Rezension über:

Werner Ebermeier: Landshut im Dreißigjährigen Krieg, 2., durchges. Aufl., Landshut: Isar-Post 2000, 216 S., 18 Abb., ISBN 978-3-924943-22-6, EUR 9,50
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Rezension von:
Andreas Klinger
Historisches Institut, Friedrich-Schiller-Universität, Jena
Redaktionelle Betreuung:
Michael Kaiser
Empfohlene Zitierweise:
Andreas Klinger: Rezension von: Werner Ebermeier: Landshut im Dreißigjährigen Krieg, 2., durchges. Aufl., Landshut: Isar-Post 2000, in: sehepunkte 2 (2002), Nr. 9 [15.09.2002], URL: https://www.sehepunkte.de
/2002/09/2600.html


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Werner Ebermeier: Landshut im Dreißigjährigen Krieg

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Die ehemalige Residenzstadt Landshut gehörte im Dreißigjährigen Krieg zu jenen zahlreichen unglücklichen Städten im Reich, die im Laufe der Jahre mehrfach von Truppen besetzt oder gar belagert wurden und damit den Krieg aus nächster Nähe erlebten. Im Mai 1632 besetzten die Schweden die Stadt für einige Tage und nahmen bei ihrem Abzug Geiseln mit sich, um die vollständige Zahlung der verlangten Kontribution zu erzwingen. Im Sommer 1634 erstürmten und plünderten die Schweden Landshut, das von kaiserlichen Dragonern unter Aldringen nur unzureichend verteidigt wurde. 1648 lagen dann noch einmal französische und schwedische Truppen in der Stadt.

Werner Ebermeier schildert das Schicksal der niederbayerischen Stadt in jenen Jahren sehr eindringlich. Ausgehend von allgemeineren Ausführungen zur Vorgeschichte des Dreißigjährigen Krieges sowie zur Bevölkerungsgröße und zur städtischen Verwaltung Landshuts, einer mittleren Stadt und Sitz eines der vier beziehungsweise fünf herzoglichen Rentämter, wird die Darstellung chronologisch nach den drei oben genannten Zäsuren gegliedert, wobei Ebermeier die militärischen Ereignisse um Landshut stets in einen größeren regionalen Kontext stellt.

Das Beste an dem Buch birgt zugleich auch seine Schwächen: die bis zur Detailversessenheit reichende quellennahe Genauigkeit der Darstellung. Selbstverständlich informiert Ebermeier sehr gründlich über diese Zeit der Landshuter Geschichte, doch auch ohne ein besonderes Interesse an der Geschichte Landshuts selbst kann man sich fest lesen und viel über den Umgang von Militär und Bevölkerung im Dreißigjährigen Krieg erfahren. Besonders die Passage über Aldringen in Landshut (83 ff.) liest sich außerordentlich spannend.

Werner Ebermeier stützt sich bei seiner Darstellung auf Texte ganz verschiedener Quellengattungen, die er - nicht immer nur mit Blick auf die Landshuter Begebenheiten - zum Teil auch sehr ausführlich zitiert. Weil er aber zumeist mehrere Zeugnisse zu einem Sachverhalt wiedergibt, droht sich der Faden der Erzählung häufig zu verlieren, zumal dann, wenn Ebermeier ausführlich eher periphere Probleme erörtert wie etwa die Frage, wo die nach Salzburg fliehenden Kapuzinerinnen in Laufen übernachteten (71).

Eine Mikrogeschichte Landshuts im Dreißigjährigen Krieg folgt aus der Vielstimmigkeit der herangezogenen Quellen allerdings nicht, dazu fehlt eine die Aussagekraft der Quellen reflektierende theoretische Einbettung des Geschilderten. Ebermeier liest seine Quellen stets als Erzählung des Faktischen und will in positivistischer Manier allein aus gegensätzlichen Schilderungen das Wahrscheinliche herauspräparieren. Nur selten nimmt er die Quellen als interessante Belege für eine Wahrnehmungsgeschichte des Krieges. Sollte tatsächlich Kurfürst Maximilian I. ein glaubwürdiger Zeuge dafür sein, dass die Schweden in Bayern "so unerhört und barbarisch" gehaust hätten, wie es noch "in khainem landt beschehen" sei (51)? Maximilian mochte es so empfunden haben, doch was lässt sich aus solchen ungemein verbreiteten rhetorischen Übersteigerungen bei der Schilderung der eigenen Kriegslasten anderes herauslesen als die Wahrnehmung eines Landesherrn?

