Rezension über:

Michael Rohrschneider (Hg.): Frühneuzeitliche Friedensstiftung in landesgeschichtlicher Perspektive (= Rheinisches Archiv; 160), Köln / Weimar / Wien: Böhlau 2020, 327 S., 5 Farbabb., ISBN 978-3-412-51584-3, EUR 45,00
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Rezension von:
Matthias Schnettger
Johannes Gutenberg-Universität, Mainz
Redaktionelle Betreuung:
Frühneuzeitredaktion (Sebastian Becker, Bettina Braun, Matthias Schnettger, Lara Luisa Schott-Storch de Gracia)
Empfohlene Zitierweise:
Matthias Schnettger: Rezension von: Michael Rohrschneider (Hg.): Frühneuzeitliche Friedensstiftung in landesgeschichtlicher Perspektive, Köln / Weimar / Wien: Böhlau 2020, in: sehepunkte 23 (2023), Nr. 7/8 [15.07.2023], URL: https://www.sehepunkte.de
/2023/07/33788.html


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Michael Rohrschneider (Hg.): Frühneuzeitliche Friedensstiftung in landesgeschichtlicher Perspektive

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Der zu besprechende Sammelband verdankt sich dem Umstand, dass an der Universität Bonn die bisherigen Lehrstühle für Frühe Neuzeit und Rheinische Landesgeschichte 2016 zusammengelegt wurden. Der Herausgeber ist der Inhaber der neugeschaffenen Professur und leitet zugleich das Zentrum für Historische Friedensforschung (8). Er versuchte auf einer Tagung im September 2017, deren Akten den Grundstock des vorliegenden Bandes bilden, auszuloten, wie aus der Not universitärer Einsparungs- bzw. Umstrukturierungsmaßnahmen die Tugend innovativer Forschungsansätze gemacht werden könne. In der Einleitung stellt er hierfür kein detailliertes Konzept vor, erkennt aber in der Zusammenschau der "scharnierartig verschränkten Ebenen [...] Stadt, Land und Region, Reich und Europa" sowie der "verschiedenste[n] Transferprozesse" (11) auch für die historische Friedensforschung erhebliches Erkenntnispotential.

Systematischer widmen sich in der ersten Sektion Siegrid Westphal für das Reich und Indravati Félicité für Frankreich unter der Überschrift "Land - Region - Frieden" den "Tendenzen und Perspektiven der Forschung". Während Siegrid Westphal die Auswirkungen des Reichslandfriedens für die einzelnen Reichsstände auslotet und dabei die in Forschungen zum Alten Reich immer wieder thematisierte (Heraus-)Forderung einer angemessenen Verknüpfung der verschiedenen Ebenen von Reichsgeschichte anspricht, hebt Indravati Félicité den Beitrag der neuen Diplomatiegeschichte zu einer Verknüpfung von Regionalgeschichte und historischer Friedensforschung hervor, weist zugleich aber darauf hin, dass es sich hierbei "immer noch um eine vernachlässigte Verbindung" handele (62). Dies hänge mit einer im Vergleich mit Deutschland (oder auch Italien) kaum ausgeprägten landesgeschichtlichen Tradition der französischen Geschichtswissenschaft zusammen wie auch mit einem gewissen Misstrauen gegenüber einer vermeintlich angelsächsisch dominierten Friedensforschung.

In der Sektion "Reformation und konfessionelles Zeitalter" widmen sich Werner Freitag für ausgewählte westfälische Städte und Stephan Laux mit einer "neue[n] Sicht" auf den Augsburger Religionsfrieden dem Problem des Konfessionsfriedens. Besonders Laux, der auf der Basis einer genauen Quellenlektüre vermeintliche Gewissheiten über die Regelungen von 1555 hinterfragt und mit Blick auf die "etatistische" Herangehensweise an die Konfessionsproblematik vor einer Überhöhung des Religionsfriedens warnt, fordert deutlich, dass "der landesgeschichtliche oder regionale Ansatz" gegenüber dem reichsgeschichtlichen "mehr als nur ein Korrektiv, sondern vielmehr den eigentlichen Bewertungsmaßstab" darstellen müsse (98). Man könnte darauf hinweisen, dass die aktuelle Reichsgeschichtsforschung genau das vielfach schon leistet, insbesondere Christophe Duhamelle und Falk Bretschneider mit ihrem Fraktalitäts-Ansatz [1], der auf eine systematische Verschränkung der unterschiedlichen Ebenen der Reichsgeschichte abzielt und das Reich "vor Ort" intensiv in die Betrachtung einbezieht. Die beiden Aufsätze von Thomas P. Becker und Peter Arnold Heuser sind dem (gescheiterten) Kölner Pazifikationskongress von 1579 gewidmet. Spezifisch landesgeschichtliche Perspektiven nehme ich hier in erster Linie in Bezug auf die Rückwirkungen des Friedenskongresses auf die gastgebende Stadt Köln und ihre Bevölkerung wahr.

