Rezension über:

Sarah Bassett: The Urban Image of Late Antique Constantinople, Cambridge: Cambridge University Press 2004, XXI + 291 S., ISBN 978-0-521-82723-2, GBP 55,00
Inhaltsverzeichnis dieses Buches
Buch im KVK suchen

Rezension von:
Steffen Diefenbach
Philologisch-Historische Fakultät, Universität Augsburg
Redaktionelle Betreuung:
Mischa Meier
Empfohlene Zitierweise:
Steffen Diefenbach: Rezension von: Sarah Bassett: The Urban Image of Late Antique Constantinople, Cambridge: Cambridge University Press 2004, in: sehepunkte 5 (2005), Nr. 11 [15.11.2005], URL: https://www.sehepunkte.de
/2005/11/7974.html


Bitte geben Sie beim Zitieren dieser Rezension die exakte URL und das Datum Ihres Besuchs dieser Online-Adresse an.

Andere Journale:

Diese Rezension erscheint auch in KUNSTFORM.

Sarah Bassett: The Urban Image of Late Antique Constantinople

Textgröße: A A A

Anders als es ihr Titel auf den ersten Blick suggeriert, hat Sarah Bassetts Studie zum "Urban image" des spätantiken Konstantinopel nur einen sehr spezifischen Aspekt dieses "städtischen Erscheinungsbildes" zum Gegenstand: Es geht um die alten Statuen aus hellenistischer und klassischer Zeit, mit denen der städtische Raum Konstantinopels in der Zeit von der Gründung durch Konstantin bis zu Justinian ausgestattet wurde. Bassett geht - wie der von ihr eingeführte Begriff der "Sammlung" (collection) indiziert - davon aus, dass diesem Ensemble an Statuen, obwohl es über einen Zeitraum von mehreren Jahrhunderten hinweg angelegt wurde, eine planvolle Zusammenstellung zu Grunde liegt, die von Konstantin begründet worden sei und bis zum 6. Jahrhundert einen kohärenten Bezugsrahmen für die Aufstellung von Statuen in Konstantinopel geliefert habe.

In der Einleitung (1-16) wirft Bassett eine Reihe von Fragen auf, die den Rezipienten und der Semantik dieser Statuensammlung gelten: Die Visualisierung städtischer Identität, die Demonstration von Bildung und Autorität und die Vermittlung einer Vorstellung von Vergangenheit sind Aspekte der statuarischen Ausstattung des städtischen Raums, die hier nur kurz angerissen und im Verlauf des Buches wieder aufgegriffen werden. Daneben kommen in der Einleitung auch die Forschungsgeschichte und die methodischen Probleme - Nachrichten über die antiken Statuen und ihre Aufstellung sind im Wesentlichen nur durch literarische Quellen aus byzantinischer Zeit überliefert - kurz zur Sprache.

Der an die Einleitung anschließende Hauptteil gliedert sich in zwei große Abschnitte: Auf einen diachronen Abriss zur Anlage und sukzessiven Entwicklung der antiken Statuensammlung von Konstantin bis in die justinianische Zeit (17-136) folgt ein umfangreicher Katalogteil, der den Bestand der Statuen nach den städtischen Aufstellungsorten angeordnet umfasst und als Referenz für Bassetts Ausführungen zur historischen Entwicklung dient (137-249).

In den diachronen Teil zieht Bassett drei große chronologische Querschnitte ein. Den umfangreichsten Schnitt bildet die städtische Topografie der konstantinischen Gründung, die auf der Grundlage einer unvollendeten severischen Stadtanlage erfolgte. Konstantin stattete Konstantinopel mit städtebaulichen Merkmalen (Hippodrom, Thermen, Portiken) aus, die der Gründung das Gepräge einer römischen und imperialen Stadt jenseits einer religiös definierten Identität als christliche oder pagane Polis verliehen. In diesem topografischen Rahmen platzierte Konstantin eine Vielzahl antiker Statuen, die aus zahlreichen Städten des griechischen Ostens nach Konstantinopel verbracht wurden und als Spolien dem neuen Zentrum, in dem sie versammelt wurden, einen hegemonialen Rang vermittelten. Bassett präzisiert diesen Befund anhand dreier Aufstellungskontexte: der Zeuxipposthermen, des Hippodroms und des Konstantinforums. Das statuarische Ausstattungsprogramm dieser drei Komplexe bewegte sich jeweils im Rahmen traditioneller Vorgaben, die auf die spezifischen Örtlichkeiten zugeschnitten waren: In den Thermen appellierten mythologische Darstellungen an die paideia der Besucher, das Hippodrom führte durch Siegesweihungen und Statuen mythischer Helden den agonalen Charakter des Ortes vor Augen; im Zentrum des Konstantinforums erhob sich auf einer Porphyrsäule die berühmte Statue, deren Strahlenkranz zugleich kaiserliche und solare Assoziationen hervorrief. Trotz dieser spezifischen Akzentsetzungen der statuarischen Aufstellungskontexte treten jedoch auch verbindende Aspekte hervor: Alle drei Komplexe enthalten Anspielungen auf Troia, das durch die mythologischen Darstellungen aus dem troianischen Krieg, die Provenienz einzelner Statuen aus Ilion und die Überführung seiner Wahrzeichen (Palladion) präsent war. Bassett zieht daraus den Schluss, dass Konstantin seiner Gründung durch ihr statuarisches Gesicht eine Vergangenheit verlieh, die sie als Erbin Troias auswies und damit auf eine Stufe mit Rom, der Gründung troianischer Flüchtlinge, stellte.

