Rezension über:

Markus Anhalt: Die Macht der Kirchen brechen. Die Mitwirkung der Staatssicherheit bei der Durchsetzung der Jugendweihe in der DDR (= Analysen und Dokumente; Bd. 45), Göttingen: Vandenhoeck & Ruprecht 2016, 221 S., ISBN 978-3-525-35121-5, EUR 18,00
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Rezension von:
Hermann Wentker
Institut für Zeitgeschichte München - Berlin
Redaktionelle Betreuung:
Dierk Hoffmann / Hermann Wentker im Auftrag der Redaktion der Vierteljahrshefte für Zeitgeschichte
Empfohlene Zitierweise:
Hermann Wentker: Rezension von: Markus Anhalt: Die Macht der Kirchen brechen. Die Mitwirkung der Staatssicherheit bei der Durchsetzung der Jugendweihe in der DDR, Göttingen: Vandenhoeck & Ruprecht 2016, in: sehepunkte 16 (2016), Nr. 10 [15.10.2016], URL: https://www.sehepunkte.de
/2016/10/28869.html


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Markus Anhalt: Die Macht der Kirchen brechen

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Die Jugendweihe wurde 1955 in der DDR aufgrund eines Politbürobeschlusses vom Vorjahr eingeführt. Sie war nicht von Anfang an eine Erfolgsgeschichte. Die Kirchen konnten sich zunächst mit ihrem Standpunkt, dass Jugendweihe und Konfirmation unvereinbar seien, durchsetzen, zumal die Ausschüsse für Jugendweihe offiziell nicht als staatliche Einrichtungen firmierten und die Teilnahme an der Jugendweihe freiwillig war. Das änderte sich erst, als Walter Ulbricht diese mit einer Rede in Sonneberg im September 1957 zur Chefsache machte und de facto zu einer verpflichtenden staatlichen Veranstaltung erklärte. Erst danach stiegen die Zahlen der Jugendweihen dramatisch an, und die Kirchen verließen ihren "Entweder-Oder-Standpunkt", indem sie sich bereit erklärten, auch jugendgeweihte Kinder zu konfirmieren. Diese Prozesse sind seit den 1990er Jahren sehr gut erforscht. Daher verwundert es etwas, wenn sich eine Neuerscheinung noch einmal diesem Thema widmet, diesmal allerdings nur der Frage nachgeht, wie das Ministerium für Staatssicherheit (MfS) daran mitwirkte.

Markus Anhalt geht chronologisch vor. Unter Rückgriff auf einzelne Arbeiten - die Literaturbasis ist selektiv und lässt eine Reihe grundlegender Studien vermissen - schildert er die unterschiedlichen Phasen in dem genannten Prozess. In diese Darstellung flicht er die Aktivitäten des MfS mit ein, wozu er auf dessen reichhaltige Überlieferung in der BStU zurückgreift. Bereits in der Einleitung nennt er das Vorgehen des MfS unkoordiniert, und man stößt im Verlauf der Studie immer wieder auf Sätze wie: "Das Vorgehen des MfS blieb jedoch weiterhin fragmentarisch und planlos." (59f.) Auch im Verlauf der Zeit entwickelte die Stasi keine konzeptionellen Gedanken dazu, so dass Anhalt auch Ende der 1950er Jahre ein "geplantes Vorgehen des MfS in der Jugendweihefrage [...] nicht erkennen" kann (182). Das sind denkbar ungünstige Voraussetzungen für eine Studie, die dem Einfluss der Staatssicherheit in dieser Frage nachgehen will.

Anhalt beschränkt sich daher darauf, vor allem Einzelbeobachtungen zusammenzutragen. Dabei vermittelt er den Eindruck eines Repressionsorgans, das vor allem Verhaltensweisen der Kirchen registrierte und reagierte, aber nur selten agierte. Nur manchmal ist von einem Maßnahmeplan gegen einzelne Pfarrer, etwa in der Kirchenprovinz Sachsen, die Rede, meistens geht es um das Sammeln und Übermitteln von innerkirchlichen Informationen. Allein darin sieht er, bezogen auf einen Vorgang von 1955, "Indizien dafür, dass die Mitarbeiter des MfS/SfS hinsichtlich der Jugendweihefrage wirksam sensibilisiert wurden" (66) - ein etwas dürftiges Ergebnis!

Ein Problem für das MfS - wie für alle staatlichen Organe - bestand in den Jahren zwischen 1955 und 1957 in der geschlossenen Haltung der Kirchen im Hinblick auf die Jugendweihe, so dass nur vereinzelt Pfarrer bewegt werden konnten, bereits jugendgeweihte Kinder zu konfirmieren. Es kam in dieser Zeit auch zu Kirchenaustritten, da nicht alle Kirchenmitglieder mit dem Entweder-Oder-Standpunkt einverstanden waren, aber auch hier wurde das MfS nicht initiativ, sondern beschränkte sich auf eine Bestandsaufnahme. Überdies fällt es Anhalt schwer, zwischen dem Vorgehen des MfS und anderer staatlicher Stellen zu unterscheiden. Eine Antwort auf die Fragen nach den Besonderheiten der Stasimethoden und nach der genauen Rolle des MfS bei der Durchsetzung der Jugendweihe findet sich daher nicht in dem Band.

