Rezension über:

Ulrich Pietsch: Die figürliche Meißner Porzellanplastik von Gottlieb Kirchner und Johann Joachim Kaendler. Bestandskatalog der Porzellansammlung Staatliche Kunstsammlungen Dresden. Mit Beiträgen von Daniela Antonin, München: Hirmer 2006, 207 S., 300 Farb-Abb., ISBN 978-3-7774-3265-6, EUR 65,00
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Rezension von:
Corinna Rönnau
Zentralinstitut für Kunstgeschichte, München
Redaktionelle Betreuung:
Michaela Braesel
Empfohlene Zitierweise:
Corinna Rönnau: Rezension von: Ulrich Pietsch: Die figürliche Meißner Porzellanplastik von Gottlieb Kirchner und Johann Joachim Kaendler. Bestandskatalog der Porzellansammlung Staatliche Kunstsammlungen Dresden. Mit Beiträgen von Daniela Antonin, München: Hirmer 2006, in: sehepunkte 8 (2008), Nr. 4 [15.04.2008], URL: https://www.sehepunkte.de
/2008/04/12303.html


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Ulrich Pietsch: Die figürliche Meißner Porzellanplastik von Gottlieb Kirchner und Johann Joachim Kaendler

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Mit dem von Ulrich Pietsch unter Mitarbeit von Daniela Antonin erstellten Katalog figürlicher Meißner Porzellanplastik von Gottlieb Kirchner und Johann Joachim Kaendler liegt nun der erste Bestandskatalog eines Teils der insgesamt etwa 20.000 Objekte umfassenden Porzellansammlung der Staatlichen Kunstsammlungen Dresden überhaupt vor, die neben Porzellanen aus Meißen auch über Stücke anderer europäischer Manufakturen sowie solche aus dem China und Japan des 16. bis 18. Jahrhunderts verfügt. Ursprünglich hervorgegangen aus der von August dem Starken begonnenen Sammlung des sächsischen Königshauses, handelt es sich bei den Dresdner Beständen um die weltweit bedeutendste Sammlung Meißner Porzellans des 18. Jahrhunderts.

Bis 1962 musste auf die Inventare der Königlichen Sammlung im 1717 erworbenen Holländischen Palais - ab 1722 als Japanisches Palais bezeichnet, sollte es die umfangreichen Porzellanbestände August des Starken aufnehmen - aus den Jahren 1721, 1769, 1770 und 1779 zurückgegriffen werden. Das 1833 begonnene Zugangsbuch war lückenhaft geblieben. Erst mit der Rückgabe der in die Sowjetunion als Kriegsbeute verbrachten Kunstwerke und der Bestimmung des Dresdner Zwingers als dauerhaften Aufstellungsort im Jahr 1962 wurde ein neues Inventar begonnen, dessen Einträge sich aber lediglich auf die wichtigsten Daten zu den Objekten beschränken. Zusammen mit den Angaben eines vorhandenen Karteikartensystems konnten sie den wissenschaftlichen Anforderungen nicht entsprechen, um als Grundlage für die Erstellung eines Bestandskataloges zu dienen.

In den folgenden Jahren will die Porzellansammlung der Staatlichen Kunstsammlungen Dresden weitere Teile ihrer Bestände bearbeiten und publizieren. Die 300. Wiederkehr der Geburtstage der im selben Jahr geborenen Porzellanmodelleure Gottlieb Kirchner und Johann Joachim Kaendler war somit ein passender Anlass für das Erscheinen dieses ersten Bestandskatalogs.

Gottlieb Kirchner, der mit Unterbrechungen von 1727 bis 1737 als Modelleur und zeitweise als Modellmeister in Meißen beschäftigt war, und Johann Joachim Kaendler, der von 1731 als Modelleur, ab 1733 als Modellmeister bis zu seinem Tod 1775 für die Manufaktur arbeitete, können mit Recht als die Schöpfer der europäischen Porzellanplastik bezeichnet werden. Bezog die Manufaktur anfänglich Entwürfe von in Dresden ansässigen Hofbildhauern wie Balthasar Permoser, Benjamin Thomae und Paul Heermann, sicherte sie sich mit dem Eintritt Kirchners und Kaendlers in die Manufaktur eigene Spezialisten, die den Beruf des Bildhauers zwar erlernt hatten, sich den technischen und künstlerischen Umgang mit dem 'neuen' Material Porzellan aber erst noch erarbeiten mussten.

Kirchner sollte die Tierplastiken in Lebensgröße für das Japanische Palais realisieren. Kaendler, ihm anfänglich zur Seite gestellt, perfektionierte dann die naturnahe Umsetzung im Sinne des Auftraggebers, der sich - ganz absolutistischer Herrscher - zu seinen bestehenden Menagerien eine weitere aus Porzellan wünschte.

