Rezension über:

Herbert Haupt: "Ein liebhaber der gemähl und virtuosen ...". Fürst Johann Adam I. Andreas von Lichtenstein (1657-1712) (= Quellen und Studien zur Geschichte des Fürstenhauses Lichtenstein; Bd. III/2), Wien: Böhlau 2012, VII + 1280 S., ISBN 978-3-205-78786-0, EUR 169,00
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Rezension von:
Matthias Schnettger
Johannes Gutenberg-Universität, Mainz
Redaktionelle Betreuung:
Peter Helmberger
Empfohlene Zitierweise:
Matthias Schnettger: Rezension von: Herbert Haupt: "Ein liebhaber der gemähl und virtuosen ...". Fürst Johann Adam I. Andreas von Lichtenstein (1657-1712), Wien: Böhlau 2012, in: sehepunkte 13 (2013), Nr. 7/8 [15.07.2013], URL: https://www.sehepunkte.de
/2013/07/22558.html


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Herbert Haupt: "Ein liebhaber der gemähl und virtuosen ..."

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Fürst Johann Adam I. Andreas von Liechtenstein (1656-1712) war einer der bedeutendsten österreichischen Adligen im Zeitalter des Barock und durch den Ankauf der Herrschaften Schellenberg (1699) und Vaduz (1712) der eigentliche Begründer des heutigen Fürstentums Liechtenstein. Im Dienst des habsburgischen Kaiserhauses nahm er seit den 1680er-Jahren eine Reihe von wichtigen Aufgaben wahr, darunter die Oberaufsicht über die neugegründete Girobank (1703-1705). Seine außergewöhnliche Kompetenz in Geld- und Wirtschaftsfragen stellte Johann Adam Andreas aber nicht nur in den Dienst des Kaisers, sondern nutzte sie auch zur Sanierung der eigenen Finanzen. So schaffte er es trotz der von seinem Vater übernommenen erheblichen Schuldenlast ein so gewaltiges Vermögen anzuhäufen, dass man ihm den Beinamen "der Reiche" gab. Diese Prosperität ist umso bemerkenswerter, als sie keineswegs durch einen Verzicht auf standesgemäße Repräsentation erkauft wurde. Im Gegenteil: Fürst Johann Adam Andreas war ein engagierter Bauherr, der zudem großen Wert auf die "möglichst hochwertige Ausstattung der Neubauten" legte (1). In der Kaiserstadt, wo er in der von ihm gegründeten Vorstadt Lichtenthal ein Sommerpalais und wenig später ein Stadtpalais errichtete, das "alle anderen in dieser Zeit in Wien entstandenen Adelspaläste übertreffen" sollte (ebd.), hat er bis heute sichtbare, beeindruckende Spuren hinterlassen. Da er aus seiner Ehe mit Erdmunda Maria Theresia von Dietrichstein (1662-1737) keine überlebenden Söhne hatte, fiel sein Besitz nach seinem Tod den Vettern aus der gundakarischen Linie des Hauses Liechtenstein zu.

Leider war diese knappe biografische Skizze nur teilweise aus der extrem kurzen Einleitung des vorliegenden Quellenbandes zu rekonstruieren. Stattdessen sah sich der Rezensent genötigt, auf den NDB-Artikel des Bearbeiters zurückzugreifen. [1] Gleich zu Beginn ist damit einer der Haupteinwände gegen die Edition angesprochen: Es ist kaum nachvollziehbar, dass einem über 1200-seitigen Quellenband eine lediglich 5-seitige Einleitung vorangestellt wird, wobei eineinhalb Seiten der Vorstellung der ausgewerteten Archivbestände (2f.), weitere zwei Seiten der Nennung von als Vorbild dienenden Publikationen sowie der Offenlegung der Editionsgrundsätze und schließlich eine knappe Viertelseite der Aufzählung der Register und des Glossars vorbehalten sind.

Der Benutzer sieht sich aber nicht nur in dieser Hinsicht beim Einstieg in den vorliegenden Band auf sich allein gestellt, sondern er erhält auch nur vage Hinweise auf dessen Inhalt. Recht klar sind die Angaben zu Provenienz und Art der Quellen, die in vier Hauptgruppen gegliedert sind: "Auszüge aus den fürstlich liechtensteinischen Zahl- und Hofzahlamtsbüchern von 1663 bis 1712"; den Briefwechsel des Fürsten mit Marcantonio Franceschini und Massimiliano Soldani (1691-1709); verschiedene "Korrespondenz, Rechnungsbelege, Bestandslisten, Verzeichnisse und vergleichbare Schriftstücke aus den Jahren 1661 bis 1712"; und schließlich "Inventare und Bestandsverzeichnisse der Jahre 1684 bis 1712" (1). Was der Benutzer hingegen nicht erfährt, ist, nach welchen Kriterien die aufgenommenen Quellen ausgewählt wurden. In der Einleitung gibt es diesbezüglich allenfalls vage Andeutungen, wenn Fürst Johann Adam Andreas als "Auftraggeber, Initiator und leidenschaftlicher Freund der schönen Künste, der Architektur und der Pferdezucht" charakterisiert (1) und als Ziel der Edition genannt wird, seiner "Persönlichkeit [...] näher zu kommen" und "die Motivation seiner Sammel- und Bauleidenschaft besser zu verstehen" (ebd.). Dem lässt sich im Umkehrschluss entnehmen, dass etwa die diplomatischen und "staatsmännischen" Aktivitäten sowie die Familienpolitik des Fürsten nicht im Fokus stehen.

