Rezension über:

Alexander Koller (Hg.): Die Außenbeziehungen der römischen Kurie unter Paul V. Borghese (1605-1621) (= Bibliothek des Deutschen Historischen Instituts in Rom; Bd. 115), Tübingen: Niemeyer 2008, XVI + 527 S., ISBN 978-3-484-82115-6, EUR 76,00
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Richard Bösel / Grete Klingenstein / Alexander Koller (Hgg.): Kaiserhof - Papsthof. (16.-18. Jahrhundert) (= Publikationen des Historischen Instituts beim Österreichischen Kulturforum in Rom. Abhandlungen; Bd. 12), Wien: Verlag der Österreichischen Akademie der Wissenschaften 2006, 307 S., ISBN 978-3-7001-3671-2, EUR 76,00
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Rezension von:
Bettina Scherbaum
Bad Aibling
Redaktionelle Betreuung:
Julia A. Schmidt-Funke
Empfohlene Zitierweise:
Bettina Scherbaum: Die Außenbeziehungen der römischen Kurie (Rezension), in: sehepunkte 9 (2009), Nr. 3 [15.03.2009], URL: https://www.sehepunkte.de
/2009/03/14566.html


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Die Außenbeziehungen der römischen Kurie

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Das Papsttum und die römische Kurie zählten zu fast allen Zeiten der geschichtswissenschaftlichen Forschung zu den Interessenschwerpunkten der Historiographie. Das Erkenntnisinteresse und die Fragestellungen veränderten sich dabei vielfach und wurden kontinuierlich weiterentwickelt. Über politische und kirchenpolitische Fragestellungen hinaus rückte in den vergangenen Jahrzehnten, ausgehend von der neueren Höfe-Forschung und der historischen Anthropologie, der römisch-päpstliche Hof nicht nur als Schauplatz von Zeremoniell und Repräsentation in den Fokus der Forschung, sondern wurde außerdem unter mikropolitischen Gesichtspunkten, also im Hinblick auf Schaffung und (Aus-)Nutzung von persönlichen Loyalitäten, eingehend erforscht. Wegweisend hierfür waren zahlreiche Arbeiten aus der Schule von Wolfgang Reinhard. Außer den mikropolitischen Fragestellungen sind jedoch auch makropolitische Aspekte, etwa die Beziehungen der römischen Kurie zu anderen Territorien und Institutionen ungebrochen aktuell und bedeutsam, weshalb eine Engführung beider Erkenntnisinteressen, gerade im Vergleich, geboten schien.

Wie lohnend eine solche komparatistische Bündelung vor dem Hintergrund der genannten methodischen Ansätze und Fragestellungen sein kann, zeigen die hier vorzustellenden zwei Publikationen, beleuchtet die eine doch die Außenbeziehungen der römischen Kurie innerhalb eines bestimmten Zeitraums, während die andere beispielhaft zwei Höfe, den päpstlichen Hof in Rom und den Hof des Kaisers, über einen längeren Zeitraum hinweg vergleichend in das Zentrum der Aufmerksamkeit stellt.

Das 400. Jubiläum des Pontifikatsbeginns von Papst Paul V. (1605-1621) nahm das Deutsche Historische Institut in Rom zum Anlass, im Mai 2005 eine internationale Tagung zu den Außenbeziehungen der römischen Kurie unter dem Borghese-Papst zu veranstalten. Die Beiträge dieser Tagung sind, herausgegeben vom stellvertretenden Direktor des DHI Alexander Koller, in vorliegendem Sammelband erschienen. Er macht einerseits Ergebnisse von Editionsunternehmen des DHI fruchtbar, das bereits verschiedentlich Nuntiaturberichte aus dieser Epoche wie auch die Hauptinstruktionen Pauls V. an sämtliche von ihm entsandte Nuntien publiziert hat. Andererseits ist der Pontifikat Pauls V. für eine Untersuchung der Außenbeziehungen der Kurie quasi prädestiniert, da er dank zahlreicher größerer und kleinerer Studien aus dem Umkreis von Wolfgang Reinhard zu den am besten erforschten Regentschaften eines frühneuzeitlichen Herrschers zählt.