Die Dresdner Porzellansammlung besitzt trotz der im 19. Jahrhundert erfolgten Verkäufe von so bezeichneten Doppelstücken großformatiger Tierplastiken zur Finanzierung eines geplanten keramischen Universalmuseums und der im Jahr 1920 getätigten Rückgabe zur Abfindung des entthronten Wettiner Fürstenhauses weltweit noch heute den größten Bestand an diesen Stücken. Seit dem Ende des 19. Jahrhunderts besteht bis heute ein verstärktes Interesse darin, durch Neuerwerbungen und Schenkungen innerhalb der Sammlung den Bestand an von Kaendler entworfener Kleinplastik zu vervollständigen. Befindet sich doch ein großer Anteil dieser überwiegend für die Ausstattung der fürstlichen Porzellankabinette oder festlichen Tafeln bestimmten Dekorationen heute nach der von modischen Aspekten gelenkten Veräußerung an private Sammler in den Beständen bedeutender Museen.

Der nun 2006 vorgelegte Bestandskatalog verzeichnet auf 207 Seiten unter den sieben Gruppierungen 'Höfische Figuren und Gruppen', 'Wirtschaften und Berufsdarstellungen', 'Nationaltrachten', 'Commedia dell'Arte und Theaterfiguren' sowie 'Mythologie, Allegorie und Satire', 'Religiöse Plastik' und der umfangreichsten Rubrik 'Tierplastik' 318 Porzellanfiguren, deren Modelle von Kirchner und Kaendler geschaffen wurden oder ihnen zugeschrieben werden können - unter der Einschränkung, dass es sich hierbei um Objekte handelt, die zu Lebzeiten der beiden Bildhauer ihre Ausformung erfuhren.

Die einzelnen Katalognummern enthalten die Zuweisung an den Modelleur, die neu erfassten Maße des Objekts sowie Angaben zur Manufakturmarke der gekreuzten Kurschwerter. Sind zusätzlich Ritzmarke oder Pressnummer vorhanden, werden sie vor Inventarnummer und Provenienz genannt. Allerdings werden Formerzeichen - wie z.B. bei einer der drei Katzen (Kat. Nr. 236-238) - oder eingeritzte Markierungen, die wohl zur Bezeichnung der Masseversätze dienten - wie bei den Pfauen, auf einem Baumstamm sitzend (Kat. Nr. 265-267) - nicht verzeichnet.

Der Fließtext des Katalogeintrags bietet neben einer genauen Beschreibung der Form sowie der Staffierung und deren zeitlicher Einordnung, wenn möglich, auch die Benennung der Vorlage für das Modell oder macht Angaben zum Entstehungszusammenhang. Die Auswertung der seit 1731 von der Manufaktur geforderten Arbeitsberichte der Modelleure sowie der "Taxa derer vom H. Modell-Meister Kaendler, zur Königl. Porcelaine-Manufactur in Meiszen seit Ao 1740. gefertigten und gelieferten neuen Modelle" ermöglichte nicht selten neben der Datierung den Nachweis des Modells im Zusammenhang seiner künstlerischen und technischen Entstehungsgeschichte und ist daher als Zitat angeführt. Als weitere Quellen zum Modell bzw. dessen Ausformung wurden das "Inventarium über das sämtliche Porcellain in Sr. des Herrn Premier-Ministre Reichs Grafen von Brühl Excellenz Conditorey, welches den 1ten Octobr. 1753 revidiret und übergeben worden", das so bezeichnete "Turmzimmer Inventar" des Dresdner Residenzschlosses von 1769 und die aus dem Jahr 1770 bzw. 1779 stammenden Inventare der Königlichen Porzellansammlung im Japanischen Palais herangezogen und zitiert.

Dem Katalogtext folgen eine kurze Bibliografie sowie Verweise auf die bedeutendsten Ausformungen des Modells in anderen Sammlungsbeständen, wobei diesbezügliche Vollständigkeit von vornherein nicht angestrebt wurde. Ebenso beschränken sich die Angaben zur Literatur aufgrund der Fülle der Veröffentlichungen zum jeweiligen Modell auf solche Publikationen, welche tatsächlich die in Dresden vorhandene Porzellanfigur erwähnen.

Als Bestandskatalog lediglich eines Teils der Dresdner Porzellansammlung kommt dieser, bis auf das einleitende Vorwort vom Direktor der Porzellansammlung, Ulrich Pietsch, ganz ohne die Behandlung der Themen Material, Technik, Manufakturgeschichte, Markenkunde oder Stilentwicklung aus. Der Leser findet zudem keine über die Katalogtexte hinausgehenden Angaben zur künstlerischen Entwicklung oder Biografie Kirchners und Kaendlers vor. Den Umfang des Literaturverzeichnisses hätte man sich durchaus großzügiger vorstellen können.

Überwiegend großformatige Farbabbildungen der Porzellanfiguren von bestechender Qualität sowie einzelne Detailaufnahmen bezaubern nicht nur den interessierten Laien und geben dem versierten Sammler ein Überblickswerk an die Hand, sondern bilden vielmehr mit einigen Abbildungen der von Kirchner und Kaendler möglicherweise benutzten Stich- und Gemäldevorlagen für den Kunsthandel und die Wissenschaft ein unverzichtbares Nachschlagewerk zur Meißner Porzellanplastik des 18. Jahrhunderts.

Corinna Rönnau