Rezension über:

Heike Franke: Akbar und Gahangir. Untersuchungen zur politischen und religiösen Legitimation in Text und Bild (= Bonner Islamstudien; Bd. 12), Schenefeld: EB-Verlag 2005, 369 S., ISBN 978-3-936912-34-0, EUR 19,50
Buch im KVK suchen

Rezension von:
Nader Purnaqcheband
Institut für Orientalistik, Arabistik und Islamwissenschaft, Martin-Luther-Universität, Halle-Wittenberg
Redaktionelle Betreuung:
Stephan Conermann
Empfohlene Zitierweise:
Nader Purnaqcheband: Rezension von: Heike Franke: Akbar und Gahangir. Untersuchungen zur politischen und religiösen Legitimation in Text und Bild, Schenefeld: EB-Verlag 2005, in: sehepunkte 6 (2006), Nr. 9 [15.09.2006], URL: https://www.sehepunkte.de
/2006/09/11771.html


Bitte geben Sie beim Zitieren dieser Rezension die exakte URL und das Datum Ihres Besuchs dieser Online-Adresse an.

Forum:
Diese Rezension ist Teil des Forums "Islamische Welten" in Ausgabe 6 (2006), Nr. 9

Heike Franke: Akbar und Gahangir

Textgröße: A A A

Dass der Begriff vom "Text" in den letzten drei Dekaden in der reinen Theorie der humanwissenschaftlichen Disziplinen stark expandiert ist und sich nunmehr auf Bilder, Architekturen, ja sogar auf Praktiken und institutionelle Rahmenbedingungen erstreckt, bedeutet keineswegs, dass dieses erweiterte Feld auch in der Forschungspraxis gebührend erschlossen worden ist. Nicht nur in dieser Hinsicht schließt die vorliegende Monographie eine Lücke für die Geschichte der Kernzeit der muslimischen Mogul-Herrschaft über Indien unter Akbar (reg. 1556-1605) und seinem Sohn Ǧahāngīr (reg. 1605-1627).

1978 widersprach John F. Richards der damals vorherrschenden Auffassung, wonach Akbars Konzept des Dīn-i ilāhī als Produkt seiner Religiosität anzusehen und gleichzeitig auf seine Person zu beschränken sei. Vielmehr müsse der Dīn-i ilāhī als ein ideologisches Konstrukt begriffen werden, das von Ǧahāngīr übernommen worden sei. An Richards' Theorie der Kontinuität innerhalb der Herrschaftsideologie anknüpfend, weist Heike Franke darauf hin, dass das in den schriftlichen Quellen von Ǧahāngīr gezeichnete Bild problematisch ist. Während nämlich dessen Vater Akbar sich von seinem überaus begabten Hof-Ideologen Abū l-Fażl ‘Allāmī (gest. 1602) zum nahezu unfehlbaren und idealen Herrscher modellieren ließ, verlagerte sich das Interessensfeld Ǧahāngīrs in Bezug auf das Medium der Selbstdarstellung von der Historiographie hin zur Miniaturmalerei.

Die Hof-Historiographen von Ǧahāngīrs Sohn und Nachfolger Šāh Ǧahān (reg. 1628-1658) wiederum haben ein entschieden negatives Bild des Vaters gezeichnet, um die Rebellion des Sohnes gegen ihn retrospektiv gutzuheißen. Das ungünstige Profil Ǧahāngīrs, das die Historiker bis in die Gegenwart von ihm gezeichnet haben, sei durch dieses textuelle Ungleichgewicht verschärft worden. Es ist allerdings nicht die Intention der Verfasserin, Ǧahāngīr im historischen Sinne zu rehabilitieren. Vielmehr ist es für sie nahe liegend, die textuelle Lücke vor allem während der Ǧahāngīr-Ära durch die Auswertung der dortigen Hofmalerei in Bezug auf herrschaftslegitimatorische Ideologien und herrscherliche Selbstdarstellungsstrategien und deren Gegenüberstellung zu den von Akbar propagierten Konzepten zu schließen.