Der wenig reflektierte Umgang mit den Quellen setzt sich leider auch in anderer Hinsicht fort. Ebermeier gibt recht ausführlich Fälle angeblicher Anthropophagie im belagerten Augsburg wieder, ohne - wie dies neuere Forschungen überzeugend ausführen - in Rechnung zu stellen, dass gerade in Chroniken solche Darstellungen die rhetorische Aufgabe haben konnten, metaphorisch unvergleichliche Gewalt- und Leidenserfahrungen zu schildern. Dass es zu Notkannibalismus im Dreißigjährigen Krieg kam, wird dabei in der neueren Forschungsliteratur kaum mehr bezweifelt, denn über die metaphorische Behandlung der Anthropophagie in den zeitgenössischen Berichten hinaus weisen verschiedene Indizien auf die hohe Wahrscheinlichkeit wenigstens einiger Fälle hin. Nur sollte dies seriöserweise heute nicht mehr als Schauergeschichte präsentiert werden, wie es im vorliegenden Buch unter Rückgriff auf einen alten Quellenkommentar leider geschieht (67). Nicht zuletzt behindern auch die zahlreichen Exkurse die Lektüre. Lassen sich dabei die Ausführungen zu den Landshuter Klöstern noch ereignisgeschichtlich rechtfertigen, so bleibt doch unklar, welchen Sinn etwa die Informationen über die Wölfe in Niederbayern (144) oder die schwedische Vermessung des Martinsturmes (159) haben sollen. Das Ziel, ein städtisches Schicksal im Dreißigjährigen Krieg eindringlich zu schildern, verliert sich leider in einer derart mäandernden Darstellung.

Ein letzter kritischer Punkt: Der ganze Text lässt sympathischerweise eine große Anteilnahme am Schicksal nicht nur Landshuts und der Landshuter, sondern ganz Bayerns spüren, eine Anteilnahme, die leider auch den Blick auf die Ereignisse verstellen kann. Besonders die Schilderung des "Feindes", wie Ebermeier die Schweden oft nennt, droht etwas denunziatorisch zu geraten. Dem leidenden bayerischen Land den tanzenden Schwedenkönig gegenüberzustellen (51) ist vielleicht effektvoll, verfehlt aber das Problem. Gustav Adolf war eben nicht der einzige Heerführer, der im Dreißigjährigen Krieg Länder leiden ließ. Der "Feind" der Bevölkerung war weniger die gegnerische Armee als vielmehr das Militär überhaupt. Auch bayerische und kaiserliche Kontributionen belasteten Landshut (76), doch dies reißt Ebermeier nur an, ohne auf das prinzipielle Problem der Kontributionen und Einquartierungen zu verweisen. Immerhin meinte der Autor des Jahresberichts des Landshuter Jesuitenkollegiums für 1634 Gerüchte zurückweisen zu müssen, auch befreundete Soldaten hätten große Beute gemacht (191). Und führten tatsächlich 1648 "Maximilians Friedensbemühungen ... schließlich zum Erfolg" (161)? Die gelegentliche Durchbrechung der strikt stadt- beziehungsweise regionalhistorischen Perspektive oder besser die Ergänzung derselben durch eine deutende Einbettung in den Gesamtkontext dieses Krieges hätte in der Darstellung wohl einige Einseitigkeiten vermieden.

Besonderer Wert kommt dem Buch gewiss durch die teils sehr ausführlich wiedergegebenen Auszüge bislang ungedruckter Quellen zu. So findet sich zum Beispiel der Bericht des Kapuziners Melchior von Straubing, den dieser über das Schicksal seines Ordens im Jahr der schwedischen Eroberung 1634 verfasste (121 ff.). Auch in den Anlagen finden sich noch einige Quellentexte. Werner Ebermeier hat ein Buch geschrieben, das viele interessante Geschichten enthält. Leider beeinträchtigt jedoch die übermäßige Konzentration auf Kleinigkeiten die Lektüre.


Andreas Klinger