Rezension über:
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Rezension von:
Matthias Schnettger
Historisches Seminar, Johannes Gutenberg-Universität, Mainz
Redaktionelle Betreuung:
Peter Helmberger
Empfohlene Zitierweise:
Matthias Schnettger: Lettres à Madame de Maintenon (Rezension), in: sehepunkte 19 (2019), Nr. 6 [15.06.2019], URL: https://www.sehepunkte.de
/2019/06/32561.html


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Lettres à Madame de Maintenon

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Seit geraumer Zeit beschäftigt sich die internationale Frühneuzeitforschung intensiv mit den Höfen als Zentren der Macht. Sowohl mikropolitisch orientierte Studien als auch akteurszentrierte Ansätze zur Erforschung der höfischen Außenbeziehungen haben dabei zu einer Verschiebung der Aufmerksamkeit weg von den Institutionen hin zu den Personen geführt. Längst hat sich die Erkenntnis durchgesetzt, dass bis weit ins 18. Jahrhundert hinein Herrschaft und diplomatische Beziehungen wesentlich von persönlichen Verbindungen geprägt und getragen wurden, die sich häufig neben den und manchmal gegen die sich formierenden Regierungsinstitutionen entfalteten. Anders als die ältere Geschichtswissenschaft, die vom voll entwickelten Anstaltsstaat des 19. und 20. Jahrhunderts als Norm und Ziel ausging, an denen auch die Verhältnisse der Frühen Neuzeit zu messen seien, hat die jüngere Historiografie diese nicht offiziellen bzw. nicht institutionalisierten personalen Elemente von Herrschaft und Diplomatie gewissermaßen aus der "Schmuddelecke" der Korruption, der Vetternwirtschaft und der Küchenkabinette herausgeholt und versucht, ihnen entsprechend den zeitgenössischen Maßstäben gerecht zu werden. Dabei rücken auch die Frauen an den Höfen in den Blick. Während sie - abgesehen von Lichtgestalten wie Maria Theresia von Österreich - in älteren Studien oft genug als bloße Dilettantinnen und nicht selten Störfaktoren der von professionellen - männlichen - Akteuren betriebenen institutionell fundierten Politik erschienen, werden sie nun als wichtige politische Akteurinnen wahrgenommen, die im dynastischen Fürstenstaat durch ihre unmittelbare Zugehörigkeit bzw. ihre enge Verbindung zur Herrscherfamilie prinzipiell zu politischem Handeln befähigt und legitimiert waren.

Eine Frau, deren Rolle unter diesen geänderten Vorzeichen eine Neubewertung erfahren hat, ist Françoise d'Aubigné, Marquise de Maintenon (1635-1719), die morganatische zweite Ehefrau König Ludwigs XIV. von Frankreich. Ihr Bild in der deutschen Historiografie wurde durch die gehässigen Äußerungen ihrer erbitterten Feindin Liselotte von der Pfalz, Herzogin von Orléans, verdunkelt. Zudem wurde ihr Einfluss auf den Sonnenkönig wesentlich negativ gesehen. So lastete man ihr zum Beispiel eine Mitverantwortung für Ludwigs zunehmend restriktive Hugenottenpolitik und die Revokation des Edikts von Nantes (1685) an. Dass derart eindimensionale Sichtweisen der Persönlichkeit dieser frommen und gebildeten Frau und ihren vielfältigen politischen Aktivitäten nicht gerecht werden, haben neuere Studien bereits gezeigt. So hat vor einigen Jahren Corina Bastian in ihrer Berner Dissertation die Korrespondenz zwischen Madame de Maintenon und der Princesse des Ursins, der Camarera major der spanischen Königin Maria Luisa Gabriella von Savoyen, ausgewertet und die wichtige Rolle dieser beiden Frauen in der Zusammenarbeit zwischen den bourbonischen Höfen in der Zeit des Spanischen Erbfolgekriegs beleuchtet. [1]

Umso erfreulicher ist es, dass der Forschung nun die Korrespondenz der Madame de Maintenon in einer stattlichen elfbändigen Edition zugänglich gemacht worden ist. In den ersten sieben Bänden haben verschiedene Bearbeiterinnen und Bearbeiter die von der Marquise selbst verfassten Schreiben ediert. [2] Die an sie gerichteten Schreiben sind in den hier anzuzeigenden Bänden 8-11 enthalten, die alle von Hans Bots, Eugénie Bots-Estourgie und Catherine Hémon-Fabre bearbeitet worden und in dem vergleichsweise kurzen Zeitraum 2016 bis 2018 erschienen sind. Damit ist die Edition abgeschlossen, keine 15 Jahre, nachdem das französisch-niederländische Editionsunternehmen seine Arbeit aufgenommen hat und keine zehn Jahre nach dem Erscheinen des ersten Bandes (2009) - eine für ein Projekt dieser Größenordnung mehr als respektable Leistung.