Bei ihren Untersuchungen fördert sie interessante Ergebnisse zu Tage: Während also bereits in den frühesten schriftlichen Quellen Ǧahāngīr als "Negativbild" seines Vaters Akbar in Erscheinung tritt und es dem Sohn innerhalb dieses Mediums nicht gelang, sein "schlechtes Image" für die Nachwelt zu relativieren, so knüpft er doch bei der ideologischen Unterfütterung seines Herrschaftsanspruchs nahtlos an das von Abū l-Fażl inszenierte Bild Akbars als vollkommenen Herrscher an und vollendet es sogar. Die Genese dieses bombastischen Herrscherkonzeptes, das Ǧahāngīr von seinem Vater übernimmt und weiterentwickelt und dessen Kontinuitätslinien Heike Franke durch die Verwendung der Miniaturmalerei nachzeichnet, beruht auf einer immanenten Logik.

Das Bedürfnis nach Konstruktion einer übergreifenden Legitimation für die Herrschaft Akbars in einem multireligiösen Vielvölkerstaat wie Indien liegt auf der Hand. Damit ging eine schrittweise Relativierung des islamischen Alleinvertretungsanspruchs bei gleichzeitiger Aufwertung der Rolle des Hinduismus einher. Nur in diesem Zusammenhang wird verständlich, warum während dieser Zeit religionspolitische Maßnahmen ergriffen wurden, die eine Versöhnung dieser beiden Weltreligionen auf indischem Boden unter der Schirmherrschaft des Padischah herbeiführen sollten. Dazu zählte etwa ein spiritueller Elitenzusammenschluss unter der Fahne der Dīn-i ilāhī genannten Ideologie an Akbars Hof, in der dieser sich als "Sonnenkönig" inszenieren ließ und sich mit dieser eigenen Glaubensform religionsübergreifend als perfekten spirituellen und weltlichen Herrscher aller Inder zu legitimieren suchte. Sie war ein kleinster gemeinsamer Nenner, der seinen Kristallisationspunkt in der Person Akbars finden sollte, wobei Ǧahāngīr das Konzept adaptierte und geringfügig modifizierte.

Es gelingt der Verfasserin, die verschiedenen Quellengattungen schriftlicher (vornehmlich Akbarzeit) und bildlicher (vornehmlich Ǧahāngīrzeit) Texte im Bezugsrahmen der politischen und religiösen Legitimation von Vater und Sohn aufeinander abzustimmen und auf diese Weise darauf hinzuweisen, dass aufgrund der Quellenlage die bisher gängige (negative) Darstellung Ǧahāngīrs möglicherweise überdacht werden müsse. Im Rahmen von zukünftigen Untersuchungen könnten Gemeinsamkeiten zwischen Akbar und Ǧahāngīr ans Licht kommen und die bisher vorherrschende strikte Dichotomie relativieren: "Es waren die von Abū l-Fażl im Akbar-nāma entwickelten Ansprüche, die [später Ǧahāngīrs Hofmaler] Abū l-Ḥasan und Bičitr in der Sprache des Bildes zu übertragen verstanden und damit dem 'Sonnenkönig'[...] eindeutig das Gesicht Ǧahāngīrs verliehen. [...]aǦhāngīrs Maler leisteten jedoch mit der bildlichen Umsetzung von Abū l-Fażls Ideen einen beachtlichen Beitrag zu diesem Konstrukt, der der Vorliebe ihres Padischah für die Malerei völlig entsprach und das legitimatorische System in einmaliger Weise auf Ǧahāngīr anpasste"(335).

Darüber hinaus bietet diese Arbeit eine gut lesbare und auf allen verfügbaren Quellen basierende Darstellung der politischen und religiösen Verhältnisse der Akbar- und Ǧahāngīr-Ära. Von vier geringfügigen paläographischen Ungenauigkeiten abgesehen (S. 310 "gardad" statt "gard u", "abāš and" statt "bab āš and", "ču" statt "Ǧu"; 325 "buwad" statt "būd"), ist zudem die philologische Arbeit sorgfältig verrichtet worden. Außerdem kann der Leser den Argumentationsgang der Verfasserin anhand einer mitangefügten Auswahl der analysierten Miniaturen nachvollziehen. Der innovative Ansatz lässt die Lektüre vorliegender Monographie ebenso für Nicht-Mogulisten, insbesondere für Kunsthistoriker, von großem Gewinn sein.

Anmerkung der Redaktion:

Für eine komplette Darstellung der arabischen Umschrift empfiehlt es sich, unter folgendem Link die Schriftart 'Basker Trans' herunterzuladen: http://www.orientalische-kunstgeschichte.de/orientkugesch/artikel/2004/
reichmuth-trans/reichmuth-tastatur-trans-installation.php

Nader Purnaqcheband