Die Themen der Aufsätze lassen sich mehreren großen Blöcken zuordnen. Eine erste Gruppe von Beiträgen widmet sich allgemeinen Fragestellungen. So untersucht Maria Theresa Fattorini die Bestrebung der Kurie für die Umsetzung der Bestimmungen des Konzils von Trient, so wie sie sich aus den Instruktionen für die Nuntien ergeben, Anthony D. Wright die päpstliche Jurisdiktion und die Jesuiten im Zusammenhang mit dem venezianischen Interdikt von 1606/1607. Giampiero Brunelli beleuchtet die wenig beachteten militärpolitischen Initiativen Pauls V., so u.a. den Ausbau der Festung Ferrara und Reformen in der päpstlichen Armee. Wolfgang Reinhard beschäftigt sich mit dem Verhältnis von Makro- und Mikropolitik in den Außenbeziehungen Roms und stellt hierbei fest, dass makropolitische Diskurse vor allem in den Generalinstruktionen gepflegt werden, während in der diplomatischen Alltagskorrespondenz der Nuntien und in den Privatbriefen vor allem die Mikropolitik dominiert.

Eine zweite Gruppe von Aufsätzen behandelt die politischen und konfessionellen Aspekte der Beziehungen der römischen Kurie zu den wichtigsten außeritalienischen katholischen Territorien. Im Hinblick auf das Reich widmet sich Jan Paul Niederkorn den letzten Regierungsjahren Kaiser Rudolfs II. Er stellt fest, dass für die Kurie eine Einflussnahme auf die Entscheidungsprozesse immer schwerer wurde und Paul V. zu einer zunehmend zurückhaltenden Außenpolitik überging, was sich auch auf sein finanzielles Engagement auswirkte. Ebenfalls mit den Beziehungen zum Reich befasst sich Alexander Koller. Ein zentrales Thema der diesbezüglichen päpstlichen Politik war seit 1612 vor allem die Frage der Nachfolge von Kaiser Matthias, bei der Rom den innerösterreichischen Regenten Erzherzog Ferdinand unterstützte. Alexander Koller beleuchtet dieses Thema und geht dabei auf die problematische Rolle des leitenden Ministers von Kaiser Matthias, Kardinal Melchior Klesl, ein. Für die konfessionell gespaltenen böhmischen Länder gibt Václav Bůžek einerseits einen Überblick über Ziele und Mittel der Katholiken im Hinblick auf eine Rekatholisierung und untersucht andererseits das Bild Pauls V. in allegorischen Werken des evangelischen Milieus. Zu den zentralen Aufträgen der Nuntien in Frankreich zählte die Verhinderung eines Krieges zwischen Frankreich und Spanien, was von Olivier Poncet herausgearbeitet wird. Die Politik der Kurie gegenüber Spanien untersucht Bernardo J. García, mit Polen beschäftigt sich Leszek Jarmiński und mit Portugal Silvano Giordano.

Schließlich stellten die italienischen Staaten auf der Apenninhalbinsel einen wichtigen Teil der Außenbeziehungen der Kurie dar, weshalb sich diesen eine dritte Serie von Aufsätzen widmet. Zu den weitreichendsten außenpolitischen Konflikten während des Borghese-Pontifikats gehörte die Verhängung des Interdikts gegen Venedig, den Stefano Andretta in den Kontext diplomatischer und kirchenpolitischer Aspekte einbettet. Die Beziehungen zu dem unter spanischer Herrschaft stehenden Neapel untersucht Guido Metzler im Hinblick auf Familienpolitik, Jurisdiktion und Ökonomie. Im ebenfalls spanischen Mailand wirkte als inoffizieller päpstlicher Vertrauensmann Giulio della Torre, dessen heikle Stellung und verschiedenen Aufgaben Julia Zunckel darstellt. Christian Wieland beleuchtet die Beziehungen zu dem von den Medici regierten Großherzogtum Toskana, Toby Osborne diejenigen zum Haus Savoyen, für das die diplomatischen Verbindungen zum Papst nicht zuletzt im Kampf um dynastisches Prestige eminent wichtig waren. Schließlich nimmt sich Moritz Trebeljahr des Sonderfalls der Beziehungen des Papstes zum Malteserorden an, die sich im Spannungsfeld der territorialen Herrschaft des Ordens über die Insel Malta und seiner Stellung als kirchlicher Orden bewegten. Den Bogen zur außereuropäischen Politik schlagen zwei weitere Beiträge, die einen vierten Block ausmachen: Matteo Sanfilippo beschäftigt sich mit Mission und Kolonisation in Nordamerika, Giovanni Pizzorusso gibt einen Überblick über weitere außereuropäische diplomatische Kontakte des Papsttums in den Nahen und Fernen Osten sowie nach Afrika.

