Rezension über:

Musharraf Ali Farooqi: The Adventures of Amir Hamza, New York: Random House 2008, 984 S., ISBN 9788184000443
Buch im KVK suchen

Rezension von:
Tilmann Kulke
European University Institute, Florenz
Redaktionelle Betreuung:
Stephan Conermann
Empfohlene Zitierweise:
Tilmann Kulke: Rezension von: Musharraf Ali Farooqi: The Adventures of Amir Hamza, New York: Random House 2008, in: sehepunkte 11 (2011), Nr. 10 [15.10.2011], URL: https://www.sehepunkte.de
/2011/10/19475.html


Bitte geben Sie beim Zitieren dieser Rezension die exakte URL und das Datum Ihres Besuchs dieser Online-Adresse an.

Forum:
Diese Rezension ist Teil des Forums "Islamische Welten" in Ausgabe 11 (2011), Nr. 10

Musharraf Ali Farooqi: The Adventures of Amir Hamza

Textgröße: A A A

Die Entstehungsgeschichte des vorliegenden Buches ist unangenehm zynisch: Als im Sommer 2002 der Irak-Krieg bereits eine beschlossene Sache war und die Ziele für die ersten Bombenangriffe abgesteckt wurden, präsentierte nur einige Kilometer vom Pentagon entfernt die 'Smithonian's Arthur M. Sackler Gallery' eine ungewöhnliche Ausstellung. Zum ersten Mal in der Geschichte wurde dem westlichen Publikum mehr als 1400 der meisterlichen Illustrationen gezeigt, die der Mogulherrscher Jalal ad-Din Muhammad Akbar (1542-1605) in seinen Jugendjahren anfertigen ließ und welche die Taten seines Lieblingshelden zeigen: Die Abenteuer des Amir Hamza. Die Ausstellung erfuhr großen Zuspruch. Viele erkannten, dass diese "longest single romance in the world" fast komplett vergessen war. [1] Gerade einmal eine Handvoll Wissenschaftler beschäftigte sich mit Amir Hanzas Abenteuern, da weder eine neuere Edition, geschweige denn eine englische Übersetzung vorhanden war. Das änderte sich endlich 2008, als Musharraf Ali Farooqi dem Publikum diese meisterhafte Übersetzung des beliebtesten mittelalterlichen indo-islamischen Epos präsentierte. Doch noch während die Ausstellung lief, die bis zuletzt hohe Besucherzahlen verbuchte, und Farooqi sich bereits in den Archiven Delhis, Cambridge, London und Washingtons eingegraben hatte, machten sich amerikanische Bomber an die Arbeit, die Handlungsorte der vorliegenden Geschichte dem Erdboden gleichzumachen.

Das 'Hamzanamah' war die beliebteste Heldensage des frühneuzeitlichen indo-persischen Kulturraums. Der historische Kern der Geschichte geht bis in die ersten Jahre der islamischen Geschichte zurück. Hamza Ibn 'Abdul-Muttalib war der väterliche Onkel des Propheten, und wird innerhalb der islamischen Historiographie als einer der tapfersten und entschlossensten Mitkämpfer des Islam beschrieben. Dieser 'historische Hamza' wurde 625 in einer Schlacht gegen die Mekkaner getötet - ein Schock für die junge muslimische Gemeinde. Und zu diesem Verlust kam die Erniedrigung, die die mächtige mekkanische adlige Hind Muammad und seinen Helfern zufügte. Sie schändete Hamzas Leichnam indem sie, so die Erzählung, dessen Leber gegessen habe und wurde schließlich als "Hind-e jegar-ḫār" - "Hind, die Leberesserin" bekannt. Es könnte aber auch sein, dass das historische Vorbild Hamzas nicht der Onkel des Propheten gewesen, sondern in der Figur des charismatischen Revolutionärs iranischer Abstammung Hamza Ibn Abdullah zu finden ist, Mitglied der Kharijiya, eine der frühen sektiererischen Abspaltungen aus der islamischen Gemeinde. Wer es nun genau war, können wir nicht wissen. Beide möglichen, historisch-faktualen Vorbilder der vorliegenden Hauptfigur haben jedoch gemeinsam, dass sie mit großer Sicherheit exzeptionelle Charaktere waren, über die ihre Anhänger und Feinde erzählen und hören wollten und die für ihre jeweilige Vorstellung von Moral und Religion mit ihrem Leben eintraten.

