Rezension über:

Bernd Hausberger: Die Verknüpfung der Welt. Geschichte der frühen Globalisierung vom 16. bis zum 18. Jahrhundert (= Expansion - Interaktion - Akkulturation. Globalhistorische Skizzen), Wien: Mandelbaum 2015, 208 S., 12 Kt., ISBN 978-3-85476-460-1, EUR 19,90
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Rezension von:
Wolfgang Reinhard
Freiburg/Brsg.
Redaktionelle Betreuung:
Sebastian Becker
Empfohlene Zitierweise:
Wolfgang Reinhard: Rezension von: Bernd Hausberger: Die Verknüpfung der Welt. Geschichte der frühen Globalisierung vom 16. bis zum 18. Jahrhundert, Wien: Mandelbaum 2015, in: sehepunkte 15 (2015), Nr. 9 [15.09.2015], URL: https://www.sehepunkte.de
/2015/09/27375.html


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Bernd Hausberger: Die Verknüpfung der Welt

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History goes global - einschlägige Tagungen und Veröffentlichungen lösen sich in rascher Folge ab, einschlägige Professuren werden neu geschaffen. Dabei ist klar, dass der Impuls von der aktuellen Globalisierung ausgeht. Umstritten ist hingegen, wann man sie beginnen lassen will. Zumindest wirtschaftlich soll die Integration der Welt vor dem Ersten Weltkrieg mindestens so intensiv wie heute gewesen sein. Allerdings hat die kulturelle Homogenisierung der Menschheit inzwischen ganz andere Ausmaße angenommen als damals. Solche Prioritätskontroversen mögen müßig erscheinen, wären sie nicht geschichtspolitisch besetzt. Auch die Globalgeschichte bedient aktuelle Vorurteile und versucht sie wissenschaftlich festzuschreiben. So ist die berechtigte Kritik am Eurozentrismus der bisherigen Universalgeschichte mit penetranter Aktualität in Sinozentrismus umgeschlagen, der historisch allerdings noch fragwürdiger ist. [1] Und die ganz überwiegend anglofonen oder anglophilen Globalhistoriker beschränken sich gerne auf den nordatlantischen Raum seit dem 17. Jahrhundert, seinen Welthandel und die möglichen globalen Voraussetzungen der britischen Industrialisierung. "Globalgeschichte nähert sich hier dem Legitimierungsnarrativ des angelsächsischen Liberalismus und des auf ihm fußenden britischen und später US-amerikanischen globalen Führungsanspruchs" (22). Diese räumliche, zeitliche und sachliche Engführung ignoriert die eigentlich bekannte Tatsache, dass bereits die iberische Expansion seit 1492 weltweite Verknüpfung geschaffen hat. Dieser Einseitigkeit soll Hausbergers Buch abhelfen. Als Lateinamerika-Fachmann [2] wie als Universalhistoriker [3] bringt er dazu die besten Voraussetzungen mit. Bibliografie und Fußnoten belegen seine breite Belesenheit.

Seine Einleitungen in die Globalgeschichte und ihre Periodisierungsprobleme betonen gegen den wendepunktfixierten historiografischen "Sensationalismus" (ich füge die Jubelhistorie der Jubiläen hinzu) die langfristige "Pfadabhängigkeit" historischer Entwicklung (ich nenne das die Akkumulation von Kontingenz). Damit lassen sich die "Vorgeschichten" der verknüpften Welt des 16. Jahrhunderts und die "agency" der überlegenen, ebenbürtigen oder unterlegenen "Anderen" einbringen. Ein Kabinettstück ist die souveräne Erörterung der These von der weltweiten "Krise des 17. Jahrhunderts" (19-21). Damit lässt sich aber auch entspannt feststellen, dass es trotz aktiver Mitwirkung dieser "Anderen" nur eine Moderne geben kann und dass diese nun einmal auf westliche Impulse zurückgeht. Der anschließende Abschnitt über "Kosmographie und die Kenntnis der Welt" zeigt demgemäß, dass geografische Innovationen bei Osmanen wie Chinesen von westlichen abhängig waren. "Imperien und Staaten" betrieben Expansion, die zur Verknüpfung der Welt führte. Es wird allerdings bei deren weltweiter Schilderung nicht recht deutlich, warum gerade die Europäer damit erfolgreich waren. Meines Erachtens hängt dies mit deren Vorsprung bei der Staatsbildung zusammen, den Hausberger nicht erörtert. Im folgenden Abschnitt "Religion und Mission", hingegen legt er die Gründe für den Erfolg der älteren katholischen Mission überzeugend dar. Die anglofone Forschung wird ja von der Geschichte der protestantischen des 19./20. Jahrhunderts beherrscht. [4] Hausberger spricht aber auch die Ausbreitung des Islam und des Buddhismus an sowie die neuen Varianten von Religion, die im Zuge der Verknüpfung der Welt entstanden, etwa die afro-amerikanischen. Ungeachtet des begrenzten Umfangs versteht er es, seine Themen mit weltweiter Gleichmäßigkeit zu behandeln. Das führt bisweilen zu einer spröden Dichte des Textes, die man aber für die reiche Information gerne in Kauf nimmt.

