Rezension über:

Hans-Ulrich Wiemer: Alexander der Große, München: C.H.Beck 2005, 243 S., 9 Abb., 4 Karten, ISBN 978-3-406-52887-3, EUR 19,90
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Rezension von:
André Heller
Institut für Geschichte, Friedrich-Alexander-Universität, Erlangen-Nürnberg
Redaktionelle Betreuung:
Matthias Haake
Empfohlene Zitierweise:
André Heller: Rezension von: Hans-Ulrich Wiemer: Alexander der Große, München: C.H.Beck 2005, in: sehepunkte 5 (2005), Nr. 10 [15.10.2005], URL: https://www.sehepunkte.de
/2005/10/8473.html


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Hans-Ulrich Wiemer: Alexander der Große

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Alexander der Große gehört zu den Persönlichkeiten der Geschichte, die schon zu Lebzeiten die Menschen faszinierten und zugleich spalteten in Bewunderer oder aber in Leute, die sie verabscheuten. Diese Faszination ist bis heute ungebrochen, in letzter Zeit wieder verstärkt durch Oliver Stones Hollywood-Film zum Leben des Makedonenkönigs. Sozusagen im Kielwasser dieses Filmes sahen sich einige Verlage dazu veranlasst, bislang erschienene Alexander-Biografien noch einmal aufzulegen. Das hier zu besprechende Buch von Ulrich Wiemer ist dagegen keine Neuauflage, sondern eine Neuerscheinung, die sich als Studienbuch zu Alexander dem Großen versteht. Wer über Alexander schreibt, ist stets dem Risiko ausgesetzt, seiner Faszination zu erliegen oder aber, in bewusster Abgrenzung davon, einen allzu kritischen Standpunkt einzunehmen. Gleichzeitig aber steht er in einer mehr als 2000 Jahre alten Tradition der Alexander-Biografen, deren Schatten er erst einmal zu überspringen hat.

Passend dazu widmet sich Wiemer zu Beginn kritisch "Alexander und dem Problem der historischen Größe" (9-15). Dem Charakter eines Studienbuches angemessen ist der sehr ausführliche Überblick zu den literarischen, epigrafischen, numismatischen und indigenen Zeugnissen zu Alexander (16-46). Die literarischen Quellen werden durchweg beurteilt und in ihren Kontext eingeordnet, was auch deshalb wichtig ist, da die zeitgenössische Überlieferung zu Alexander nur noch über spätere Autoren teilweise greifbar ist, die fast ausschließlich in die römische Kaiserzeit gehören.

Zu dem auf einer Doppelseite (44 f.) abgebildeten Fries aus dem so genannten Philippsgrab aus Vergina ist zu bemerken, dass dieses wohl nicht Alexander mit seinem Vater Philipp II. zeigt, sondern auf Alexander IV. zu beziehen ist. [1]

Bevor sich Wiemer Alexander dem Großen zuwendet, skizziert er in zwei Kapiteln Geschichte und Struktur des Perserreiches bis auf die Regierung Dareios' III. (47-57) und die Entwicklung Makedoniens unter Philipp II. (58-73). Wiemer kommt es gerade bei der Darstellung zu den Persern auf die Feststellung an, dass nichts darauf hindeute, dass "das Reich der Achämeniden ohne den Alexanderzug aus inneren Gründen gewissermaßen kollabierte" (56).

Das Buch ist chronologisch aufgebaut, beginnend mit der Jugend und der Herrschaftsübernahme Alexanders, wobei der Autor zu Recht nicht versucht, die Hintergründe der Ermordung Philipps II. aufzuklären, sondern lediglich die vorhandenen persönlichen Motive des Mörders darlegt (80-82). Auch bei der Motivation des viel diskutierten Speerwurfs Alexanders bei seiner Landung in Kleinasien hält sich Wiemer zurück, sondern verweist auf die mehrdeutige Symbolik der Geste (91 f.).

