Veronika Settele: Deutsche Fleischarbeit. Geschichte der Massentierhaltung von den Anfängen bis heute, München: C.H.Beck 2022, 240 S., 23 Abb., ISBN 978-3-406-79092-8, EUR 18,00
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Veronika Settele hat mit "Deutsche Fleischarbeit" ein Destillat ihrer 2020 erschienenen Dissertation vorgelegt [1], das sich distinktiv an ein breiteres Publikum richten soll. Es verlagert zudem, im Gegensatz zu ihren vorherigen Arbeiten, die Entstehung des neuen "Tierprodukts" ins 19. Jahrhundert. Anders als Barbara Wittmann, die ihre etwa gleichzeitig erschienene ethnologische Arbeit zum Wandel der Tierhaltung nach 1945 "Intensivtierhaltung" genannt hat [2], bleibt Settele, sich der Kontroverse um den Begriff bewusst, bei Massentierhaltung. Es ist auch der wahrscheinlich historisch bessere Begriff, da er den radikalen Transformationsprozess in eine Konsumgesellschaft, in der Fleisch Bestandteil von Wohlstandsversprechen wurde, besser nachzuzeichnen vermag.
Das Buch beginnt zunächst gegenwartsdiagnostisch. Fleisch werde heute vermehrt als Problem angesehen, für die Umwelt, den Tier- und den Menschenkörper. Davon zeuge nicht nur die immer breiter werdende Produktpalette veganer Kost. Das Buch verspricht nun durch eine historische Tiefenschau das komplexe Netz an Konfliktlinien zu entwirren. Das mag nach einem fast nicht einlösbaren Anspruch zu klingen. Ihr ginge es jedoch, so betont die Autorin, erst einmal darum, durch eine Verbindung von Landwirtschafts- und Technikgeschichte auf der einen und einer globalen wie deutsch-deutschen Gesellschaftsgeschichte auf der anderen Seite, die Entwicklungen hin zum Massenprodukt Tier zu plausibilisieren und damit Verschwörungstheorien von lebensfeindlichen Kapitalmagnaten einerseits und weltfremden Tierrechtsterroristen anderseits zu entkräften.
Das Buch ist in drei unterschiedlich lange Oberkapitel eingeteilt, die quasi die Zeit vor, während und nach dem "Boom" der Massentierhaltung skizzieren, dessen Existenz die Autorin, mit einigen zeitlichen Verschiebungen, in ganz Europa ausmacht, diesseits und jenseits des Eisernen Vorhangs. Der erste Teil, "Sehnsucht nach dem Fleisch" betitelt, geht dabei in die Frühzeit der organisierten Tierzucht zurück, die nicht zufällig mit der industriellen Produktion im 19. Jahrhundert kollidierte. Noch deutlicher war diese Tierhaltung jedoch streng genommen ein urbanes Phänomen: Setteles Erzählung von den New Yorker "Piggery Wars" (22), dem Londoner Viehzeug, das schon einmal als Schlafgänger in den Häusern der Arbeiterschicht Quartier fand, zu den Kontroversen um verdorbenes Fleisch im Berlin der 1880ern folgt der Hypothese, dass in der Geschichte der Massentierhaltung, "Tier und Fleisch [...] ihre Position" tauschten (20). Gehemmt noch von einem "Rassekult" einerseits, fehlender Rezeption der neuen agrarwissenschaftlichen Forschung, ungenügend durchdachter Verteilung der vegetabilen Grundnahrung für die neuen Tiere sowie den Kriegen und Krisen der ersten Hälfte des 20 Jahrhunderts andererseits, blieb der neue Fleischhunger der Bevölkerung, der die veränderte Tierhaltung initiierte, jedoch noch meist ungestillt.
Dies änderte sich in der Zeit zwischen 1945 und 1990, dem das längste Oberkapitel zur "Revolution im Stall" (57) gewidmet ist. Diese Revolution fand auf (mindestens) drei Ebenen statt, am Körper der Tiere, ihrer wirtschaftlichen Vermarktung und im Rahmen der technischen Ermöglichung ihrer Haltung. Settele befragt die Auswirkungen dieser drei Ebenen auf die Entwicklung der Tierhaltung anhand von drei Spezies: Rindern, Hühnern und Schweinen, "aus narrativen Gründen" (57) voneinander separiert. Das ist so weit nachvollziehbar, an der ein oder anderen Stelle wären Querverweise aber schön gewesen, weil so doch der Eindruck entsteht, dass es hier interspezifisch hermetische Grenzen gab. Dabei betraf jedoch die künstliche Besamung, eine der wichtigsten "Revolutionen", sowohl körperliche, wirtschaftliche und technische Aspekte und die Spezies auf unterschiedliche Art und Weise. Die Batteriehaltung wurde zuerst an Hühnern probiert - hier skizziert Settele sehr klar, wie die Spezies sowohl zu Pionieren gemacht wurden und gleichsam zu "ersten Protagonisten ihrer Kritik" (132) -, dann wurde die Technisierung und Automatisierung vor allem in der Schweinhaltung umgesetzt. Auch die räumliche Entfremdung und Absonderung der Ställe betraf die Hühner- wie die Schweinemast, nicht zuletzt wegen der "olfaktorische[n] Herausforderungen" (169).
