Rezension über:

Peter Paul Bajer: Scots in the Polish-Lithuanian Commonwealth, 16th-18th Centuries. The Formation and Disappearance of an Ethnic Group (= The Northern World. North Europe and the Baltic c. 400-1700 AD. Peoples, Economies and Cultures; Vol. 57), Leiden / Boston: Brill 2012, XXVIII + 588 S., ISBN 978-90-04-21247-3, EUR 161,00
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Rezension von:
Mariusz Kaczka
Berlin
Redaktionelle Betreuung:
Sebastian Becker
Empfohlene Zitierweise:
Mariusz Kaczka: Rezension von: Peter Paul Bajer: Scots in the Polish-Lithuanian Commonwealth, 16th-18th Centuries. The Formation and Disappearance of an Ethnic Group, Leiden / Boston: Brill 2012, in: sehepunkte 14 (2014), Nr. 6 [15.06.2014], URL: https://www.sehepunkte.de
/2014/06/23940.html


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Peter Paul Bajer: Scots in the Polish-Lithuanian Commonwealth, 16th-18th Centuries

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Die Gesellschaft Polen-Litauens bestand zum großen Teil aus verschiedenen Ethnizitäten, die im Laufe der Zeit im östlichen Europa Zuflucht oder ein besseres Leben gesucht hatten. Die Anziehungskraft des polnisch-litauischen Staates mit seinen religiösen und wirtschaftlichen Freiheiten lockte nicht nur die in Südeuropa verfolgten sephardischen Juden, sondern auch ferne Elemente, wie Armenier, Rumänen und nicht zuletzt Schotten. Manche ethnische Gruppen verstärkten immer wieder die Reihen des polnischen Adels sowie des Bürgertums, wie zum Beispiel politische Emigranten aus den Fürstentümern Moldau und Walachei. Regelmäßig fanden in Polen-Litauen sogar abgesetzte Herrscher beider Fürstentümer mit zahlreichen Bojarenfamilien Zuflucht, die zu einem integralen Teil des polnisch-litauischen Adels wurden.

Peter Paul Bajer, der an der Monash University in Australien promovierte und polnischer Herkunft ist, richtet seine vom Brill-Verlag herausgegebene Dissertation auf die Frage der Emigration von Schotten, die sich im Laufe des 16., 17. und 18. Jahrhundert in den Territorien Polen-Litauens niederließen. Die Arbeit stützt sich auf umfangreiches Quellenmaterial, das heute in Polen, Litauen, Großbritannien, Deutschland und der Ukraine [1] aufbewahrt wird und verbindet die daraus neu gewonnenen Ergebnisse mit britischen, polnischen und deutschen Forschungen zum Thema. Alleine die Bibliographie der Sekundärliteratur umfasst über 40 Seiten. Der wissenschaftliche Apparat des Verfassers überzeugt vollständig: Bajer begründet und belegt seine Aussagen und Ergebnisse, insbesondere wenn sie die bisherige Forschung um neue Aspekte und Feststellungen ergänzen oder Irrtümer korrigieren, außergewöhnlich gut. Seine Arbeit untergliedert sich in 7 Kapitel, die durch 15 sehr nützliche quellenbezogene Anhänge ergänzt werden.

Obwohl in englischer Sprache verfasst, fügt sich Bajers Buch stark in die nationale polnische Geschichtstradition ein. Dabei schließt der Verfasser die Forschungsliteratur zur schottischen Migration in verschiedenen europäischen Ländern mit großer Virtuosität in seine Arbeit ein. Ein weiterführendes komparatistisches Kapitel fehlt allerdings. Zu kurz kommt zudem das Kapitel über die adligen schottischen Einwanderer und ihre Verbindungen mit dem polnisch-litauischen Adel. [2] Den Schwerpunkt legte Bajer dagegen auf die bürgerlichen Einwanderer, die den Großteil der Migranten ausmachten.

Das unfreundliche Klima, fehlende Märkte, unfruchtbares Land und schlechte Transportwege in der Heimat, sowie insbesondere positive Reiseberichte über den Reichtum Polen-Litauens hatten, laut Bajer, den größten Einfluss auf die schottische Einwanderung. Auf absolut überzeugender Quellenbasis korrigiert er die bisher vorherrschende Forschungsmeinung, dass die Migration ca. 30. bzw. 40.000 Seelen umfasste: es waren höchstwahrscheinlich nur ca. 5.000 bis 7.000 Einwanderer. Ungefähr ein Drittel von ihnen stammte aus Aberdeen sowie Aberdeenshire. Ihre Emigration erfolgte durchaus aus ökonomischen Gründen und war nicht, wie bisher angenommen, eine Folge der religiösen Verfolgung der schottischen Katholiken. Die deutliche Mehrheit der Einwanderer behielt in Polen-Litauen ihren protestantischen Glauben bei und erhielt durch lebendige religiöse Praxis, die meistens getrennt von anderen Ethnizitäten ausgeübt wurde, ihre ethnische Identität [3]. Viele der schottischen Familien standen nicht selten unter dem Schutz der polnischen Magnaten protestantischen Glaubens (z. B. der Radziwiłł-Familie).