Das gilt auch für das umfangreiche Kapitel "Merkantile Expansion und Wirtschaft", das ein Drittel des Textes ausmacht. Nach den Grundzügen der vormodernen Agrarwirtschaft und des älteren Fernhandels schildert es die portugiesische und die kastilische Expansion nach Asien und Amerika sowie Lateinamerika als Edelmetallproduzent und Wirtschaftsraum. Anschließend geht es um das weltweite Handelssystem der hinfort verknüpften Welt, um Schifffahrt und Verkehrswege, um die neuen Handelsgesellschaften, aber auch den Schmuggel und die Piraten, schließlich um das Gewicht der Ergebnisse dieser Entwicklung. Daraus ergaben sich "backward and forward linkages", die zu nachhaltigen Veränderungen in betroffenen Gebieten und Gesellschaften führten. Dazu gehörten die Bedürfnisse des Transportwesens, die Entstehung kolonialer Binnenmärkte, vor allem in Lateinamerika. Hierher hätte auch der asiatische "Landhandel" (der nicht etwa zu Land stattfand, sondern im Land, das heißt im weiteren Bereich des Indischen Ozeans blieb) gehört; er wird nur einmal kurz gestreift. Weiter wird die Plantagenwirtschaft und ihre Bedeutung für den Handel und den Konsum erörtert, schließlich die Veränderungen im Konsum durch neue Güter und Kulturpflanzen. Bei der letzten und wichtigsten Veränderung, der britischen Industrialisierung, lässt sich Hausberger nicht auf einen Erklärungsversuch ein. Wenn er mit der aktuellen These vom Innovationsdruck durch die hohen englischen Löhne sympathisiert, möchte ich immerhin anfragen, wie diese mit dem bekannten frühindustriellen Arbeiterelend und dem Pauperismus zusammengehen sollen.

"Menschen in Bewegung" behandelt abermals umfassend die verschiedenen Formen horizontaler wie vertikaler Mobilität in der verknüpften Welt, darunter ausführlich den Handel mit afrikanischen Sklaven nach den neuesten Forschungen. Aber auch die Rolle der Frauen kommt hier angemessen zur Geltung, ebenso die Entstehung von Diasporen und schließlich die Ausbildung der Rassenlehre als Versuch, die neuen Erfahrungen zu bewältigen. Die abschließende Gesamteinschätzung der vormodernen Globalgeschichte mündet in eine Kritik des sich aufgeklärt gebärdenden Universalismus, dessen Teil die Rassenlehre war. Diese Zusammenfassung wäre meines Erachtens aber gut ohne Wallerstein ausgekommen. Dennoch, Hausberger hat nicht nur die Verächter frühneuzeitlicher Globalgeschichte erfolgreich widerlegt, sondern ein kleines, aber feines Handbuch zu diesem Gegenstand geschrieben.


Anmerkungen:

[1] Peer Vries: Ursprünge des modernen Wirtschaftswachstums. England, China und die Welt in der Frühen Neuzeit, Göttingen 2013.

[2] Bernd Hausberger: Für Gott und König. Die Mission der Jesuiten im kolonialen Mexiko, Wien 2000, und vieles andere.

[3] Vor allem als Mitherausgeber von: Globalgeschichte. Die Welt 1000-2000, hgg. v. Peter Feldbauer / Bernd Hausberger / Jean-Paul Lehners, 8 Bände, Wien 2008-11 sowie als Herausgeber der Bände 4 und 5 dieser Reihe über das 17. und 18. Jahrhundert.

[4] Das zeigte sich zuletzt an den Beiträgen zu: Individualisierung durch christliche Mission?, hgg. v. Antje Linkenbach / Martin Fuchs / Wolfgang Reinhard, Wiesbaden 2015.

Wolfgang Reinhard