Eine fünfte Einheit von Aufsätzen widmet sich den Reformnuntiaturen in Graz (Elisabeth Zingerle), Köln (Peter Schmidt), Luzern (Urban Fink) und Brüssel (Bruno Boute).

Zusammengenommen ergibt sich aus diesen Beiträgen eine thematische Breite, die die Vielgestaltigkeit der Außenbeziehungen der Kurie unter Paul V. und damit den grundsätzlichen Aktionsradius des Borghese-Papstes eindrucksvoll sichtbar macht. Der Band ist jedoch nicht allein eine bloße Versammlung von Aufsätzen, verbunden durch einen zeitlichen und thematischen Rahmen. Vielmehr ziehen sich einige Aspekte wie ein Leitmotiv durch die einzelnen Texte. Hier sind zunächst die Generalinstruktionen sowie die Nuntiaturkorrespondenz als zentrale Quellengattungen zu nennen, die für alle Beiträge eine wesentliche Grundlage darstellen und deren eminent große Bedeutung für die Forschung anschaulich sichtbar wird. Auch methodisch gesehen ergibt sich ein roter Faden, da annähernd alle Autoren im Sinne der historischen Anthropologie die Frage nach dem Verhältnis von Makropolitik und Mikropolitik berücksichtigen. Über ereignisgeschichtliche Aspekte der verschiedenen Beziehungen der Kurie hinaus werden so die politischen Akteure und ihre Interessen, Verflechtungen und Beziehungen deutlich.

Der sorgfältig gestaltete Band trägt dem Gang und der Entwicklung der Historiographie insofern Rechnung, als er im Register nicht nur das übliche Orts- und Personenverzeichnis bereitstellt, sondern auch die Namen der in den Beiträgen zitierten Wissenschaftler und Gelehrten des 19. und 20. Jahrhunderts aufnimmt. So versammelt und bündelt der Tagungsband nicht nur Ergebnisse der vielfältigen Forschungen zur kurialen Diplomatie und zur römischen Mikropolitik der vergangenen Jahre, sondern schreibt diese gleichzeitig mit einem gewichtigen Beitrag fort.

Der zweite hier vorzustellende Band ist ebenfalls Ergebnis einer Tagung, die im November 2003 in Rom in Zusammenarbeit verschiedener deutscher und österreichischer historischer Institute und Einrichtungen durchgeführt wurde. Er stellt die Beziehungen zwischen Kaiserhof und Papsthof in den Mittelpunkt und untersucht diese vor allem für das späte 16. und frühe 17. Jahrhundert.

