Rezension über:

Florian Pressler: Die erste Weltwirtschaftskrise. Eine kleine Geschichte der Großen Depression (= Beck'sche Reihe; 6090), München: C.H.Beck 2013, 256 S., 15 Abb., ISBN 978-3-406-64535-8, EUR 14,95
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Rezension von:
Jan-Otmar Hesse
Universität Bielefeld
Redaktionelle Betreuung:
Michael C. Schneider
Empfohlene Zitierweise:
Jan-Otmar Hesse: Rezension von: Florian Pressler: Die erste Weltwirtschaftskrise. Eine kleine Geschichte der Großen Depression, München: C.H.Beck 2013, in: sehepunkte 13 (2013), Nr. 9 [15.09.2013], URL: https://www.sehepunkte.de
/2013/09/22838.html


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Florian Pressler: Die erste Weltwirtschaftskrise

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Weil er "trotz langer Suche ... kaum Literatur fand, die für einen Bachelor-Studiengang geeignet erschien", beschloss der an der Universität Augsburg tätige Nordamerikahistoriker Florian Pressler, "selbst eine kurze Einführung zu verfassen, die einerseits leicht verständlich sein, aber andererseits einen Ausblick auf die Forschung in diesem Gebiet bieten soll." (8) Herausgekommen ist tatsächlich ein äußerst gut lesbares Buch, das für das seichte Bachelor-Studium ideal zu sein scheint, faktisch ohne Voraussetzungen auskommt und trotz eines begrenzten Seitenumfangs nicht nur die Weltwirtschaftskrise selbst (und das gleich in globalhistorischer Perspektive), sondern auch die Kriegszeit, ein Kapitel über die Bedeutung von John Maynard Keynes, die Entstehung des Bretton Woods-Systems sowie die aktuelle Wirtschaftskrisendiskussionen noch mit beleuchtet.

Tatsächlich liegt ein vergleichbares deutschsprachiges Buch zur Weltwirtschaftskrise bislang nicht vor. Seminare zum Thema sind auf die zahlreichen, allerdings hervorragenden Aufsätze angewiesen, unter denen für Deutschland Knut Borchardts Klassiker aus dem Jahr 1979 noch immer hervorsticht und in der Literaturliste von Pressler unbedingt hätte erwähnt werden müssen. [1] Presslers Buch schließt aber diese Lücke nicht, sondern vergrößert das Problem des BA-Studiums sogar noch. Hierzu tragen zunächst die zahlreichen Fehler bei, die das Buch enthält. So wird die Währung des kaiserlichen Deutschlands als "alte Reichsmark" (anstatt "Mark") bezeichnet und die in der Währungsreform 1924 geschaffene im Gegensatz dazu als "neue Reichsmark" (34). Es wird behauptet, die französische Regierung unter Leon Blum sei 1936 nicht vom Goldstandard abgegangen (124). Auch scheint Pressler nicht bemerkt zu haben, dass die Bedeutung Hjalmar Schachts für die Wirtschaftspolitik in Deutschland nicht aus seiner nur wenige Jahre ausgeübten Position als Reichswirtschaftsminister herrührte, sondern aus der des Reichsbankpräsidenten (154). In einem für BA-Studenten verfassten Buch sind solche groben Fehler unverzeihlich, weil sie sich gerade hier besonders tief einprägen könnten. Wie das so überaus fehlerbehaftete Manuskript Aufnahme in die Schriftenreihe der Bundeszentrale für Politische Bildung finden konnte, ist mir unbegreiflich. Wenig vorbildhaft für Studenten in den ersten Studienjahren ist des Weiteren Presslers Arbeitsweise. Anstatt insbesondere die Charakterisierung von Personen gründlich aus der Sekundärliteratur zu erarbeiten, schöpft Pressler aus neueren und älteren Zeitungsartikeln. Hjalmar Schacht erscheint so auf der Grundlage von SPIEGEL-Artikeln als "Magier des Geldes" (154) und Ivar Kreuger als "Finanzgenie" (128). Die Übernahme solcher meinungsfreudigen Urteile aus der Tagespresse wäre den Studenten der Bachelorphase gerade abzugewöhnen.