Köln als 'verhinderte Friedensstadt' steht auch im Fokus des Beitrags von Michael Rohrschneider, der die Sektion "Friedenskongresse und Friedensschlüsse vom Dreißigjährigen Krieg bis zum Zeitalter Ludwigs XIV." eröffnet. Während Köln in den 1640er Jahren als Kongressstadt gar nicht erst zum Zug kam, scheiterte der Kongress von 1673/74 nicht nur, sondern war aufgrund der Gefangennahme des profranzösischen kurkölnischen Ministers Wilhelms von Fürstenberg sogar mit einem Prestigeverlust für die Reichsstadt verbunden. "Landes- und stadtgeschichtliche Potenziale der Friedensforschung" liegen nach Rohrschneider in Studien zu den Folgen von Austausch und Konfrontation zwischen Stadtbevölkerung und Kongressteilnehmern und eben auch in Untersuchungen zur Reputation einer Kongressstadt sowie dem Stellenwert eines Kongresses in der lokalen und regionalen Erinnerungskultur. Maria-Elisabeth Brunert steuert einen kenntnisreichen Aufsatz über die politischen Ziele und Mittel Wolfgang Wilhelms von Pfalz-Neuburg im Umfeld des Westfälischen Friedens bei. Ihre Frage, ob es sich dabei um "niederrheinische Interessenpolitik" handelte, würde ich freilich so nicht stellen. Die Autorin charakterisiert die Handlungen Wolfgang Wilhelms selbst mit gutem Grund als primär dynastisch motiviert. Zuzustimmen ist ihr freilich darin, dass politische Erfolge eines Landesherrn auch vorteilhaft für dessen Herrschaftsgebiet und dessen Bevölkerung sein konnten. Noch einleuchtender ist der Zusammenhang von stadtgeschichtlicher und historischer Friedensforschung bei Alexander Gerber, der die Hansestädte und Kolmar als Akteure auf dem Westfälischen Friedenskongress in den Blick nimmt, wobei er sich auf "Zeremoniell und Verfahrenspraktiken" fokussiert. Einmal mehr die Beziehungen zwischen Diplomaten und der Gesellschaft der Kongressstädte behandelt Guido Braun, konkret zwischen den jeweiligen kurialen Gesandtschaften und den Bevölkerungen in Münster, Nimwegen und Baden. Er kann hier eine "Tendenz zur Reintegration der kurialen Vertreter" in die "gemischt-konfessionellen Kongress- und Stadtgesellschaften" ausmachen (240). Thomas Lau widmet sich den Zusammenhängen zwischen den beiden Friedensschlüssen von Baden 1714 und 1718, von denen der erste den Spanischen Erbfolgekrieg nun auch zwischen dem Reich und Frankreich und der zweite den innereidgenössischen Zweiten Villmerger Krieg beendete. Die europäischen Mächtekonstellationen bildeten - so Lau - den Rahmen, in dem regionale Akteure ihre Konflikte aushandeln konnten. Die Sektion endet mit Renger E. de Bruins Rückblick auf die große Ausstellung zum Jubiläum der Friedensschlüsse von Utrecht, Rastatt und Baden (2013-2015). Ein Solitär ist als "Ausblick" der Aufsatz von Helmut Rönz zum Rheinland in napoleonischer Zeit.

Die Beiträge des sorgfältig redigierten Bandes, der durch ein Autorenverzeichnis und ein Personenregister abgerundet wird, liefern, so wie es Michael Rohrschneider in seiner Einleitung postuliert, "Mosaiksteine, die in ihrer Gesamtheit eine intensivere Konturierung des Forschungsgegenstandes leisten" (1). Freilich hätte man sich wünschen mögen, dass in der Einleitung oder einem Nachwort ein entschiedenerer Versuch unternommen worden wäre, die Erträge des Bandes systematisch zu bündeln und so das Potential, das die Verknüpfung von historischer Friedensforschung, Regional- sowie Lokalgeschichte bietet, noch deutlicher herauszustellen.

Anmerkung:

[1] Falk Bretschneider / Christophe Duhamelle: Fraktalität. Raumgeschichte und soziales Handeln im Alten Reich, in: Zeitschrift für Historische Forschung 43 (2016), 703-746.

Matthias Schnettger