In den Aufsätzen des ersten Teiles, der sich mit Politik und Diplomatie beschäftigt, wird mehrfach das Wirken päpstlicher Nuntien und Gesandter am kaiserlichen Hof untersucht. Alexander Koller analysiert die Berichte der Nuntien am Beginn der Regierung Rudolfs II., deren Aufgabe es war, eine Einschätzung des neuen Herrschers vorzunehmen und katholische Angehörige des kaiserlichen Hofstaates für ihre Ziele zu gewinnen. Die zunehmend schwierige Stellung des Nuntius Cesare Speciano in den 1590er Jahren beleuchtet Alena Pazderová; Jan Paul Niederkorn beschäftigt sich mit den gescheiterten Geheimverhandlungen des Prager Nuntius Spinelli über eine Abtretung von Modena und Reggio an den Heiligen Stuhl. Die Legation des Kardinals Franz von Dietrichstein zur Hochzeit von König Matthias mit Anna von Tirol 1611 ist Thema des Beitrags von Silvano Giordano. Den Bogen zurück nach Rom schlägt Martin Faber, der die problematische Doppelrolle von Scipione Borghese als Kardinalnepot und Protektor des Reiches untersucht. Die diplomatischen Vertreter des Kaisers in Rom, nämlich die römische Familie Savelli und ihre Stellung und Aufgaben, macht Irene Fosi zum Gegenstand ihrer Untersuchung. Guido Braun analysiert die Relation des Nuntius Carlo Carafa, der eine umfassende Darstellung der Geschichte des jüngeren Reiches und seiner politischen Strukturen und zugleich einen Rechenschaftsbericht seiner eigenen Amtsführung verfasst hatte, und zeichnet ihre hochkomplexe Überlieferung nach. Carlo Carafa und dem Kapuziner Valerio Magni, der neben dem Nuntius ebenfalls auf dem Feld der kurialen Böhmenpolitik agierte, spürt Alessandro Catalano nach.

Über konkrete politische Fragen hinaus rückt der zweite Teil die Aspekte Zeremoniell und Zeremonien ins Blickfeld. Elisabeth Garms-Cornides untersucht das Zeremoniell des Nuntius am Kaiserhof im 17. und 18. Jahrhundert. Mit der Feier der Fronleichnamsprozessionen in Rom und Wien beschäftigen sich Maria Antonietta Visceglia und Martin Scheutz.

Schließlich greifen vier Beiträge das Oberthema "Kunst und Feste" und ihren Einsatz in Zeremoniell und Repräsentation auf. Friedrich Polleross beleuchtet die Vorbildwirkung der römischen Kunst für den repräsentativen Herrschaftsstil und die Sammlungspolitik der Habsburger. Richard Bösel beschreibt Pläne für eine Stiftung Ferdinands II. in der Jesuitenkirche Il Gesù. Mit einer ganz speziellen Form der Festkultur beschäftigt sich Andrea Sommer-Mathis, die frühneuzeitliche Krönungsfestlichkeiten am Kaiser- und am Papsthof untersucht. Schließlich stellt Rainer Heyink dar, wie Feste und Musik in Rom zur kaiserlichen Machtrepräsentation instrumentalisiert und genutzt wurden. Gerade im letzten Teil machen zahlreiche Abbildungen deutlich, wie sehr bereits die Zeitgenossen auch an bildlichen Darstellungen der abgehaltenen Feierlichkeiten interessiert waren, um deren ephemeren Charakter durch überdauernde Dokumente auszugleichen.

Für die Fragestellungen der Residenz- und Zeremoniellforschung erweist sich die Einbeziehung von historischen Nachbardisziplinen wie der Kunst- oder Musikwissenschaft über die klassischen politischen und diplomatischen Themen hinaus als äußerst fruchtbar, weil eben Repräsentation in allen Bereichen zum Tragen kam. Gleichzeitig können durch die erweiterten Fragestellungen auch die klassischen Quellengattungen wie die Nuntiaturberichte, aus denen auch die Aufsätze dieses Bandes schöpfen, neuen Erkenntnissen dienen. Schade nur, dass die ansonsten schön ausgestattete Publikation auf ein Register verzichtet; gerade angesichts der vergleichenden Konzeption wäre ein solches für die Lektüre des Bandes sicherlich gewinnbringend gewesen.

Beide Bände bereichern jedoch fraglos die Frühneuzeitforschung um detaillierte Spezialstudien, die einerseits Impulse für weitere Untersuchungen aus diesen Bereichen geben können, aber auch durch die in ihnen präsentierten konkreten und anschaulichen Beispiele Vergleichspunkte für andere Fälle setzen.

Bettina Scherbaum