Rezension über:

Hans Beck / Hans-Ulrich Wiemer (Hgg.): Feiern und Erinnern. Geschichtsbilder im Spiegel antiker Feste (= Studien zur Alten Geschichte; Bd. 12), Berlin: Verlag Antike 2009, 240 S., ISBN 978-3-938032-34-3, EUR 54,90
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Rezension von:
Andreas Hartmann
Katholische Universität Eichstätt-Ingolstadt
Redaktionelle Betreuung:
Matthias Haake
Empfohlene Zitierweise:
Andreas Hartmann: Rezension von: Hans Beck / Hans-Ulrich Wiemer (Hgg.): Feiern und Erinnern. Geschichtsbilder im Spiegel antiker Feste, Berlin: Verlag Antike 2009, in: sehepunkte 10 (2010), Nr. 9 [15.09.2010], URL: https://www.sehepunkte.de
/2010/09/17938.html


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Hans Beck / Hans-Ulrich Wiemer (Hgg.): Feiern und Erinnern

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Der von Hans Beck und Hans-Ulrich Wiemer herausgegebene Sammelband geht im Kern auf eine Sektion des Konstanzer Historikertages 2006 zurück, der unter dem Generalthema "GeschichtsBilder" stand. Im Speziellen thematisiert der Band den Konnex zwischen Festen und sozialer Erinnerung.

In einer ausführlichen Einleitung (9-54) liefern die Herausgeber eine theoretische Fundierung der Fragestellung. Fest und Erinnerung sind keine neuen Themen der Geschichtswissenschaft, wurden aber bisher kaum im Zusammenhang bearbeitet. Eine Ausnahme bildet lediglich ein wichtiger Aufsatz von Angelos Chaniotis zur Bedeutung von Gedenktagen für das Geschichtsbewusstsein der griechischen Poleis. [1] Die Einleitung vermittelt einen prägnanten Überblick über die für die Fragestellung relevanten Forschungsansätze. In Bezug auf die hellenistische Zeit grenzen die Herausgeber die Thematik insofern ein, als sie die Betrachtung auf städtische Feste beschränken. Diese seien von königlichen Festen typologisch strikt zu scheiden, da für letztere eine Trennung zwischen professionellen Akteuren und passiven Rezipienten typisch ist (diese Ausführung Wiemers auf 84).

Der Beitrag von Hans Beck (56-82) ist den Polisfesten der klassischen Zeit gewidmet. Insbesondere am Beispiel der Totenopfer und Eleutherien von Plataiai sowie der thebanischen Daphnephorien verdeutlicht Beck den Zusammenhang zwischen rituellen Feiern und der Weitergabe sozialer Erinnerung, insbesondere an die Epheben. Wie Beck selbst anmerkt, ergibt sich freilich ein grundsätzliches quellenkritisches Problem daraus, dass die besprochenen Feste fast ausschließlich über hellenistische oder kaiserzeitliche Quellen fassbar sind. [2]

Hans-Ulrich Wiemer (83-108) behandelt anschließend die Feste der hellenistischen Poleis am Beispiel der Leukophryena und Eisiteria in Magnesia am Mäander, der Erinnerung an eine Epiphanie der Artemis Kindyas in Bargylia und der Mysterien von Andania. Insgesamt sieht Wiemer eine zunehmende Tendenz zur Herausstellung gemeingriechisch relevanter Erinnerungsbestände, was faktisch auf eine Aufwertung frühgeschichtlich-mythischer Erinnerungsinhalte hinauslief. Seit dem 2. Jahrhundert v.Chr. sei zudem tendenziell eine Vereinnahmung von Fest und Erinnerung durch exklusive Minderheiten zu beobachten. Insgesamt freilich seien vor allem die Kontinuitäten zur klassischen Zeit augenfällig.

Jeder, der sich mit antiken Erinnerungskulturen beschäftigt, muss sich mit einer Fülle aitiologischer Überlieferungen auseinandersetzen, deren Breitenwirkung nur schwer abzuschätzen ist. Insofern kommt dem Beitrag von Rene Pfeilschifter (109-139) eine besondere methodologische Bedeutung zu, da er genau dieses Problem anhand der divergierenden Erklärungen der römischen Poplifugia sowie der Nonae Caprotinae erörtert. Pfeilschifter sieht die Aitiologien als Versuche, den Bedeutungsverlust alter Kulte auszugleichen, indem man sie mit neuen, historischen Inhalten füllte, die für die Ritualgemeinde identitätsrelevant waren. Für die Nonae Caprotinae bezeugt Varro immerhin, dass den Römern eine aitiologische Begründung des Festes in Form einer fabula praetexta während der ludi Apollinares nahe gebracht wurde (l. l. 6,19; dazu 128-132).