Ort der Handlung ist der legendäre Hof der Sassaniden unter dem Herrscher Khusrau I. (reg. 531-579) und der Regierung seines weisen Wesirs Buzurjmehr. Kein geringer als Hamid Dabashi schreibt in seiner ausgezeichneten Einleitung zum vorliegenden Buch zur Frage des historischen Kerns und der Hauptthematik der Erzählung: "This royal element of the story points to a numerous of intervening factors. First and foremost, the tribal and rebellious origin of the historical Hamza is here balanced by the royal and sedentary court of the Sassanids. The juxtaposition of an austere religious uprising of the early Muslim conquests and the opulent court of the Sassanids has been a running motif of the early Islamic history. There is an added element of the Arab origin of Amir Hamza and the Persian disposition of the Sassanid court that here comes out to play in the popular and creative imagination in which the Prophet of Islam is believed to have said. "I was born at the time of the Just King," meaning the time of Naushervan the Just [...] But above all, the narrative significance of placing Amir Hamza in the courtly context of the Sassanid empire is in moving the story into the popular domain of a collective imagination that plays off imperial power and rebellious audacity against each other." Und weiter: "Its historical roots in Arabia of the early seventh century and the Sassanid court at Ctesiphon at the time of the rise of Islam notwithstanding, the story you are about to read is the distillation of generations, of millennia, and of constellations of cultures, histories, lives, and divergent universes, made here to converge on the life and adventures of one valiant hero named Amir Hamza." [2]

In der vorliegenden Geschichte gehört Amir Hamza nicht dem Adel an und muss sich von unten hocharbeiten. Er verliebt sich in die wunderschöne Tochter des Herrschers, doch ohne jegliche Hoffnung auf Erfolg. Erst mit der Hilfe des Magiers Buzurjmehr gewinnt er ihre Hand und zum Dank tritt er in die Dienste des Herrschers ein, für den er nun zahlreiche unterschiedlichste Abenteuer und Aufgaben bewältigen muss. Hier trifft er auf treue Freunde aber auch auf Verräter und Verrückte, Verführungen aller Art, (falschen) Propheten und Dämonen muss er widerstehen. Mit seinem treuen Freund Amar Ayyar reist er an die Orte, an denen der Hamza-epos bekannt war und erzählt wurde: Von Nordafrika nach Zentralasien und Indien, nach China, Java, Bali, die malayischen Inseln, in den Sudan und zurück in den Kaukasus und das Osmanische Reich. Und all diese Orte, ihre Geschichtenerzähler und Sprachen hinterließen ihren Stempel in der Erzählung, die der heutige Leser in den Händen hält und was den Hamzaepos eben so einzigartig macht. " The Polyvocality of the voices you are about to hear echoes throughout the languages and literatures of many peoples, over many centuries, spread over many literary universes [...] What you are holding in your hand is a piece of world literature - all in just one volume." (xiv)

Mit der Zeit entwickelten sich die Erzählungen über Hamza zur 'Ilias und Odysse" des mittelalterlichen Iran. Natürlich kam es hier an Abu al-Qasem Ferdowsi's (ca. 935-1020) Shahnamah nicht vorbei und nahm zahlreiche inhaltliche, stilistische und kompositorische Eigenschaften in sich auf. Später bildete Ferdowsis Werk einen wesentlichen literarisch-kulturellen Bezugs-und Fixpunkt für die machtausübenden Eliten der drei frühneuzeitlichen islamischen Imperien, dem osmanischen, der iranischen Safawiya und den indischen Moguln. Bei letzeren sollten sich die Abenteuer des Amir Hamza jedoch einer noch größeren Beliebtheit erfreuen. Bereits in der Mitte des 13. Jahrhundert sah der große Gelehrte Sa'idi eine Tendenz heraus, die die frühneuzeitliche indo-persische Kultur entscheidende prägen sollte. "Shekar shekan shavand hameh tutian-e Hend / Zin qand-e Parsi keh beh Bangaleh miravad" ("Alle Papageien Indiens sprechen mit süßer Zunge über diesen persischen Zucker der bis nach Bengal kommt.") (xvii)