Die von Settele gewählte Narrative funktioniert dennoch gut: Sich ändernde Körpertechniken - eindimensionale Nutzung, Medikalisierung und Expertentum, Kontrolle über Fruchtbarkeit - werden genauso herausgearbeitet wie die ökonomische Vernutzung, die Rationalisierung, Optimierung und Risikoabwägung und die Technisierung mithilfe von Brutkästen, Futterautomaten, Spaltböden sowie Gülleabflüssen und zwar sowohl mit Blick auf Entwicklungslinien wie ihren Folgen. Denn diese blieben nicht ohne Gegenrede. Dass ausgerechnet Bernhard Grzimek, der 1937 als Referent am Reichsernährungsministerium ja noch die Hühnerfarm auf dem Obersalzberg begutachtet hatte, den Terminus des "KZ-Huhns" bzw. der "KZ-Haltung" in die Debatte eingebracht hatte, wird hier weniger anhand der Person Grzimeks als vielmehr anhand des Diskurses gezeigt, der sich entfaltete: Massentierhaltung sah sich schon ab den frühen 1970ern im Kreuzfeuer der medialen Aufmerksamkeit.
Mit dem deutsch-deutschen Vergleich wird gleichzeitig gezeigt, dass sich die Techniken durchaus glichen - hüben wie drüben wurden Rinder und Schweine künstlich besamt und einem Ernährungsregime unterzogen, wurde Leistung abgefragt. Jedoch konnte die unterschiedliche Arbeitsorganisation die interspezifischen Verhältnisse anscheinend gravierend beeinflussen. Die vergeschlechtlichte Arbeitsteilung am Tier etwa, die mit zunehmender Rationalisierung der Arbeitsabläufe und Expertentum deutlich in Richtung männlicher Kontrolle auch solcher Tiere - etwa Hühnern - changierte, deren Betreuung aufgrund fehlender agrarökonomischer Relevanz zuvor Frauen nahezu vorbehalten war, zeigte sich in beiden deutschen Staaten. Ihr Fokus auf die Änderungen der Tier-Tier-Beziehungen und ihre Folgen - Kannibalismus, Epizootien, Verhaltensstörungen - unterstreicht zudem die Notwendigkeit einer multiperspektivischen Tiergeschichte.
Der mediale Widerspruch war zunehmend auch ein gesamtgesellschaftlicher, wie der letzte, kürzeste Teil des Buches zeigt, der die Entwicklung der Massentierhaltung von 1990 bis zur Gegenwart nachzeichnet. BSE, Ekelfleisch und Kükenschreddern befeuerten Diskurse um vegetarische bzw. vegane Alternativen und Bio-Fleisch, Diskurse, die mit der Entwicklung von Cultured Meat auch eine Zukunftsversion ohne Tierhaltung beinhalteten. Davon, so bremst die Autorin jedoch, sei man noch lange entfernt, denn global gesehen, sei die Produktion von Fleisch und mit ihr die intensive Tierhaltung noch lange nicht am Ende.
Veronika Settele widersteht der Versuchung, alles erzählen zu wollen. Das hätte auch dem Zuschnitt des Buches nicht entsprochen. Stattdessen baut sie auf die Verknüpfung konkreter Geschichten, Erfahrungsberichten und historischer Tiefenbohrungen. Auch wenn die Rezensentin sich brennend etwa für eine Ausführung der These nationalsozialistischer Agrarpolitik als Wegbereiter des Ausbaus der Massentierhaltung nach 1945 interessiert hätte, die hier nur angedeutet wird, ist die Konzentration auf einige konkrete Ereignisse doch nachvollziehbar erklärt. Gerade wegen dieser Beispielhaftigkeit und dem sprachlichen Geschick, mit dem die Geschichten erzählt werden, ist dieses Buch - trotz des teilweise schwer verdaulichen Themas - mit Vergnügen und großem Gewinn zu lesen.
Anmerkungen:
[1] Veronika Settele: Revolution im Stall: Landwirtschaftliche Tierhaltung in Deutschland 1945-1990, Göttingen 2020.
[2] Barbara Wittmann: Intensivtierhaltung: landwirtschaftliche Positionierungen im Spannungsfeld von Ökologie, Ökonomie und Gesellschaft, Göttingen 2021.
Mieke Roscher