Rezension über:

Sarah Kate Raphael: Climate and Political Climate. Environmental Disasters in the Medieval Levant (= Brill's Series in the History of the Environment; Vol. 3), Leiden / Boston: Brill 2013, XVII + 211 S., ISBN 978-90-04-21656-3, EUR 96,00
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Rezension von:
Stephan Conermann
Institut für Orient- und Asienwissenschaften, Universität Bonn
Redaktionelle Betreuung:
Peter Helmberger
Empfohlene Zitierweise:
Stephan Conermann: Rezension von: Sarah Kate Raphael: Climate and Political Climate. Environmental Disasters in the Medieval Levant, Leiden / Boston: Brill 2013, in: sehepunkte 14 (2014), Nr. 9 [15.09.2014], URL: https://www.sehepunkte.de
/2014/09/26074.html


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Sarah Kate Raphael: Climate and Political Climate

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Umweltgeschichte beschreibt gemeinhin die Untersuchung von Beziehungen zwischen Menschen und ihrer natürlichen Umgebung im Laufe der Zeit. Sie ermöglicht einerseits Erkenntnisse darüber, wie Klimawechsel und andere Veränderungen der Umwelt Gesellschaften beeinflussen und kann andererseits dazu beitragen zu verstehen, wie Menschen natürliche Ressourcen nutzen, sie begreifen, kontrollieren und erhalten. Umwelthistoriker interessieren sich für die physikalische Umwelt in all ihren Ausprägungen: für Klima, Landschaft, Landwirtschaft und Weideland, Wassersysteme und natürliche Ressourcen. Die Zielsetzung dieser Umweltforschung ist nicht etwa ein überholter Versuch, das Klima als einen bestimmenden Faktor für jegliches menschliches Verhalten zu begreifen - vielmehr soll es als ein Auslöseimpuls und als einer unter vielen Faktoren betrachtet werden, der ähnlich wie politische und ökonomische Krisen Druck auf lokale Gemeinschaften ausüben kann.

Es ist erstaunlich, dass die Mamlukenforschung den "Environmental Turn" letzten Endes bisher nicht aufgegriffen hat. Insofern nimmt man erst einmal eine Studie erfreut zur Kenntnis, die verspricht, Umweltkatastrophen in der Levante im "Mittelalter" zu analysieren. Die Ausgangsfrage von Sarah Kate Raphael, die hier die Ergebnisse ihrer am Institute of Earth Sciences der Hebrew University of Jerusalem durchgeführten Forschung vorlegt, lautet: hat die Medieval Warm Period (9.-14. Jahrhundert), die im östlichen Mittelmeerraum offenbar Trockenzeiten begünstigte, Auswirkungen auf das politische Handeln der Zeitgenossen gehabt? Um eine Antwort zu finden, hat Raphael eine Reihe arabischer und lateinischer Quellen ausgewertet, wobei sie sich auf die Zeit von 1100 bis zum Eintreffen der ersten Pestwelle im Nahen Osten im Jahr 1346 konzentriert. In den drei Hauptteilen der Arbeit widmet sie sich jeweils einer Katastrophenart: Dürren - Erdbeben - Tiere. Nach einer sinnvollen Definition des Phänomens (19) und einer Übersicht in die grundsätzlichen klimatischen Gegebenheiten in der Region erfahren wir, dass es in Syrien in dem Untersuchungszeitraum zu 35 Dürren gekommen ist, die insgesamt zu 17 Hungersnöten führten. Im Unterschied zu Ägypten, wo die Landwirtschaft in erster Linie vom Nil abhing, und zum Irak, wo der Tigris und Euphrat das komplexe Bewässerungssystem versorgten, benötigte man in Syrien dringend des Regens.

Die Argumentation von Kate Raphael ist nicht immer stringent, so dass wir viele - durchaus nützliche und interessante - Informationen bekommen, aber nicht so genau wissen, inwieweit sie zu einer kohärenten wissenschaftlichen Narration beitragen. Wichtig sind auf jeden Fall die zahlreichen Hinweise auf die Unterschiede wie auch auf die Kontinuitäten während der Kreuzfahrer- und der Mamlukenzeit. Sultan Baybars eroberte nach 1265 unter anderem Jaffa, Caesara, Arsuf, Haifa, Safad und Tripolis und etablierte damit die Herrschaft der Muslime über die Levante. Die Häfen an der Küste wurden zerstört, die Dörfer an seine Emire verteilt, ohne dass diese sich dauerhaft dort niedergelassen hätten. Darüber hinaus siedelte er zum Ausgleich der geflohenen "Franken" Kurden, Turkmenen und Mongolen an. Im Unterschied zu ihren Vorgängern versuchten die neuen Herrscher die nomadisierenden Stämme in Syrien weitgehend in das politische System einzubinden. Ferner sorgten nicht wenige Sultane dafür, dass in den Befestigungsanlagen in der Region vorsorglich Getreidespeicher angelegt wurden. Probleme bereitete das Pfründensystem, da die Inhaber der iqtaʿat sich normalerweise nicht um ihre Ländereien kümmerten oder versuchten, soviel Profit wie möglich aus ihnen herauszupressen. Die Untersuchung macht deutlich, dass man im Grunde ganz gut auf Dürren und Hungersnöte vorbereitet war. Eine ausführliche Beschreibung der schlimmsten Katastrophen (1181, 1294-1296 und 1304) zeigt allerdings zweierlei: zum einen hing es immer von der Person des Herrschers ab, wie nachhaltig die Präventionsmaßnahmen im Zentrum und in den Provinzen durchgeführt worden waren. Zum anderen nahm jedes Ereignis einen ganz eigenen Verlauf, ein Muster ist nicht zu erkennen. Dies gilt auch für Erdbeben, die die Autorin in dem zweiten Hauptteil ihrer Arbeit analysiert. Obgleich man auch hier wieder ganz spannende Dinge erfährt, bleiben gerade die Schilderungen der einzelnen Vorkommnisse recht unbefriedigend und skizzenhaft. Man hat den Eindruck, dass sich Kate Raphael nicht mehr mit letztem Nachdruck um eine Synthese bemüht hat, denn ihr etwas enttäuschendes Ergebnis stand sicherlich schon vor diesem Kapitel fest: "The Medieval Warm Period that corresponds with some of the strongest seismic activity in the Levant did not lead to dramatic changes in the political, economic or social spheres. It did not cause mass migration, nor is there any evidence of desertion of villages and towns." (194) Vor diesem Hintergrund lassen sich vielleicht dann auch die nur allzu kurzen und rein deskriptiven Anmerkungen zu den von Tieren (Heuschrecken, Mäuse, Ratten) verursachten Plagen erklären. Sie bilden eigentlich nur eine Art Anhang.

Also: ein Anfang ist nichtsdestotrotz gemacht. Vielleicht kommt der Abhandlung zugute, dass die Erforschung von Wechselbeziehungen zwischen Menschen, politischen und wirtschaftlichen Systemen und der physikalischen Umwelt den Rückbezug auf eine verwirrende Vielfalt an textlichen Quellen, solchen aus den Naturwissenschaften und aus der Archäologie erfordert: Eine Arbeit, die eigentlich kein Forscher alleine bewältigen kann.

Stephan Conermann