Nachdem die ersten Perser als Zoroastrier zu Beginn der islamischen Expansion in Indien Exil gesucht hatten, emigrierte die zweite große Welle sunnitischer Iraner am Beginn des 16. Jahrhunderts nach Indien, da in ihrer Heimat nun die shi'itische Glaubenslehre unter der Safawiya als offizielle Staatsreligion verkündet wurde. Unter ihnen waren zahlreiche herausragende sunnitische Intellektuelle, die in den gerade zur Macht gekommen Moguln neue Patronen fanden, da diese dringend auf kulturell-islamisches Kapital angewiesen waren. Hinzu kamen muslimische Händler und wandernde Sufis, die ihrerseits und auf ihre Weise über Jahrhunderte hinweg zur Verbreitung des Hamza-Epos in Indien beitrugen. Es waren jedoch nicht nur diese willkommenen Immigranten, welche die literarische Welt des frühneuzeitlichen Indiens bereicherten; iranische Dynastien griffen regelmäßig Nordindien an. Schließlich war es Mahmud von Ghazna (971-1030), der sein Reich und damit dieses beliebte persische Epos vom Osten Irans bis ins heutige Afghanistan und Pakistan ausbreitete. Frances Pritchett sieht in seiner wichtigen Studie zum Hamza-Epos den Hof Mahmud von Ghazna als eigentlichen Entstehungsort des Hamza-nama. [3] Den endgültigen Durchbruch erfuhren die Abenteuer Hamzas jedoch erst unter der Herrschaft der Moguln auf Urdu. Das Hamza-nama war für das aufkommende Urdu zwischen dem 16. und 18. Jahrhundert etwa so wichtig wie Ferdowsis Shah-nama für die persische Sprache, Dantes (1256-1321) Göttliche Komödie für die italienische und Luthers (1483-1546) Übersetzung der Bibel für die deutsche Sprache.

Der letzte iranische Herrscher, der Indien 1739 mit Plünderungen überzog, war schließlich Sultan Mahmud. In seiner reichen Beute befanden sich unter anderem die von Akbar in Auftrag gegebenen Zeichnungen des Hamza-nama. Man könnte meinen, der Kreis schließt sich und das Epos kehre an seinen Ursprungsort zurück. Doch mit dem Beginn des Einsatzes der Druckerpresse in Indien ca. hundert Jahre später, fand auch die Verbreitung der Hamza-Abenteuer einen neuen und letzten großen Aufschwung. Bereits zu Beginn des 19. Jahrhunderts wurden am Fort William College britische Kolonialbeamte mit Hilfe der 'Adventures of Amir Hamza' in die Sprache ihrer kommenden Untertanen unterwiesen, nachdem Khalil Ali Khan Ashk 1801 seine Version der Dastan-e Amir Hamza drucken ließ und seine Version den Briten zur Verfügung stellte. Zum Ende des 19. Jahrhunderts erfolgten weitere Versuche, den Hamza-Epos zu edieren, zusammenzufassen, bzw. komplett zu übersetzen: Sheik Sajjad Hosain "The Amir Hamza: An Oriental Novel" von 1892 wurde zwar nicht beendet, doch kurz darauf präsentierte der niederländische Gelehrte Phillip van Ronkel einige Auszüge aus Hamzas Abenteuern in seiner "De Roman van Amir Hamza" (1895). Als sich schließlich einige indische Geschichtenerzähler (dastangoi) und Verleger daran machten, den gesamten bekannten Stoff des Hamza-Epos zu verschriftlichen, erschienen zwischen 1883 und 1917 43 Bände, je 1000 Seiten lang. Da die Geschichtenerzähler größte literarische Freiheit haben, wenn sie ihre Epen in nächtelangen Vorstellungen präsentieren und sich lediglich an Kern des Epos halten müssen - die Geschichtenerzähler können durch Zurufe aus dem Publikum an diesen erinnert werden, sollten sie in ihren Darstellungen zu sehr abschweifen - kam es also zu diesen mehr als 40.000 Seiten. [4] Hierzu nocheinmal Dabashi: "What in Urdu is called dastan is a mode of storytelling that combines popular fantasies and literary tropes to produce highly readable and entertaining stories. These stories give an account of heroic deeds and lavish banquets whose very out-of-the-oridinary flamboyance places them on the two extremities of legendary lives and thus marks their heroes from mere mortals-and for that reason, perhaps, these stories were generally known as hamesh, or romances. As evident in both the Alexander and Amir Hamza romances, these stories had a bare base in historical facts and the rest was the result of the creative ego of generations of storytellers and the varied audiences they imagined for their tales - ranging all the way from the high court of powerful kings and famous princes down to inhabitants of crowded bazaars and the winding streets and back alleys of very ordinary people." (xi/xii)

