Christoph Schank: "Kölsch-katholisch". Das katholische Milieu in Köln 1871-1933. Mit einem Geleitwort von Martin Stankowski (= Kölner Veröffentlichungen zur Religionsgeschichte; Bd. 34), Köln / Weimar / Wien: Böhlau 2004, XIV + 494 S., 37 s/w-Abb., ISBN 978-3-412-12603-2, EUR 49,90
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Christoph Schank will das katholische Milieu Kölns nach der bekannten Formulierung Altermatts von unten und von innen ausleuchten. Er nutzt dazu Generalvikariatsakten, Pfarrarchivakten und Visitationsberichte, die im Historischen Archiv des Erzbistums Köln gesammelt sind. Außerdem hat er vier Pfarrarchive benutzt und Zeitzeugen befragt - vierzig per Fragebogen und eine kleinere Anzahl mittels ausführlicher narrativer Interviews. Nach der Lektüre von knapp 380 Textseiten und einem einhundertseitigen Anhang aus Tabellen und gut ausgewählten Quellen fühlt sich der Rezensent wie der Betrachter eines Panoramas: beeindruckt, belehrt, gut unterhalten, aber auch unsicher darüber, wie der Eindruck in Zeit, Raum und Geschichte verortet werden kann.
Schank hat hart gearbeitet. Sein Darstellungsanspruch ist umfassend. Er beschreibt die Strukturentwicklung der Pfarreien angesichts von Bevölkerungszunahme und Stadterweiterungen. Er untersucht statistisch die Seelsorger, die Verwaltungsorgane, die Finanzen, die Kirchenzeitungen. Er beschreibt die Seelsorge, die religiöse Lebenswelt und Erziehung. Er stellt das Vereinswesen dar und widmet sich dabei anhand des Bundes Neudeutschland auch den Neuaufbrüchen der 1920er-Jahre. Er spricht das Verhältnis zu den anderen religiösen Gruppen an. Anhand der Beispiele Ehe (Mischehe, kirchliche und Zivilehe) und Karneval untersucht er die Wirksamkeit kirchlicher Normgebungen im Alltag und kommt zu einem eher ernüchternden Ergebnis. Im letzten und schwächsten Teil der Arbeit tippt er drei Konflikte an, die zum Verhältnis von katholischer Sondergesellschaft und Gesamtgesellschaft etwas aussagen sollen. In allen Teilen werden die Aussagen der kirchlichen Akten- und Literaturproduzenten gegen die Erinnerungen der Zeitzeugen gehalten, um über die Perspektive der Verwaltung und der Seelsorge hinauszukommen.
Angesichts der panoptischen Absichten verwundert es nicht, dass manche Ergebnisse dürftig ausfallen (etwa die eineinhalb Seiten über die primären Sozialisationsinstanzen Eltern und Verwandte, 186 f.). Dafür sind andere Teile (etwa die Klerikergeschichte oder das Vereins- und Verbandswesen) sehr dicht und ergebnisreich. Vergnügt liest man pittoreske Details wie den Streit einer Kölner und einer münsterländischen Gemeinde über die Frage, wo ein Freiherr von R. zur Kirchensteuer zu veranlagen sei, wenn er im Münsterland zwar seinen Hauptwohnsitz habe, eines außerehelichen Verhältnisses wegen aber die meiste Zeit in Köln verbringe. Wenn der Kölner Pfarrer wirklich von einer Einpfarrung des Freiherrn in Köln ausgegangen sei, so das etwas perfide Argument der münsterländischen Gemeinde, "so würde der Pfarrer bei seinem Pfarrkinde sicherlich auf die Beseitigung des außerehelichen Geschlechtsverkehr hingewirkt haben" (74).
Schank bietet in seiner Dissertation, die 2002 an der erziehungswissenschaftlichen Fakultät der Universität zu Köln angenommen worden ist, reiches Material für die zukünftige Katholizismusforschung. Er selbst schöpft sein Material kaum aus. Er sammelt und stellt dar. Er interpretiert eher implizit als explizit. Daraus folgen zwei Schwächen. Erstens spielen die Veränderungen in der Zeit nur eine geringe Rolle. Wie einst Lepsius in den 1960er-Jahren nimmt Schank das Milieu der 1870er- bis 1920er-Jahre als einen Block. Wandlungsprozesse werden zwar gelegentlich angesprochen, spielen aber nur eine untergeordnete Rolle. Zweitens wird das Problem von Teil und Ganzem kaum bearbeitet. Was denn nun an den Befunden "Kölsch-katholisch" war (und nicht westdeutsch-katholisch, katholisch, sondergesellschaftlich oder gar einfach gesellschaftlich), das wissen wir auch nach diesem Buch noch nicht wirklich.
Ewald Frie