In seiner narrativen Darstellung, die sehr oft zu großen Teilen in die Fußnoten umgeleitet wird, verwendet Bajer den Topos von Aufstieg und Niedergang, der in weiten Felder der Forschung zur Frühen Neuzeit seit einiger Zeit stark kritisiert wird. Von den bescheidenen Anfängen im 15. Jahrhundert über den Aufstieg der Migranten im "goldenen" 16. und der ersten Hälfte des 17. Jahrhunderts, erlebte die schottische Einwanderung einen starken Rückgang im 18. Jahrhundert, um zusammen mit dem polnisch-litauischen Staat durch die Teilungen Polen-Litauens ein Ende zu finden. Der hier geschilderte Ansatz ähnelt dem der nationalen polnischen Geschichtsschreibung, die seit mehreren Generationen eine Antwort auf die Frage sucht, warum der bunte und multiethnische polnisch-litauische Staat in der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts einen rasanten Niedergang erlebte. Ähnlich wie die polnische Geschichtsschreibung bietet Bajer auf die Frage nach dem Rückgang der schottischen Einwanderung keine endgültige Antwort.

Das Buch besitzt durchaus einen enzyklopädischen Charakter und ist dadurch keine leichte Lektüre. Selbige wird zudem durch zahlreiche redaktionelle Ungenauigkeiten erschwert. So etwa, wenn nur an einer Stelle (274) im Haupttext ein nicht übersetztes Zitat aus dem Polnischen stehen bleibt (alle anderen sind übersetzt) oder im Anmerkungsapparat bibliographische Angaben ungenau oder fehlerhaft wiedergegeben sind. Manche Stellen in der Darstellung sind zudem schlicht unverständlich.

Die Bedeutung der Arbeit für die polnisch-litauische Geschichte und ihre hohe analytische Qualität wird durch diese redaktionellen Mängel jedoch nicht gemindert. Der Verfasser fügt in seinem Buch brillant die bis dato getrennte polnische, deutsche und britische Geschichtstradition zusammen und bietet dadurch sowie durch seine außergewöhnlichen Quellenkenntnisse luzide und unersetzbare Einblicke in die schottische Präsenz in Polen-Litauen in der Frühen Neuzeit.


Anmerkungen:

[1] Das von Bajer noch teilweise ausgewertete Archiv in Kamjanez-Podilskyj in der Ukraine wurde vor kurzem durch einen Brand fast vollständig vernichtet, siehe: Renata Mazur-Król: Miasto trzech nacji. Studia z dziejów Kamieńca Podolskiego w XVIII wieku, Kraków 2008, S. 16, Anm. 14.

[2] Wenig überzeugend ist in diesem Zusammenhang Bajers Feststellung, dass Polen-Litauen eine strikt geschlossene gesellschaftliche Struktur besaß, in der Bewegungen zwischen verschiedenen Bevölkerungsgruppen fast unmöglich waren (313). Der Adelsstatus konnte in Polen-Litauen durch Geburt aus einer legalen adligen oder halbadligen Ehe, Naturalisierung (Anerkennung eines fremden Adelstitels; Polnisch: indygenat) oder Nobilitierung erworben werden. In der Praxis wurde für einen Adligen in Polen-Litauen derjenige gehalten, der von dem Adel als Adliger anerkannt wurde und sich durch Selbstverständnis, Selbstdarstellung, Selbststilisierung und Repräsentation als Adliger behauptete und dies auch in der materiellen Kultur manifestierte. Dies führte zu häufigen Usurpationen des Adelsstatus, siehe: Wacław Uruszczak: Historia państwa i prawa polskiego, t. 1 (966-1795), Warszawa 2010, S. 192-193. Über den polnisch-litauischen Adelsbegriff und seine Entwicklung in der Schriften des 16., sowie 17. Jahrhunderts, siehe Sławomir Bałczewski: Szlachectwo. Studium z dziejów idei w piśmiennictwie polskim. Druga połowa XVI-XVII wiek, Lublin 2009. In der von Bajer erwähnten Unterteilung des polnischen Adels dürfte der Begriff des landlosen Adels anstatt von hołota (Deutsch: Mob) durch die in der Forschung übliche Bezeichnung gołota (vom Polnischen: goły "nackig") ersetzt werden (309). Beide Begriffe wurden wechselweise in der altpolnischen sprachlichen Praxis der Frühen Neuzeit verwendet.

[3] Die von Bajer genutzte scharfe Trennung zwischen polnischer/deutscher bzw. schottischer Identität könnte möglicherweise durch den Blick auf den Begriff der Transnationalität differenziert werden. Vor allem bei den adligen Migranten in der Frühen Neuzeit lässt sich eine flexible Identität beobachten, die gleichzeitige, parallele Identitäten zulässt, siehe z. B.: Christine Isom-Verhaaren, Shifting Identities: Foreign State Servants in France and the Ottoman Empire, Journal of Early Modern History, vol. 8 (2004), S. 109-134.

Mariusz Kaczka