Jeder Band beginnt mit einer jeweils etwa 30 Seiten langen, von Band zu Band etwas anders gestalteten bzw. aufgebauten "Introduction". In Band 8 wird zunächst der Hintergrund des Editionsunternehmens dargestellt, bevor die Korrespondenzpartner der Marquise, geordnet nach Gruppen, vorgestellt werden: zunächst die Kleriker, dann hochgestellte Persönlichkeiten ("hautes personnalités", Bd. 8, 12), schließlich "un petit cercle d'intimes" (ibid., 13). Die folgenden Angaben zu den Quellen lassen die Schwierigkeiten erahnen, mit denen das Bearbeiterteam konfrontiert war. Denn die beiden Hauptbestände der Korrespondenz im Pariser Hôtel de Noailles und in der von der Marquise gegründeten Maison de Saint-Louis in Saint-Cyr wurden infolge der Französischen Revolution zerstreut. Infolgedessen sind einige Schreiben nicht auffindbar. Bei ihnen konnte daher nicht das Autograf zugrunde gelegt werden, sondern man musste auf Kopien oder ältere Editionen zurückgreifen. Andere Briefe, von deren Existenz man aus der Gegenkorrespondenz weiß, dürften von Madame de Maintenon selbst zerstört worden sein (ibid., 13-20). Jeder Band enthält knappe Angaben zu den wichtigsten Themen und zu den Editionsgrundsätzen sowie einen auf seinen Inhalt abgestimmten chronologischen Überblick über wichtige Ereignisse, der dabei helfen soll, die Schreiben an Madame de Maintenon besser zu verstehen. Ebenfalls in allen Bänden finden sich ein Abkürzungs- und Siglen- sowie ein Literaturverzeichnis. Sehr hilfreich für die Benutzung der Bände ist die Korrespondentenliste mit Angabe der betreffenden Schreiben.

Nicht nur die Einleitung, auch der wissenschaftliche Apparat ist um einiges schlanker ausgefallen als bei anderen Quelleneditionen zur Frühen Neuzeit. Das dürfte zum einen mit dem - trotz allem - ja doch ziemlich homogenen Quellenbestand zu tun haben, der weitergehende Erläuterungen entbehrlich erscheinen lässt, aber auch mit der Grundsatzentscheidung für eine straffe Durchführung des Editionsprojekts. Neben dem Verfasser bzw. der Verfasserin und (soweit möglich) dem Datum und dem Ausstellungsort ist für jeden Brief angegeben, auf welcher Textbasis die Edition beruht und ob es ältere Editionen gibt. Im Übrigen beschränken sich die Erläuterungen meistens auf knappe biografische Angaben sowie Erläuterungen zum Datum bzw. zur Chronologie. Fallweise werden aber auch Begriffe und Sachverhalte erklärt und Bezüge zwischen den Schreiben sowie zu anderen Überlieferungen wie dem Diarium Saint-Simons hergestellt. Insbesondere in den Schreiben der Kleriker werden auch etliche Zitationen von bzw. Anspielungen auf Bibelstellen offengelegt. Auf Regesten wurde hingegen ganz verzichtet. Wenn man Informationen zu einem bestimmten Sachverhalt sucht, kann man sich aber mithilfe der Chronologie, der Korrespondentenliste und dem Orts- und Namenregister recht gut orientieren. Die Bände 8-10 enthalten jeweils ein bandbezogenes Register, Band 11 eine kumulative Korrespondentenliste und ein kumulatives Orts-Namenregister für alle vier Bände der Schreiben an Madame de Maintenon, außerdem eine lange "Liste des Incipit des lettres" (507-590). Dank dieser Hilfsmittel sind eine Orientierung in dem umfangreichen Briefcorpus und eine zielgerichtete Recherche durchaus praktikabel.