Die weitere Gliederung folgt dem Marschweg Alexanders. Die drei dem Zug Alexanders gewidmeten Kapitel stellen in sich geschlossene Blöcke dar, die jeweils von einer Zeittabelle eingeleitet werden: Überquerung des Hellespont bis zum Brand von Persepolis 330 v. Chr. (86-117), der Marsch bis zum Indus mit der von den Soldaten erzwungenen Umkehr im Jahr 325 v. Chr. (118-150) und der Rückmarsch Alexanders bis zu seinem Tod in Babylon 323 v. Chr. (151-170). Leider bewertet der Autor viele der legitimierenden Handlungen Alexanders in den eroberten Gebieten wie in Gordion, Tyros, Ägypten oder Babylon wenig hintergründig, ignoriert dabei teilweise neuere Ansätze der Forschung. Dem Verhalten Alexanders in Ägypten und Babylon sollen daher die folgenden Ausführungen gelten.

Wiemer kritisiert, dass hinsichtlich der Reise Alexanders nach Siwa in der Sekundärliteratur immer wieder zu lesen sei, "die Quellen hätten Sinn und Bedeutung der Befragung entweder mißverstanden oder falsch dargestellt" (109). Diese Kritik trifft jedoch nur zum Teil zu. Zweifelsohne ist es richtig, dass das "Orakel für die Herrschaftslegitimation der Pharaonen bis dahin ohne Bedeutung gewesen" sei. Doch weswegen zweifelt Wiemer daran, dass Alexander in Memphis zum Pharao gekrönt worden sei? Es ist doch kaum glaublich, dass er solche Formalitäten für überflüssig gehalten haben könnte. Durch das Gottesopfer in Memphis war Alexander zum Pharao geworden, da dies ein Privileg des Pharaos darstellte. Auch wenn die Krönung Alexanders nur vom Alexanderroman überliefert wird, die ägyptischen Priester jedenfalls hätten ihn nicht nach eigenem Gutdünken zum Pharao machen können. Somit konnte ihn der Priester im Ammoneion zu Siwa auch nicht anders ansprechen als mit "Sohn des Ammon (= Zeus)". Damit war durch den Besuch des in Griechenland akzeptierten Orakels in Siwa für Alexander jene gewünschte Manifestation seiner göttlichen Abkunft für die griechische Welt erreicht.

Auch das vom Agieren Alexanders in Babylon entworfene Bild ist nicht zutreffend. Zwar erwähnt Wiemer im Quellenteil die 'Astronomischen Tagebücher' und die 'Dynastische Prophetie' als keilschriftliche Quellen und verweist auch im Literaturteil auf den Aufsatz von Robartus van der Spek [2], doch die darin gewonnenen Erkenntnisse werden nicht übernommen. Das Verhalten der Chaldäer gegenüber Alexander wird durchgehend als Versuch gewertet, ihren Einfluss stärker zur Geltung zu bringen. Der bei Arrian ausgesprochene Verdacht, die Chaldäer hätten Tempelgelder unterschlagen und deshalb Alexander am Einmarsch in die Stadt hindern wollen, ist ein typisch griechisches Missverständnis. Nicht der Tempel, sondern allein der König besaß die Kontrolle über die Finanzen und die Einnahmen der Großtempel. Der bei allen Alexanderhistorikern auftretende "Fremde auf dem Thron" als Unglück verheißendes Omen wird von Wiemer nur zögernd als das altorientalische Ritual des Ersatzkönigs akzeptiert und ebenfalls als Trick der Chaldäer bewertet (166). Doch ohne das Einverständnis Alexanders hätte das Ritual keinen Zweck gehabt. In der Literaturliste hätte zum Ersatzkönigtum die Dissertation von Hans Martin Kümmel angeführt werden müssen. [3]