Einen zweiten Querschnitt legt Bassett mit der Entwicklung Konstantinopels in theodosianischer Zeit. Unter Theodosius I. und seinem Nachfolger Arkadios wurde die Monumentalarchitektur der konstantinischen Stadt vor allem durch den Bau zweier weiterer Foren und des goldenen Tores erweitert. Die Aufstellung antiker Statuen fiel deutlich geringer aus als unter Konstantin. Bassett begreift das städtebauliche und das statuarische Programm als Auseinandersetzung mit den konstantinischen Vorgaben. Die theodosianische Dynastie stellte sich in die Tradition des Stadtgründers, setzte jedoch eigene Akzente: Während Konstantin der Stadt durch die antiken Statuen eine geschichtliche Identität als Kapitale gegeben habe, seien Architektur und statuarische Inszenierung der theodosianischen Zeit vom Streben nach imperial-dynastischer Legitimation geprägt gewesen. Ein eigenes Kapitel ist einer Statuensammlung gewidmet, die der praepositus sacri cubiculi Lausos unter Theodosius II. an prominenter Stelle östlich des Konstantinforums anlegen ließ. [1] Bassett deutet die Zusammenstellung dieses Ensembles von Kultstatuen als programmatische Ästhetisierung: Ihrer religiösen Valenz entkleidet, sollen die Statuen nicht als Kultobjekte, sondern als Kunstwerke wahrgenommen werden.

Diese Ästhetisierung, die im Kontext der säkularen Interpretation sakraler Architektur und Skulptur in theodosianischer Zeit zu sehen ist, sicherte dem Statuenprogramm unter den Vorzeichen einer zunehmenden Christianisierung des städtischen Raums ihr Überleben. Dennoch macht die von Bassett abschließend resümierte Entwicklung unter Justinian deutlich, dass das antike Statuenprogramm nicht mehr als identitätsbestimmend begriffen wurde: Statuarische Programme wurden auseinander gerissen, indem man antike Statuen umsetzte; an ihre Stelle traten Reliquien und Ikonen, die der Stadt das Erscheinungsbild einer christlichen Identität und Vergangenheit vermittelten.

Bassetts Arbeit überzeugt vor allem in den von ihr diskutierten Fallstudien und Einzelbefunden. Bereits die Rekonstruktion des antiken Statuenbestandes stellt vor besondere Herausforderungen, da die literarische Überlieferung der byzantinischen Zeit selektiv und zum Teil legendarisch überformt ist. Auf der Grundlage früherer Arbeiten [2] gelingt es Bassett, diesem sperrigen und nicht immer einfach zu deutenden Überlieferungsbefund eine ganze Reihe interessanter Interpretationen abzugewinnen. Die Einordnung dieser Ergebnisse in den Rahmen der städtischen Entwicklung und den Forschungskontext fällt hingegen weniger überzeugend aus. So hat Gilbert Dagron überzeugend gezeigt, dass Konstantin keine neue Hauptstadt schaffen wollte, kein neues Rom, sondern eine auf ihn und seine Dynastie bezogene kaiserliche Gründung. Den Status einer Hauptstadt erhielt Konstantinopel erst in theodosianischer Zeit, als die Kaiser begannen, dauerhaft in Konstantinopel zu residieren; und in diesem Sinne lassen sich auch Bauten wie das Theodosiusforum, die Theodosiussäule und der theodosianische Obelisk im Hippodrom von Konstantinopel interpretieren, die sich erkennbar auf stadtrömische Vorbilder bezogen und Konstantinopel einen mit Rom vergleichbaren Status vermitteln sollten. Dieser Befund steht quer zu Bassetts Interpretation - Kapitale im Rang eines neuen Rom unter Konstantin, dynastische Prägung unter der theodosianischen Dynastie -, eine intensivere Auseinandersetzung mit dem Forschungsstand wäre daher wünschenswert gewesen.

