Rezension über:

Christiane Neerfeld (Bearb.): Die französischen Korrespondenzen. 1647-1648 (= Acta Pacis Westphalicae. Serie II. Abt. B: Die französischen Korrespondenzen; Bd. 7), Münster: Aschendorff 2010, LXXXIII + 660 S., ISBN 978-3-402-13783-3, EUR 92,00
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Rezension von:
Sven Externbrink
Heidelberg
Redaktionelle Betreuung:
Matthias Schnettger
Empfohlene Zitierweise:
Sven Externbrink: Rezension von: Christiane Neerfeld (Bearb.): Die französischen Korrespondenzen. 1647-1648, Münster: Aschendorff 2010, in: sehepunkte 13 (2013), Nr. 10 [15.10.2013], URL: https://www.sehepunkte.de
/2013/10/20351.html


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Christiane Neerfeld (Bearb.): Die französischen Korrespondenzen

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Das Editionsprojekt der Acta Pacis Westphalicae (APW) muss nicht mehr vorgestellt werden - in über 40 Jahren unermüdlicher Editionsarbeit haben die zahlreichen Mitarbeiter der Bonner Arbeitsstelle 31 Bände in 43 Teilbänden ediert und somit dazu beigetragen, dass der Westfälische Frieden zu einem Schwerpunkt der deutschen Frühneuzeitforschung wurde. Editionsrichtlinien und -prinzipien bedürfen ebenfalls kaum eines Kommentars. Textaufbereitung, Kommentierung und Regestrierung machen die Editionen zu einem herausragenden Arbeitsinstrument.

Der vorliegende Band ist der drittletzte Band in der Reihe der französischen Korrespondenzen. Er umfasst den Zeitraum vom 19. November 1647 bis zum 5. Februar 1648. Wenige Tage vor dem 19. November war das kaiserlich-französische Vorabkommen nach Paris geschickt worden, in dem den französischen Territorialforderungen entsprochen wurde und somit ein entscheidender Durchbruch auf dem Weg in den Frieden erreicht wurde.

In den Folgemonaten rückten die spanisch-französischen Verhandlungen in den Vordergrund, die jedoch trotz der Bemühungen der Vermittler nicht vorankamen. Der Band endet unmittelbar nach dem niederländisch-spanischen Friedensschluss, der für die Franzosen einen schweren Rückschlag bedeutete. Nur wenige Tage später verließ der Herzog von Longueville, Prinzipalgesandter der französischen Delegation, Münster. In diese Zeit fällt ebenfalls die Abberufung von d'Avaux, der einer von seinem Kollegen Servien betriebenen Intrige zum Opfer fiel. Servien nutzte hierfür seine guten Beziehungen zu Mazarin, mit dem er bereits 1630/31 in Piemont zusammengearbeitet hatte, darüber hinaus war Serviens Neffe Hugues de Lionne Sekretär und enger Vertrauter des Kardinals.

Die hier abgedruckten Korrespondenzen illustrieren die grundsätzlichen Differenzen zwischen den Gesandten. In seinen Schreiben an Lionne setzte Servien den Kardinal geradezu unter Druck, d'Avaux abzuberufen. Es sei unmöglich, gemeinsam mit d'Avaux dem König angemessen zu dienen, heißt es beispielsweise in Serviens Memorandum vom 5. Februar 1648 (Dokument Nr. 148, 564-565). D'Avaux und auch Longueville standen für eine größere Kompromissbereitschaft in den Verhandlungen mit Spanien - Servien hingegen für eine harte Linie, die kein Entgegenkommen vorsah, von dem die Spanier später einmal profitieren könnten.

Im Zentrum des Disputs stand das Schicksal Herzogs Karls IV. von Lothringen, dessen Territorien von den Franzosen okkupiert waren. Karl IV. war ein wichtiger Verbündeter der Spanier, die wiederum die Restitution seines Besitzes forderten. Die Franzosen hatten vorgeschlagen, das Schicksal Lothringens aus den Verhandlungen auszuklammern und die Gespräche über die Regelung dieser Frage nach Paris zu verlegen, was das Ende der spanischen Unterstützung Lothringens bedeuten sollte. Da in dieser Frage die Verhandlungen jedoch nicht vorankamen, hatten d'Avaux und auch Longueville einen Kompromissvorschlag der Niederländer unterstützt, der eine Teilrestitution vorsah. Servien plädierte jedoch für ein Festhalten an einer harten Linie und konnte Mazarin auf seine Seite ziehen (vgl. die Dokumente 9, 28, 47, 58, 61, 146). Hinter Serviens Haltung stand die Einschätzung, auch ein Kompromiss würde den niederländisch-spanischen Separatfrieden nicht aufhalten. Die Debatten um Lothringen zogen sich bis zum spanisch-niederländischen Frieden hin - eine weitere Annäherung zwischen Franzosen und Spaniern scheiterte, der spanisch-französische Krieg sollte noch weitere zehn lange Jahre dauern.

Neben der mikrogeschichtlichen Aufarbeitung der Verhandlungen bieten die Korrespondenzen aber auch Informationen zu ganz anderen Themenfeldern, wie etwa den Klientelbeziehungen und Machtkämpfen im Umfelds Mazarins. Das hervorragende Sach- und Personenregister ermöglicht Untersuchungen zur politischen Sprache. Zentrale Begriffe der politischen Theorie der Epoche wie Staatsinteresse, Staatsraison, Arbiter oder Liberté werden nachgewiesen und ermöglichen so einen Einblick, wie theoretische Konzepte Eingang in die Verhandlungspraxis fanden. Servien, um ein Beispiel zu nennen, begründete seinen Widerstand gegen einen möglichen Kompromiss in der Lothringenfrage unter anderem mit der Berufung auf die Staatsraison ("raison d'État"): Die Lehensabhängigkeit eines Teils von Lothringen verleihe der französischen Eroberung des Herzogtums Legitimität, daher verbiete es die Staatsräson, auf einen solchen Anspruch zu verzichten (Nr. 95, Servien an Lionne, 7. Januar 1648, 351).

Gerade Serviens Memoranden für Lionne zeigen überdeutlich, dass auf dem Friedenskongress nicht allein um den Reichsfrieden, sondern auch über eine gesamteuropäische Friedensordnung verhandelt wurde. Servien äußerte sich im selben Memorandum skeptisch über die Bereitschaft des Kaisers, ohne Spanien einen Frieden zu schließen, obwohl die von den Franzosen darin unterstützten Reichsstände darauf drängten.

Auch die Bedeutung Italiens gerade in den französisch-spanischen Verhandlungen sollte nicht unterschätzt werden - immer wieder kommt die Sprache auf die "Revolution" in Neapel und die französische Haltung dazu. Von einem Zusammenbruch der spanischen Herrschaft erhofften sich die Gesandten eine Lösung der Blockade in der Lothringenfrage (Nr. 128, 478, vom 27. Januar 1648).

Die vielfältigen Möglichkeiten, die die Edition bietet, können hier nicht erschöpfend angedeutet werden. Die APW sind weitgehend abgeschlossen, die Förderung ausgelaufen. Aber schon die Perspektiven, die ein einzelner Band ermöglicht, sind ein Argument nicht für die APW, sondern auch für andere Editionsprojekte.

Sven Externbrink