Lediglich in einem Abschnitt des achten Kapitels versucht Anhalt etwas systematischer auf "Konfliktherde und Interessenschwerpunkte" einzugehen. Hier behandelt er anhand von Einzelbeispielen, wie das MfS etwa sogenannte Kirchenzuchtmaßnahmen gegen Jugendgeweihte - also den Entzug bestimmter kirchlicher Rechte und Ansprüche, etwa auf ein kirchliches Begräbnis - zu nutzen suchte, wie es mit dem kirchlichen Vorwurf umging, dass Druck auf christliche Kinder, an der Jugendweihe teilzunehmen, verfassungswidrig sei, und wie sich das MfS an staatlicher Propaganda und öffentlichkeitswirksamen Maßnahmen beteiligte. Doch letztlich kann Anhalt auch aus diesen Aufzählungen keine allgemeineren Schlussfolgerungen ziehen. Auffällig ist, dass selbst im Zusammenhang mit der für die Durchsetzung der Jugendweihe entscheidenden Sonneberger Rede die Rolle des MfS sich auf das Registrieren der kirchlichen Reaktionen beschränkte. Zu besonderen Aktivitäten, zu denen Ulbricht in dieser Rede die staatlichen Einrichtungen aufrief, ließ sich die Stasi offensichtlich nicht hinreißen.

Etwas aufschlussreicher sind zwei Fallbeispiele für das Vorgehen des MfS gegen zwei Pfarrer, die vehemente Gegner der Jugendweihe waren, gegen Konrad Heckel und Otto Maercker. Bei ersterem kritisierte der zuständige Stasi-Offizier die mangelnde Zusammenarbeit von Partei, Rat des Stadtbezirks, Schule und MfS. Doch auch diese Kritik führte nicht zu einer Änderung des planlosen Vorgehens, was auch daran sichtbar wurde, dass zwei Lehrerinnen aufgefordert wurden, Klage gegen Heckel zu erheben, ohne dass das MfS informiert war. So verwundert es nicht, dass ein Ermittlungsverfahren zwar eingeleitet, aber schon bald wieder eingestellt wurde. Anders verhielt es sich bei Maercker, dem das MfS daraus einen Strick drehte, dass er ein 19jähriges, Tbc-krankes Mädchen, das schwerkrank an der Jugendweihe teilgenommen hatte, nicht kirchlich beerdigen wollte. In diesem Fall kam es zu einem planvollen Vorgehen. Ein Operativer Vorgang wurde eröffnet, und nach Festnahme, Ermittlungsverfahren und Prozess vor erweiterter Öffentlichkeit verurteilte das Bezirksgericht Schwerin Maercker wegen "Boykotthetze" 1960 zu einer Zuchthausstrafe von zwei Jahren und sechs Monaten.

Am Ende des Buches schildert Anhalt noch einen Erfolg des MfS, der darin bestand, dass nach der Sonneberger Rede in der Thüringer Landessynode im November 1958 unter massiver Mitwirkung des Oberkirchenrats Gerhard Lotz - der, wie seit den frühen 1990er Jahren bekannt, als IM Karl für die Stasi arbeitete - durchgesetzt wurde, "dass eine Konfirmation auch dann durchgeführt werden solle, wenn die Jugendlichen an der Konfirmation teilnähmen" (186f.) Damit war eine Bresche in die Einheitsfront der Landeskirchen geschlagen worden, die in der folgenden Zeit ausgeweitet werden konnte. Freilich sollte der Anteil des MfS daran nicht zu hoch bewertet werden, weil mit der zunehmenden Durchsetzung der Jugendweihe die Kirchen letztlich zu Kompromissen gezwungen waren, wollten sie nicht die Jugend völlig verlieren.

Die äußerst deskriptive, wenig analytische Untersuchung endet mit einer zweiseitigen Zusammenfassung, die zwar noch einmal auf das wenig planvolle Vorgehen der Stasi eingeht, deren Informationstätigkeit und die einzelnen Erfolge hervorhebt, und mit dem Satz endet: "Dem MfS gelang es, indem es Jugendweihegegner mundtot machte, auf das Handeln Geistlicher einwirkte und Differenzierungsmaßnahmen verwirklichte, an der Einführung und Durchsetzung des neuen sozialistischen Ritus der Jugendweihe aktiv mitzuwirken." (208) Das ist sicher nicht falsch, aber letztlich vor dem Hintergrund der ganzen Studie wenig aussagekräftig. Die Stasi war bei der Etablierung der Jugendweihe alles andere als entscheidend; auch ohne deren Berichte und planlosem Wirken am Rande wäre in der SED-Diktatur die Jugendweihe wohl durchgesetzt worden. Warum das MfS dabei keine wichtigere Rolle spielte, wird leider nicht gefragt.

Hermann Wentker