Auch hinsichtlich der methodischen Ausrichtung erscheinen Fragezeichen am Begriff der "Sammlung" und des damit verbundenen Konzepts von Konstantinopel als "museum of empire" (49) angebracht. Der auch sonst in den Forschungen zur spätantiken Stadt zunehmend begegnende Begriff der "Musealisierung" ist problematisch und verdankt sich in Bassetts Studie vor allem der Beschränkung auf die antiken Statuen ohne Einbeziehung des statuarischen Kontextes. Ensembles antiker Statuen in spätantiken Städten lassen sich kaum als Orte begreifen, an denen Geschichte und Vergangenheit - vergleichbar einem Museum und den dort präsentierten Artefakten - dem Betrachter objektivierend und zugleich distanzierend vorgeführt und von ihm besichtigt werden. Antike Statuen sind vielmehr eingebunden in den dynamischen Prozess einer ständig aktualisierten und zeitgenössischen Produktion von Memoria, die sich des Mediums der Ehrenstatue bediente, um die Erinnerung an Kaiser, Euergeten und Stifter wach zu halten. Dies schließt nicht aus, dass klassische und hellenistische Statuen im spätantiken Konstantinopel als "alt" wahrgenommen wurden, aber sie vermittelten nicht das Bild einer museal distanzierten Vergangenheit, sondern eines lebendigen Traditionszusammenhangs, der auch in der zeitgenössischen Gegenwart Statuen als Erinnerungsträger hervorbrachte - an denselben Orten, an denen auch antike Statuen aufgestellt wurden.

Verbunden mit der Einsicht, dass Statuen im spätantiken Konstantinopel Vergangenheit nicht nur vorführten, sondern vielmehr das Produkt eines sozialen Prozesses waren, in dem Erinnerung fortlaufend generiert wurde, wird man sich ferner fragen müssen, ob sich die Aufstellung antiker Statuen losgelöst von den Kommunikationsbedingungen betrachten lässt, die zur Ausbildung dieser materiellen Erinnerungskultur führten. Es ist sicher kein Zufall, dass in justinianischer Zeit die Aufstellung nicht nur antiker Statuen, sondern auch kaiserlicher und magistratischer Ehrenstatuen praktisch zum Erliegen kam. Die Vernachlässigung antiker Statuen im Stadtbild Konstantinopels am Ausgang der Antike steht daher nur von außen betrachtet für einen Paradigmenwechsel von griechisch-römischer zu christlicher Vergangenheit; er verweist vielmehr auf tiefer greifende Veränderungen in dem sozialen Feld spätantiker Kommunikationsbeziehungen, die Erinnerung produzierten und sich dabei des Mediums der Statue bedienten.

Eine Einbindung in den weiteren Kontext der Stadtentwicklung, die Einbeziehung nicht-antiker Statuen und eine eingehendere Reflexion des methodischen Ansatzes der Musealisierung hätten Bassetts Fallstudien ein stärkeres Gesamtgewicht als Forschungsbeitrag zur Entwicklung des spätantiken Konstantinopel verliehen. Die Arbeit überzeugt daher vor allem in der Interpretation von Einzelbefunden. Man gewinnt dabei leider nicht immer den Eindruck einer durchweg sorgfältig redigierten Darstellung. [3] Dennoch darf insbesondere der Katalog der antiken Statuen als wichtiges Hilfs- und Orientierungsmittel angesehen werden, das eine willkommene Ergänzung zu früheren Arbeiten zur Topografie und statuarischen Ausstattung Konstantinopels bietet. [4] Ein urban image bietet Bassetts Arbeit damit zwar nicht, sehr wohl jedoch den Mosaikstein eines Bildes, das sich in Zukunft weiter zu einem städtischen Erscheinungsbild Konstantinopels formen wird.


Anmerkungen:

[1] Bassett präsentiert hier einen nur geringfügig veränderten Nachdruck einer bereits an anderer Stelle publizierten Arbeit; S. Guberti Bassett: "Excellent Offerings". The Lausos Collection in Constantinople, in: The Art Bulletin 82 (2000), 6-25.

[2] Vgl. vor allem A. Berger: Untersuchungen zu den Patria Konstantinupoleos, Bonn 1988.

[3] Einige Beispiele: Die Schlachten von Plataiai und Actium werden in die Jahre 476 bzw. 32 v. Chr. datiert (44), der Tod des Arkadios in das Jahr 308 (80), der Triumph Theodosius' I. über Maximus in den November 380 (96), Prokops Schrift über die Bauten als de aedificia (266) betitelt.

[4] Vgl. u. a. F. A. Bauer: Stadt, Platz und Denkmal in der Spätantike. Untersuchungen zur Ausstattung des öffentlichen Raums in den spätantiken Städten Rom, Konstantinopel und Ephesos, Mainz 1996.

Steffen Diefenbach