Diese 43 Bände des Hamzaepos waren Farooqi zwar als Mikrofilm zugänglich, für eine komplette Übersetzung jedoch gänzlich ungeeignet; sie dienten ihm aber immer wieder als wichtiges Referenzwerk. Glücklicherweise stieß Farooqi während seiner Recherchen auf die populärste, einbändige Version des Dastan-e Amir Hamza. Diese wurde 1855 durch Ghalib Lakhnavi in Urdu veröffentlicht und fand schließlich 1871 durch Abdullah Bilgrami in erweiterter Form seinen Abschluss. Beide können jedoch nicht mit unserem heutigen Begriff 'Autoren' kategorisiert werden. Sie waren eher Sammler dieses sprachlichen dastan, der ja unzählige Erzählversionen kannte. Natürlich bedeutete diese Auswahl eine starke Kürzung - der narrative Kern und die Hauptstränge der Erzählung blieben jedoch erhalten und liegen uns nun erstmals komplett in einer ausgezeichneten englischen Übersetzung vor.

Farooqi führt uns in seine mehr als 900 Seiten umfassenden Übersetzung auf unnachahmliche Weise ein: "The florid news writers, the sweet-lipped historians, revivers of old tales and renewers of past legends, relate that there ruled at Ctesiphon in Persia (image of Heaven!) Emperor Qubad Kamran, who cherished his subjects and was a succor to the impecunious in their distress. He was unsurpassed in dispensing justice, and so rigorous in this exercise that the best justice appeared an injustice compared to his decree. Prosperity and affluence thrived in his dominions while wrong and inequity slumbered in death, and, rara avis-like, mendicants and the destitute were extinct in his lands. The wealthy were at a loss to find an object for their charity. The weak and the powerful were equals, and the hawk and the sparrow roosted in the same nest. The young and the old sought one another's pleasure, neither ever deeming himself the sole benefactor. The portals of houses remained open day and night like eyes of the vigil, for is someone stole even the color of henna from the palm, [...] he was ground in the mill of justice. The thief therefore did not even dream of thieving, and if perchance a wayfarer should come upon someone's property on the road, he took it up himself to restore it to its owner. Compared with Qubad Kamra's fearlessness, might, and valor, Rustam was the same as a hag most decrepit and cowardly." (1)

Mit seiner großartigen Übersetzung führt uns Farooqi in die Bräuche, Phantasien, Wünsche, Ängste und Träume dieser längst vergangenen und faszinierenden indo-islamischen Kultur ein. Denn obwohl die eigentliche Handlung und Orte im mittelalterlichen Iran und Irak spielen, betritt der Leser eher die mentalitätsgeschichtliche Welt des ausgehenden 18. Jahrhundert Mogulindiens. Zahlreiche Helden haben Hindunamen und schwören auf Rama, während sie auf indischen Elefanten in den Kampf ziehen.

Auch William Dalrymple, der aktuelle shooting-star innerhalb der Mogulforschung, kommentiert Farooqis Meisterwerk: "To read "The Adventures of Amir Hamza" is to come as close as is now possible to the world of the Mughal campfire - those nights gatherings of soldiers, sufis, musicians and hanger-on that one sees illustrated in Mughal miniatures, a storyteller beginning his tale in a clearing of a forest as the embers of the blaze glow red and the eager faces crowed around [...] At this perilous moment in history, the Hamza epic, with its mixed Hindu and Muslim idiom, its tales of love and seduction, its anti-clericalism (mullahs are a running joke throughout the book), its stories of powerful and resourceful women, and its mocking of male misogyny, is a reminder of an Islamic world the West seems to have forgotten: One that is imaginative and heterodox - and as far as can be from the puritanical Wahhabi Islam that the Saudis have succeeded in spreading throughout much of the modern Middle East." Dem lässt sich nichts hinzufügen.


Anmerkungen:

[1] Siehe William Dalrymple: Eat Your Heart Out, Homer, in: New York Times Sunday Book Review, Published: January 6, 2008.

[2] Hamid Dabashi: Introduction, in: The Adventures of Amir Hamza, übersetzt von Musharraf Ali Farooqi, Delhi 2008, xiii.

[3] Frances W. Pritchett: The Romance Tradition in Urdu: Adventures from the Dastan of Amir Hamzah, New York 1991.

[4] Dies beschreibt ausgezeichnet William Dalrymple in seiner neusten Studie. Nine Lives: In Search of the Sacred in Modern India, London 2010.

[5] Siehe Anmerkung 1.

Tilmann Kulke