Rezension über:

Yvonne Prinzessin von Croÿ: Das Hôtel de Galliffet (1784-1792). Pariser Baupraxis und Ausstattungskunst am feudalen Privatbau des ausgehenden Ancien Régime, Hildesheim: Olms 2014, 461 S., 384 Abb, ISBN 978-3-487-15166-3, EUR 98,00
Buch im KVK suchen

Rezension von:
Thomas Wilke
Stuttgart
Redaktionelle Betreuung:
Julian Jachmann
Empfohlene Zitierweise:
Thomas Wilke: Rezension von: Yvonne Prinzessin von Croÿ: Das Hôtel de Galliffet (1784-1792). Pariser Baupraxis und Ausstattungskunst am feudalen Privatbau des ausgehenden Ancien Régime, Hildesheim: Olms 2014, in: sehepunkte 15 (2015), Nr. 9 [15.09.2015], URL: https://www.sehepunkte.de
/2015/09/26647.html


Bitte geben Sie beim Zitieren dieser Rezension die exakte URL und das Datum Ihres Besuchs dieser Online-Adresse an.

Andere Journale:

Diese Rezension erscheint auch in KUNSTFORM.

Yvonne Prinzessin von Croÿ: Das Hôtel de Galliffet (1784-1792)

Textgröße: A A A

Die Frankreichforschung lenkt ihr Augenmerk seit einiger Zeit erneut auf Profanbauten des Ancien Régime - insbesondere auf die Architektur und Ausstattung adeliger Stadthôtels in Paris. [1] Yvonne Prinzessin von Croÿ stellt mit ihrer Untersuchung zum Hôtel de Galliffet, die von Prof. Dr. Christiane Salge an der Freien Universität Berlin als Promotion angenommen wurde, ein spätes Beispiel für den Typus des adeligen Hôtel particulier vor. Der zwischen 1784 und 1792 vom schlecht dokumentierten Architekten Étienne-François Legrand für Simon Alexandre Marquis de Galliffet [2] im Faubourg Saint-Germain errichtete Wohnbau wird heute als Istituto Italiano di Cultura genutzt.

Der konventionelle Aufbau der Arbeit mit der Betrachtung von Baugeschichte (II, 25-84), Grundriss und Raumdisposition (III, 85-126), der Analyse der Hof- (IV, 127-216) und Gartenfassade (V, 217-248) sowie einem knappen Resümee (VI, 249-253) beginnt mit der umfänglichen Auswertung von Literatur und Archivalien, um den Originalzustand des Hôtels zu rekonstruieren: Sowohl die Zufahrtssituation des gefangenen Grundstücks wie der Innenausbau haben sich im Laufe der Zeit verändert. Von der Erstausstattung ist die für französische Verhältnisse relativ frühe Verwendung von Papiertapeten in einigen Räumen kulturgeschichtlich besonders erwähnenswert (65-70).

Neben dem Bauherren, der das bei Ausbruch der Revolution fast vollendete Stadthôtel (74) nie bewohnt hat, prägte Charles Maurice Prince de Talleyrand-Périgord das Gebäude, das seit der Revolution als Außenministerium diente (75). Die restituierten Erben vermieteten das Haus, das - etwa mit dem Umbau der Haupttreppe um die Jahrhundertwende (81) - an die Nutzung als Botschaftsgebäude angepasst wurde, bevor der italienische Staat den Bau zu Beginn des 20. Jahrhunderts erwarb (80).

Den "tiefgreifenden Wandel im achitekturtheoretischen, bauästhetischen und kulturhistorischen Bereich" (251) im Zuge der sogenannten "Revolutionsarchitektur" spiegelt schon die Distribution Legrands mit einem seitlich an einer Durchfahrt angeordneten Vestibule, gefolgt von Enfiladen an Hof- und Gartenseite mit zahlreichen offenen Verbindungen in den Querachsen wieder: Diesen bemerkenswerten Grundriss erklärt die Autorin teils nur allgemein mit Sekundärliteratur zur Distribution (93-126), sodass es gelegentlich am Bezug zum Gebäude mangelt. [3] Eine Analyse weiterer Hôtels particuliers prominenter Architekten (Rousseau, Bélanger u.a.) als mögliche Inspirationsquelle für Grundriss und Ausstattung Legrands wäre an dieser Stelle dienlich gewesen. [4]

Dagegen scheint Pierre Contant d'Ivrys Innenausstattung im Palais Royal aus der Mitte des Jahrhunderts als Vorbild plausibel (120-121). Einleuchtend führt Von Croÿ auch eine Intérieur-Skizze Charles de Waillys für die außerordentliche Wandgestaltung von Salon und Salle à manger mit raumhoher Verspiegelung und Säulenordnung an (112), während es der typologisch durchaus "richtigen" Herleitung aus den Saalformen Palladios ohne den genauen Rezeptionsweg letztlich an Überzeugungskraft fehlt, da Legrand sich an zahlreichen Säulensälen in französischen Adaptionen (110) oder zeitgenössischen grafischen Vorlagen hätte inspirieren können. [5]

Die Analyse der Fassaden des Hôtel de Galliffet nimmt nur scheinbar den größten Umfang ein: In diesem Teil werden ebenso grundlegende Veränderungen der Architekturauffassung verhandelt. Mit der "Zertrümmerung des barocken Verbandes" (Emil Kaufmann, 129) durch Trennung von Corps de Logis und Nebengebäuden stellt das Hôtel de Galliffet im Unterschied zum Idealentwurf Jacques-François Blondels für ein hierarchisch organisiertes Stadthôtel als architecture pyramidale im Tafelteil der Encyclopédie Diderots und d'Alemberts in der Tat eine "sehr moderne Variante des klassischen Typus eines Hôtel particulier" (88) dar.