Sieht man nun - das erbetene Wohlwollen des Fachpublikums großzügig ausgelegt - von diesen aus meiner Sicht doch unverzeihlichen Fehlern ab, erweist sich auch Presslers Gesamtinterpretation der Weltwirtschaftskrise letztlich als ausgesprochen problematisch. Wohl weil er selbst von der Amerikageschichte herkommt, nimmt die Schilderung der US-amerikanischen Verhältnisse naturgemäß einen großen Raum ein. Diese verbindet sich bei Pressler aber mit der impliziten Vorstellung, dass die Weltwirtschaftskrise letztlich auf die Unterkonsumptionsphänomene in den USA der 1920er Jahre zurückgeht und von hier aus auf Europa übergegriffen habe, was ausführlich mit der großen Einkommenselastizität der Nachfrage nach Konsumgütern erläutert wird. Auch die Krisenüberwindung, die Pressler letztlich auf die Entstehung der Nachkriegsordnung im Bretton-Woods-System datiert, ist mit der US-amerikanischen Wirtschaftsgeschichte verbunden. Hiergegen lassen sich indes unzählige widerstreitende Erklärungsansätze anführen, die die Krisenursache in Europa verorten, welche von Pressler im Interesse einer konsistenten Gesamtinterpretation unbedingt hätten eingearbeitet werden müssen. Pressler folgt der Friedman-Schwartz-Interpretation der Weltwirtschaftskrise als geldpolitisch verursachte Kontraktion der Geldmenge in den USA und der Eichengreen-Interpretation, dass diese amerikanische Geldpolitik durch den Goldstandard weltweit exportiert worden sei. Dabei wäre es Aufgabe einer Einführung gewesen, die unterschiedlichen, jeweils theoretisch fundierten Interpretationen zu explizieren und gegeneinander abzugrenzen. Mit diesem Versäumnis steht eine allzu mechanistische Sichtweise auf die Wirtschaft in unmittelbarem Zusammenhang: Immer wieder finden sich im Buch Stellen, an denen Pressler mit Kausalitätsketten argumentiert, die in der von ihm plausibilisierten Variante der ökonomischen Theorie zwangsläufig sein müssten. Demnach müsste in einer solchen holzschnittartigen Sicht ein Handelsbilanzdefizit des Deutschen Reiches automatisch zu Auslandsverschuldung und zur Zahlungsunfähigkeit führen. Wie aber konnten Deutschland oder auch Großbritannien vor dem Ersten Weltkrieg mit dauerhaften Handelsbilanzdefiziten wirtschaftlich so erfolgreich sein? Die Weltwirtschaftskrise zeichnete sich gerade dadurch aus, dass ökonomische Gesetzmäßigkeiten und Regelhaftigkeiten durchbrochen worden waren, so dass zu ihrer historischen Aufklärung nur wirtschaftshistorische Details und keine Lehrbuchzusammenhänge herangezogen werden sollten. Wirtschaftsgeschichte als Fach erschöpft sich eben nicht, wie Pressler es einleitend vollkommen irreführend unterstellt, in Zahlen und Statistiken (8), sondern fahndet gerade nach Zusammenhängen, die aber nur historisch rekonstruiert werden können.

Das Buch endet mit einer ausführlichen Beschreibung der amerikanischen Diskussion während der Finanzkrise des Jahres 2008. Auch hier zeigt sich Pressler geradezu als waghalsig meinungsfreudig, wenn er die gegenwärtige Finanzkrise eindeutig auf die Einkommensungleichheit und die hierdurch frei gesetzten international marodierenden Kapitalströme zurückführt, Kritik an der Staatsintervention indes als pure Ideologie interpretiert. Das vorher auf 200 Seiten ausgebreitete Wissen über die Weltwirtschaftskrise spielt hierbei letztlich keine Rolle. Mit seinem Vorhaben, eine deutschsprachige Einführung zur Geschichte der Weltwirtschaftskrise zu schreiben, ist Pressler letztlich gescheitert. Mit Ausnahme der US-amerikanischen Geschichte sind seine Ausführungen zu oberflächlich, zu fehlerbehaftet, rhetorisch zu überschwänglich und der überaus gute internationale Forschungsstand wird zu wenig rezipiert und systematisch aufgearbeitet. Pressler scheitert aber zum Teil auch an einem heute ganz typischen Problem der deutschen Hochschullandschaft, die institutionell nach solchen Einführungen geradezu schmachtet. Vielschichtige Forschungsgebiete mundgerecht zu zerkleinern, vorzukosten und vorzuverdauen, wie es in der BA-Ausbildung verlangt wird, ist aber nicht für alle Themen gleichermaßen möglich. Wir werden uns damit abfinden müssen, dass der derzeitigen seichten BA-Ausbildung eine echte Durchdringung komplexer Themen wie die Weltwirtschaftskrise verschlossen bleiben wird.


Anmerkung:

[1] Knut Borchardt: Zwangslagen und Handlungsspielräume in der großen Weltwirtschaftskrise der frühen dreißiger Jahre [1979]. In: Knut Borchardt (Hg.): Wachstum, Krisen, Handlungsspielräume der Wirtschaftspolitik. Studien zur Wirtschaftsgeschichte des 19. und 20. Jahrhunderts, Göttingen 1982, 165-182.

Jan-Otmar Hesse