Die Festkalender der frühen Kaiserzeit behandelt Ralf Behrwald (141-166). Mit Recht macht er deutlich, dass die selektive Aufnahme von Kaiserfesten in die einzelnen Kalender als Dokument eines Rezeptionsprozesses zu sehen ist. Konkrete Aussagen über die der Auswahl zugrundeliegenden Kriterien lassen sich allerdings aus dem Material kaum ableiten. Die augusteische Epoche führte mit der Einführung zahlreicher neuer Feste, die den Anbruch eines neuen Zeitalters verkünden sollten, zu einem letzten Gipfelpunkt spätrepublikanischer Festkultur. Sehr bald zeigte sich freilich, dass diese Praxis nicht weiter fortzuschreiben war. Die Wechselfälle der Politik hätten eine ständige Anpassung des Festkalenders notwendig gemacht und die Fülle der Feste führte wohl auch zu einer gewissen Übersättigung. Nach dem Ende der julisch-claudischen Dynastie kamen daher die meisten Kaiserfeste zu Gunsten einer Konzentration auf die Herrschergeburtstage außer Gebrauch. Darin äußert sich ein Geschichtsbild, das die Kaiserzeit als eine Folge vorbildhafter Herrschergestalten begreift, ohne individuelle politische Leistungen in den Blick zu nehmen.

Die beiden abschließenden Beiträge von Matthäus Heil zu den Jubilarfeiern der römischen Kaiser (167-202) sowie von Mischa Meier (203-232) zur Abschaffung der venationes durch Kaiser Anastasios im Jahre 499 n.Chr. gehörten nicht zum Programm der Konstanzer Sektion. Deren Vorträge wurden vielmehr für die Publikation noch um zwei Beiträge erweitert, um die exemplarische Betrachtung auch auf die Hohe Kaiserzeit sowie die Spätantike auszuweiten.

Heil füllt mit seinem materialgesättigten Überblick eine Lücke in der Literatur. Er verfolgt die Entwicklung der Jubilarfeiern von den Anfängen unter Tiberius bis in die Spätantike. Ursprünglich aus den beim Antritt eines Magistrats unternommenen vota erwachsen, entwickelten sie sich zur Repräsentation kaiserlicher Siegestheologie, die auch (und gerade) in Zeiten Konjunktur hatte, in denen es um die Sieghaftigkeit des Kaisers tatsächlich eher schlecht bestellt war. Die Christianisierung des Kaisertums sowie das Abkommen vom Typus des Feldherrnkaisers führten zum Ende der Jubilarfeiern.

Meier legt dar, dass die bisherigen Erklärungen für die Abschaffung der venationes durch Anastastios nicht zu befriedigen vermögen. In diesem Zusammenhang geht er auch ausführlich auf kosmologische Interpretationen des Hippodroms in der spätantiken Literatur ein. Mit Blick auf die eingangs formulierte Fragestellung des Aufsatzes schlägt Meier schließlich überzeugend vor, die Maßnahme des Anastasios als Reaktion auf finanzielle Engpässe nach der Aufhebung des Chrysargyron im Jahre 498 n. Chr. zu sehen.

Der thematische Zusammenhang dieser beiden Beiträge mit der Fragestellung des Sammelbandes scheint eher peripher. Das spiegelt sich auch darin, dass sie am Ende der Einleitung nur sehr knapp in das Gesamtkonzept eingebunden werden (42), indem die Jubilarfeiern als "eine Art historisches Kurzzeitgedächtnis" angesprochen und auf die spätantiken Aitiologien zum Aufkommen der Wagenrennen verwiesen wird. Der Aspekt des Erinnerns spielt jedoch in den Beiträgen selbst keine zentrale Rolle. Auch müsste geklärt werden, wie sich die Jubilarfeiern und die kaiserlichen Auftritte im Hippodrom zu der prononciert eingeforderten Unterscheidung von städtischen Festen und Herrscherfesten verhalten.

Insgesamt lässt sich konstatieren, dass es den Herausgebern gelungen ist, mit dem sorgfältig edierten Band ein vielversprechendes Forschungsfeld abzustecken, dem man weitere Bearbeitung wünscht.


Anmerkungen:

[1] Angelos Chaniotis: Gedenktage der Griechen. Ihre Bedeutung für das Geschichtsbewusstsein griechischer Poleis, in: Assmann, Jan (Hg.): Das Fest und das Heilige. Religiöse Kontrapunkte zur Alltagswelt (Studien zum Verstehen fremder Religionen. 1), Gütersloh 1991, 123-145.

[2] Der ausgehend von IG II2,1006 häufig erweckte Eindruck, es habe in Athen ein feststehendes Ephebencurriculum gegeben, das auf die Vermittlung historischen Wissens durch Besuch entsprechender Gedenkorte zielte (55 und 75), wäre zudem kritisch zu hinterfragen: Die zitierte Inschrift bietet ein singuläres Zeugnis, das in den übrigen Ephebeninschriften keine Parallele findet. In diesem Sinne noch August Mommsen: Feste der Stadt Athen im Altertum, geordnet nach attischem Kalender, Leipzig 1898, 177 (bes. Anm. 1), dessen berechtigte Reserven im Folgenden aber kaum noch Beachtung fanden. Beck folgt der communis opinio, wenn er den Zug der Epheben mit dem von Paus. 1,32,4 erwähnten Opfer für die Gefallenen von Marathon zusammenstellt. Tatsächlich spricht Pausanias an der genannten Stelle aber gar nicht von den Epheben, sondern ausdrücklich von den Marathoniern. Ob der Kult in Marathon tatsächlich in die klassische Zeit zurückreicht, ist zumindest fraglich (Karl-Wilhelm Welwei: Heroenkult und Gefallenenehrung im antiken Griechenland, in: Binder, Gerhard / Effe, Bernd [Hgg.]: Tod und Jenseits im Altertum, Trier 1991, 50-70).

Andreas Hartmann