Das wunderbare Zitat mit der Kritik Blondels am Hôtel d'Uzès seines Schülers Claude-Nicolas Ledoux (179) verdeutlicht dem Leser die Andersartigkeit der neuen Prinzipien des Sublime in Architecture in der Nachfolge Edmund Burkes (161-169). Einer ähnlichen Wirkungsästhetik unterliegt die monumentale Kolonnade der Hoffassade des Hôtel de Galliffet, deren Form mit Hôtels particuliers etwa Pierre Rousseaus oder Etienne-Louis Boullées sowie mit der Front der Comédie-française Joseph-Marie Peyres und Charles de Waillys verglichen wird (194), um überzeugend die Verkehrung des Caractère-Gedankens zugunsten der "Magnitude in Building" (199) zu belegen. [6]

Die komplexen Rezeptionsvorgänge antiker Formen, italienischer Renaissance- (Villa Farnesina) wie Barock-Architektur (Villa Borghese) und des englischen Palladianismus (Haughton Hall) in der französischen Architektur des späten 18. Jahrhunderts vermag die Autorin aufgrund der viel zu knappen Darstellung über die Petites Maisons d'Italie (220-239) nicht wirklich überzeugend darzulegen, da der Zusammenhang mit Frankreich und dem Hôtel de Galliffet oft eher formal-assoziativ als argumentativ nachvollziehbar bleibt. [7] Die zweifelsohne relevanten Beispiele wirken so zufällig gewählt, da der schlüssige Nachweis einer Rezeption durch französische Architekten oder Legrand fehlt. [8]

Eine Überarbeitung hinsichtlich der inhaltlichen Zusammenführung der abgehandelten Themen und mit den Vergleichsbeispielen hätte das Lesevergnügen vergrößert. [9] Trotzdem gibt die Arbeit anhand des Hôtel de Galliffet einen sehr interessanten Einblick in die Entwicklung der französischen Architektur des späten 18. Jahrhunderts.


Anmerkungen:

[1] Alexandre Gady: Les Hôtels particuliers de Paris, Paris 2008; Nicolas Courtin: L'art d'habiter à Paris au XVIIe siècle. L'ameublement des hôtels particuliers, Dijon 2011; Martin Pozsgai: Germain Boffrand und Joseph Effner. Studien zur Architekturausbildung um 1700 am Beispiel der Innendekoration, Berlin 2012; Thomas Wilke: Innendekoration. Graphische Vorlagen und theoretische Vorgaben für die wandfeste Dekoration von Appartements im 17. und 18. Jahrhundert in Frankreich, München 2015 (im Druck), weitere Promotionen vgl. Datenbank http://www.theses.fr/.

[2] Kurzbiografien mit den bekannten Fakten wären hilfreich gewesen, zumal in der Argumentation wiederholt auf Legrand oder den Bauherren verwiesen wird.

[3] Die Frage des ungewöhnlich angeordneten Vestibules wird weitgehend mit einem Verweis auf Brinkmann (94) beantwortet, und das angeführte Zitat Nicolas Le Camus de Mézières (93) zur seitlichen Vestibule-Position belegt nur die Forderung nach einem gedeckten Eingang (was mit einem befahrbaren Portikus gelöst werden könnte) jedoch nicht die erstaunliche Position im Grundrissgefüge.

[4] So leiten sich die mit offenen Durchgängen verbundenen Räume nicht nur von den benannten antiken Thermen ab (105), sondern finden sich etwa im verbundenen Vestibule und Salon des Hôtel d'Uzès Ledoux' präfiguriert, wie die Autorin allerdings erst im Kapitel zur Fassade ausführt (182). Man hätte sich auch die Beweisführung hinsichtlich der Vermittlung der gut ausgewählten englischen Treppenhaus-Beispiele (102-104) an Legrand stringenter gewünscht.

[5] Die Sala egittia und die Sala di quattro colonne Palladios (in Abb. 85 fälschlich als Sala corithia bezeichnet) bilden einen Saal mit freigestellten Säulen und Umgang ohne Verspiegelung, was eine andersartige räumliche Wirkung als die Räume im Hôtel de Galliffet ohne Umgang, aber mit illusionistischer Verspiegelung entfaltet. Grafische Vorlagen dazu finden sich u.a. im Werk Neufforges (das neben den erwähnten acht Teilen (111, Anm. 14) noch drei Supplement-Bände aufweist).

[6] Wieso die im Stichwerk Ledoux' (Paris 1804) in Grundriss und Ansicht idealisiert dargestellte Gartenfassade des Hôtel d'Uzès (Abb. 287), die quasi die Hoffassade des Hôtel de Galliffet zeigt, nur beiläufig erwähnt wird (218, Anm. 3), bleibt unverständlich.

[7] Für eine oft über die Anschaulichkeit geführte Argumentation wäre zudem eine Integration der Abbildungen in den Text vorteilhaft gewesen, da der umfangreiche Abbildungsteil (teils nicht bester Qualität) für sich genommen unstrukturiert wirkt.

[8] Schon zuvor wird die Übernahme von Gestaltungsprinzipen bei Maisons de Plaisance bzw. Pavillons auf dem Land für innerstädtische Wohngebäude (129) zu einfach mit Bauten am Stadtrand von Paris "teils noch als vorstädtische Maison de Plaisance, teils bereits als städtisches Hôtel particulier" (143) erläutert.

[9] Die industriell-serielle Innenausstattung wird etwa bei der Auswertung der Archivalien (56-73), bei der ausgeführten Dekoration (102-122) und im Kapitel zur Fassade bei den Vergleichbauten (184-193) thematisiert.

Thomas Wilke