Erfreulicherweise werden zumindest hinsichtlich der Quellenerschließung einige Lücken der Einleitung durch die Register aufgefangen. Es gibt ein Namensregister, das auch geografische Bezeichnungen beinhaltet und die unterschiedlichen Schreibweisen der Quellen berücksichtigt, ein Sachregister und ein Berufsregister. Hilfreich für das Verständnis der Quellen sind aber auch ein umfangreiches "Glossar der in den Archivalien verwendeten Fachausdrücke und Spracheigenheiten" (1125-1168), ferner ein Abkürzungsverzeichnis (7f.) sowie eine Stammtafel (1274f.).

Die Auszüge aus den Zahl- und Hofzahlamtsbüchern enthalten zahlreiche Informationen zur Bautätigkeit und den Sammelleidenschaften des Fürsten sowie zu vielen anderen Bereichen, wie Kleidung, Ernährung und Erziehung. So erhielt der "walsche sprachmeister" Giovanni Nadler 1707 für sieben Monate italienischen Sprachunterricht für die Prinzessinnen Gabriele und Theresia sowie zwei Bücher 89 Gulden (Nr. 1886), ein eher bescheidener Betrag, wenn man ihn mit den 118 Gulden und 30 Kreuzern vergleicht, die Bartolomeo Patuzzi "Bey der Weißen Roßen" 1711 für gelieferte italienische Trüffel und Meeresfische erhielt (Nr. 1981) oder gar mit den 1818 Gulden, die im selben Jahr "vor unterschidliche gelifferte silberne wahren" an die Kammerjuweliere Christoph von Radt und Bartholomäus von Hößlin gingen (Nr. 1983).

Für die Erwerbung von Gemälden, Büsten, Statuen etc. in Italien stellt die Korrespondenz des Fürsten mit Marcantonio Franceschini und Massimiliano Soldani eine wahre Fundgrube dar. Man erfährt nicht nur, welche Kunstwerke der Fürst wo und für welchen Preis erwarb bzw. in Auftrag gab. Auch die Umstände und Schwierigkeiten von Kauf und Transport werden sichtbar, denn die beiden Italiener fertigten nicht nur selbst Auftragswerke für Liechtenstein an, sondern wurden auch als seine Agenten tätig. Dabei ging es oft um die Werke namhafter Künstler, für die der Fürst aber nicht bereit war, jeden Preis zu bezahlen. So äußerte er sich am 28. November 1693 gegenüber Franceschini bereit, zwei Bilder von Carlo Cignani und Guido Reni zum Preis von 200 bzw. 80 Doppien zu kaufen, hielt die anderen angebotenen Gemälde, darunter Werke von Albani, aber für überteuert (Nr. 2155). Er zeigte sich auch nicht gewillt, die Katze im Sack zu kaufen und ließ sich von zwei Bildhauern Probestücke schicken, bevor er sie in seinen Dienst nahm (5. August 1693, Nr. 2152). Im selben Schreiben äußerte er sich skeptisch gegenüber dem Vorschlag Franceschinis, einen übernommenen Auftrag als Seccomalerei auszuführen, die Johann Adam Andreas für weniger dauerhaft hielt; außerdem sei sie schlechter zu reinigen. Die Korrespondenzen sind in italienischer Sprache verfasst. Alle Stücke werden jedoch durch einen ausführlichen deutschen Regest eingeleitet. Bedauerlich ist, dass es häufige Auslassungen gibt, bei denen nicht klar ist, ob es sich um bloße Eingangs- oder Schlussformeln oder um Informationen handelt, die dem Bearbeiter als unwesentlich erschienen. Gerade vor dem Hintergrund aktueller Forschungsansätze zu Agenten wäre es interessant gewesen, die gesamte Themenbreite der Korrespondenz kennenzulernen.

Recht heterogen präsentiert sich die dritte Sektion. Sie bietet vielfältige Informationen zur Beschäftigung und Entlohnung von unterschiedlichen Handwerkern, zum Beispiel Tischlern, Zimmermännern, Stuckateuren, Steinmetzen, Maurern und Goldschmieden. Aber auch die Pferdezucht, der Gartenbau, der Ankauf von Kunstwerken und Juwelen, Schuldverschreibungen und zahlreiche andere Themen werden berücksichtigt. Keineswegs verliefen die Bauarbeiten und die Ausstattung der Schlösser immer plangemäß. Beispielsweise erwiesen sich drei 1709 von Franceschini angefertigte Soffitten als zu schmal für ihren vorgesehenen Bestimmungsort in der Galerie, sodass man nicht umhin konnte, ein "stückl leindwandt anzustucken", auf dem Hofmaler Anton Sack ein wenig Himmel ergänzte (Nr. 3222, vgl. auch 3220, 3223 und 3224).

Die in der vierten Sektion versammelten Inventare und Bestandsverzeichnisse bieten eine Fülle von Angaben zur Ausstattung adliger Haushalte in den Jahrzehnten um 1700. Erfasst werden unter anderem Kleidung, Kunstwerke, Waffen, Möbel und die Bestände eines Naturalienkabinetts (3324).

Ungeachtet der genannten Defizite stellt die Edition einen reichen Fundus an Textzeugnissen bereit, die für viele Themen der Kunst-, Adels-, Wirtschafts- und Konsumgeschichte nutzbar gemacht werden können, um nur einige besonders naheliegende Beispiele zu nennen. Die beigegebene CD-ROM enthält eine PDF-Datei des kompletten Bandes, sodass die insgesamt 3330 hier versammelten Quellen auch auf elektronischem Weg nach den jeweils benötigten Informationen durchsucht werden können.


Anmerkung:

[1] Herbert Haupt: Liechtenstein, Johann Adam, in: Neue Deutsche Biographie, Bd. 14, Berlin 1985, 517. Onlinefassung: http://bsbndb.bsb.lrz-muenchen.de/sfz51262.html (09.06.2013).

Matthias Schnettger