Resümierend lesen wir, dass Alexander "seine Rolle als König von Babylon alles andere als perfekt" gespielt habe (167), da er sich auf die griechischen Seher verlassen habe. Doch gerade das Gegenteil ist der Fall: Das gesamte Verhalten Alexanders steht im Einklang mit den Anforderungen an einen König von Babylon. Dies beginnt mit dem Befehl zur Reparatur (nicht zum Wiederaufbau!) der Tempel und dem Opfer vor Marduk bei seiner Ankunft 331 v. Chr., was Wiemer ja sogar zugestehen muss. Auch hier - wie in Ägypten - ist das Opfer die formale Inthronisierung, was Wiemer jedoch als Zugeständnis an die Priester auffasst (113: "den babylonischen Priestern zuliebe"). Zu bemerken ist, dass "König der Länder" kein babylonischer, sondern ein persischer Titel ist, der seit Xerxes auch in den babylonischen Dokumenten verwendet wird. Auch nach seiner Rückkehr nach Babylon verhält sich Alexander normkonform, indem er sich um die Kanäle kümmert. Die Arrian entnommene Angabe zur Beseitigung von Sperren im Tigris (157) ist nicht als Zerstörung von Bewässerungsanlagen zu verstehen.

Abgerundet wird das Buch im "Versuch einer Bilanz" (175-185), in dem sich der Autor mit verschiedenen Aspekten wie den Zielen Alexanders, seinen Stadtgründungen oder der zeitgenössischen Reaktion auf seine Herrschaft beschäftigt. Ausführlich geht Wiemer auf die Alexanderrezeption von der Antike durch das Mittelalter (186-200) ein, wozu sich im Literaturverzeichnis eine Fülle weiterführender Titel findet. Leider wirkt der moderne Teil (201-208) unvollständig, so fehlt die neuere deutschsprachige Alexanderforschung bis auf Fritz Schachermeyr völlig. Ein Hinweis auf die äußerst kritische Beurteilung des Makedonenkönigs bei Wolfgang Will wäre durchaus angebracht gewesen. [4]

Die Darstellung ist das gesamte Buch hindurch flüssig und gut lesbar geschrieben. Die Angabe der Betonung auf den Eigennamen ist eine schöne Hilfe, gerade weil die Kenntnis des Altgriechischen immer weniger unter Studenten verbreitet ist. Sehr positiv fallen die immer wieder eingefügten Übersetzungen aus den Quellen auf, die im Anschluss kommentiert und bewertet werden. Als Manko bleibt jedoch festzuhalten, dass die Entscheidung, ganz auf Anmerkungen zu verzichten, das im Vorwort formulierte Ziel der Einführung "in die vielfältigen und vielschichtigen Probleme, mit denen sich jeder konfrontiert sieht" (7), schwerlich zu erreichen hilft. Die am Ende gebotene Literaturliste, die zumeist auf dem neuesten Stand ist, gliedert sich nach den verschiedenen Kapiteln, doch ermöglicht sie dem Leser nicht, der Meinungsbildung des Verfassers im Einzelnen zu folgen. Der Zweck eines Studienbuches zu Alexander dem Großen wird vollends erreicht. Die angesprochenen Defizite bei der Bewertung des Verhaltens Alexanders in Ägypten und Babylon sind verzeihlich. Dazu muss hervorgehoben werden, dass der Autor weder in positiver noch in negativer Hinsicht dem Mythos Alexanders erlegen ist, was zu durchweg nachvollziehbaren, auf den Quellen und der Sekundärliteratur beruhenden Wertungen geführt hat.


Anmerkungen:

[1] So jetzt überzeugend Franca Landucci Gattinoni: L'arte del potere. Vita e opere di Cassandro di Macedonia (= Historia Einzelschriften; 171), Stuttgart 2003, 44-56.

[2] Robartus van der Spek: Darius III., Alexander the Great, and Babylonian scholarship (= Achaemenid History; XIII), Leiden 2003, 289-346.

[3] Hans Martin Kümmel: Ersatzrituale für den hethitischen König (= Studien zu den Boghazköy-Texten; 3), Wiesbaden 1967.

[4] Wolfgang Will: Alexander der Große, Stuttgart 1986.

André Heller