Für viele Themen und Fragestellungen wird es sich lohnen, diese Edition der Briefe an Madame de Maintenon (und komplementär die der Schreiben der Marquise selbst) intensiv zu konsultieren. Einige Themenbereiche werden, wie bereits angedeutet, von dem Bearbeiterteam in den Einleitungen zu den einzelnen Bänden vorgestellt. In allen Bänden zählen Kirchen- bzw. religiöse Angelegenheiten zu den prominenten Gegenständen. Nicht zuletzt als einflussreiche Fürsprecherin beim König wurde Madame de Maintenon immer wieder in Anspruch genommen (vgl. auch Bd. 11, 12: "Mme de Maintenon, intermédiaire"). Ein anderes, sich durch die Bände 8-11 ziehendes Großthema sind die spanische Sukzessionsfrage, der Erbfolgekrieg und die Friedensverhandlungen. In Band 9 spielt auch die Krise während des extrem kalten Winters 1708/09 (des "Grand Hiver", 10) eine Rolle. In Band 11 sind der Tod Ludwigs XIV. (1715), der Rückzug seiner morganatischen Gemahlin aus Versailles und die Verschwörung ihres einstigen Zöglings, des Duc du Maine, im Jahr 1718 wichtige Themen. Neben der Korrespondenz über Staatsaffären und kirchliche Angelegenheiten gab es aber auch einen Austausch privaten Charakters im vertrauten Kreis ("le monde intime d'un cercle privé plein d'amitié", Bd. 8, 21).

Auch abseits dieser vom Bearbeiterteam hervorgehobenen Themenfelder hat die Edition eine Menge zu bieten. Am größten ist ihr Aussagewert fraglos für die Zeit, als Madame de Maintenon zur - wenn auch - morganatischen Gemahlin Ludwigs XIV. aufgestiegen war. Auch wenn diese Verbindung niemals öffentlich gemacht wurde, blieb kundigen Beobachterinnen und Beobachtern die Position der Marquise nicht verborgen. Insofern ist es nicht nur dem Überlieferungszufall geschuldet, dass aus der Zeit vor der Heirat mit Ludwig XIV. (vermutlich im Oktober 1683) lediglich knapp 20 der etwa 2500 Schreiben an Madame de Maintenon datieren, die in dieser Edition enthalten sind. Ein Herzstück ist fraglos die bereits von Corina Bastian ausgewertete Korrespondenz mit der Princesse des Ursins. Die Marquise unterhielt aber auch Briefwechsel mit verschiedenen Mitgliedern der königlichen Familie, den Marschällen Villars und Villeroy, der exilierten englischen Königin Maria Beatrix von Modena und der Herzogin von Mantua Susanna Enrichetta von Lothringen. Korrespondenzen wie die beiden letztgenannten deuten an, dass Madame de Maintenon in weibliche höfische Netzwerke eingebunden war, deren Ausdehnung, Tragfähigkeit und Bedeutung noch genauer zu untersuchen wären. Diese wenigen Hinweise mögen an dieser Stelle genügen, um die vielseitige Nutzbarkeit dieser Quellenedition anzudeuten.

Zweifelsohne gebührt dem Bearbeiterteam hoher Respekt für diese Edition, die das Corpus der gedruckt verfügbaren Quellen zum Hof Ludwigs XIV. um eine wichtige Komponente bereichert. Als morganatische Gemahlin, die den unmittelbaren Zugang zu Ludwig XIV. und sein Vertrauen besaß, nahm Madame de Maintenon eine Schlüsselposition am Versailler Hof ein. Sie war aber zugleich in höchstem Maße vom König abhängig, nach dessen Tod ihr nur der Rückzug in ihre Stiftung Saint-Cyr blieb. Die Auswertung ihrer Korrespondenz dürfte den Blick auf diese Zentralfigur am Hof des alternden Sonnenkönigs und insgesamt auf die Handlungsräume von Frauen in der höfischen Welt um 1700 weiter schärfen. Wünschenswert wäre es, dass der analogen bald eine digitale Edition folgen und sich die Benutzbarkeit dieses wichtigen Quellenbestands damit weiter verbessern würde.


Anmerkungen:

[1] Corina Bastian: Verhandeln in Briefen. Frauen in der höfischen Diplomatie des frühen 18. Jahrhunderts (= Externa; Bd. 4), Köln / Weimar / Wien 2013.

[2] Vgl. die Besprechungen des ersten, dritten und des vierten Bandes durch Corina Bastian (http://www.sehepunkte.de/2010/05/17636.html), Annett Vollmer (http://www.sehepunkte.de/2013/03/20199.html) bzw. Catherine Daniélou (http://www.sehepunkte.de/2014/09/23953.html).

Matthias Schnettger