nehmen sie die Kritik von Conermann und Purnaqchebands Studien auf - nun darin, dass man sich den Quellen ohne jegliche gezielte Methodik genähert und - beispielsweise - die Ergebnisse der Literaturwissenschaften oder der Exegese viel zu lange außer Acht gelassen hat: "Part of the reason of this appeared to be the need to use certain selected texts quite literally, rather than consider the possibility that they may have been ideology motivated. The notion of the 'normative' text thus did not feature in these writings for the most part." (ibid.)

An vielen Stellen unternehmen die Autoren bereits eine gezielte Analyse der narrativen Struktur ihrer jeweiligen Texte, [beispielsweise 252-255]; manchmal würde man sich aber auch ein wenig mehr wünschen, etwa bei der ausgezeichneten Darstellung von Nek Rai's Schriften (geboren 1640), dessen Reisebericht für eine narratologische Analyse geradezu prädestiniert erscheint - wie sah es beispielsweise mit der Funktion der Charaktere und der Umwelt aus, welche Emotionen können wir aus dem Text gewinnen, welche Grenzen (natürliche, kulturelle, etc ...) wurden vom Autoren gezogen, welche stilistischen Mittel wurden eingesetzt, um die Leser und Zuhörer durch den Text zu führen... Diese Fragen werden kaum beantwortet, was wohl auch gar nicht primäres Ziel der Autoren war und nachfolgenden Studien überlassen werden soll. Vielmehr zeigen Alam und Subrahmanyam durch ihre Quellenanalyse überzeugend auf, dass auch im frühneuzeitlichen Indien eine Form der 'Gelehrtenrepublik' existierte und man die Zunahme der wissenschaftlichen Neugierde und des intellektuellen Austausches zwischen den Gelehrten keinesfalls nur auf das Europa des 16. Und 18. Jahrhunderts beschränken darf (ausführlich in den Kapiteln The Mughals look beyoned the Winds, 88-122 und The Making of a Munshī, 311-338). [6]

Mit der vorliegenden Studie haben Alam und Subrahmanyam einmal mehr ihr Können unter Beweis gestellt. Es ist unmöglich, hier auf jedes einzelne Kapitel einzugehen - wenngleich sie allesamt zu empfehlen sind. Auf dem neusten Stand der Forschung geschrieben, kombiniert das Buch eine beeindruckende Menge an Fachwissen mit dem lebendigen Interesse, Denkanstöße in neue Richtungen zu geben. All dies macht Writing the Mughal World zu einer ausgezeichneten Studie, die unbedingt zu empfehlen ist und die zur absoluten Pflichtlektüre innerhalb der Mogulforschung, Islam-und Kulturwissenschaften gehören sollte.


Anmerkungen:

[1] Stephan Conermann: Historiographie als Sinnstiftung, Wiesbaden 2002.

[2] Muzaffar Alam / Sanjay Subrahamanyam: The Mughal State, 1526-1750, Oxford 2008 [8 Aufl.].

[3] Nader Purnaqcheband: Strategien der Kontingenzbewältigung. Der Mogulherrscher Humāyūn [r. 1530-1540 und 1555-1556] dargestellt in der "Taẕkirat al-Waqiʿāt" seines Leibdieners Jauhar Āftābčī, Schenefeld 2007.

[4] Eva Orthmann: Rezension von: A. Azfar Moin: The Millennial Sovereign. Sacred Kingship and Sainthood in Islam, New York: Columbia University Press 2012, in: sehepunkte 13 (2013), Nr. 7/8 [15.07.2013], URL: http://www.sehepunkte.de/2013/07/22599.html

[5] Rosalind O'Hanlon: Religious Cultures in Early Modern India. New Perspectives, London 2012. Siehe hierzu meine Bemerkungen zu Heidi Pauwels: A Tale of two Temples: Mathurā's Keśavadeva and Orcchā's Caturbhujadeva, in: ibid., 146-168 in der Besprechung zu Kumkum Chatterjee's letzter Studie im vorliegenden Forum.

[6] Dass sich diese Tatsache innerhalb der Forschung bedauerlicherweise noch nicht durchgesetzt hat, zeigt einmal mehr die klassisch eurozentrisch argumentierende, gerade erschienene und viel gelobte Studie von Philip Bal: Curiosity. How Science became interested in everything, Chicago 2013.

Tilmann Kulke