Rezension über:

Krešimir Matijević / Rainer Wiegels (Hgg.): Kultureller Transfer und religiöse Landschaften. Zur Begegnung zwischen Imperium und Barbaricum in der römischen Kaiserzeit (= Abhandlungen der Akademie der Wissenschaften zu Göttingen. Neue Folge; Bd. 52), Berlin: de Gruyter 2022, IX + 344 S., zahlr. Abb., ISBN 978-3-11-071644-3, EUR 102,95
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Rezension von:
Tristan Spillmann
Abteilung für Griechische und Lateinische Philologie, Universität Bonn
Redaktionelle Betreuung:
Étienne Doublier
Empfohlene Zitierweise:
Tristan Spillmann: Rezension von: Krešimir Matijević / Rainer Wiegels (Hgg.): Kultureller Transfer und religiöse Landschaften. Zur Begegnung zwischen Imperium und Barbaricum in der römischen Kaiserzeit, Berlin: de Gruyter 2022, in: sehepunkte 23 (2023), Nr. 3 [15.03.2023], URL: https://www.sehepunkte.de
/2023/03/36948.html


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Krešimir Matijević / Rainer Wiegels (Hgg.): Kultureller Transfer und religiöse Landschaften

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Der von K. Matijević und R. Wiegels herausgegebene Sammelband "Kultureller Transfer und religiöse Landschaften. Zur Begegnung zwischen Imperium und Barbaricum in der Römischen Kaiserzeit" umfasst dreizehn Beiträge des internationalen Kolloquiums "Die Bedeutung des kulturellen Transfers für die Herausbildung religiöser Landschaften", das in Göttingen vom 28. bis zum 30. November 2018 stattgefunden hat. Im Mittelpunkt des Bandes steht eine multidisziplinäre Verflechtungsgeschichte, die sich mit kulturellem Austausch, allen voran mit religiösen Praktiken und Denkweisen, in der Römischen Kaiserzeit (primär im 1. und 2. Jahrhundert) auseinandersetzt. Dabei zeichnet sich der Sammelband durch eine Vielfalt an methodischen und disziplinären Herangehensweisen aus, die von archäologischen Analysen materieller Funde bis zu theoretischen Reflexionen über die applizierten Begriffe reicht.

Als übergeordnete Paradigmata fungieren die beiden Begriffe "kultureller Transfer" und "religiöse Landschaften", die bereits auf den global ausgerichteten Rahmen der jeweiligen Beiträge verweist und eine topographische Ausrichtung suggeriert. Matijević und Wiegels beziehen in ihrer gemeinsamen Einleitung Stellung zu dem theoretischen Fundament des Kolloquiums und äußern sich zu den neueren Tendenzen in den Geschichtswissenschaften, die von vermeintlich statischen oder eindimensionalen Ansätzen vielmehr "Austauschprozesse, Wechselwirkungen, Verflechtungen, Netzwerke (connectivity) und Veränderungen in einem ständig im Fluss befindlichen Prozess" zu berücksichtigen versucht (2). Religion bzw. religiöse "Landschaften" als gleichsam heterogenes, lokalisierbares Gefüge ist für die Frage nach kulturellem Transfer als primärer Untersuchungsgegenstand gewählt worden.

Heiko Steuer setzt sich im ersten Beitrag mit dem nach wie vor persistenten "Germanenbild" kritisch auseinander. Anhand von zehn Thesen legt Steuer mithilfe archäologischer Funde dar, dass die allen voran von Tacitus geprägte Darstellung der germanischen Völker kaum der historischen Realität entspricht. Der im Rahmen des Kolloquiums ursprünglich gehaltene Abendvortrag trägt zwar nicht direkt zu der Frage nach "religiösen Landschaften" bei, widmet sich aber dem kulturellen Transfer, der sich innerhalb der germanischen Stämme und Kriegsgemeinschaften feststellen lässt. Entsprechend, so argumentiert Steuer, könne aufgrund von signifikanten kulturellen Gemeinsamkeiten ohne weiteres von "Germanen" gesprochen werden.

Jörg Rüpke blickt in seinem Beitrag auf das Phänomen der Religionsausübung innerhalb von Städten und versteht unter "städtischer Religion" einen "Prozess religiöser Diversifizierung" (35), die sich in der Koexistenz unterschiedlicher Gruppen oder Zusammenschlüsse bemerkbar machte. Theoretisch fundiert er seine Ausführungen mit dem Begriff von (religiösen) "Identitäten". Städte bezeichnet Rüpke aufgrund ihrer Vernetzung und der hohen Fluktuation von Ein- und Auswanderern als "Brutstätte" religiöser Differenzen (49), die im Mittelmeerraum erst im Zuge der Konsolidierung des Römischen Reiches Unterscheidungsregime bedingten und mitunter politische oder sozio-religiöse Konsequenzen nach sich ziehen konnten.

Mit den aktuell dominanten Forschungsansätzen der "Globalisierung", "Glokalisierung" und "Connectivity" setzt sich Rainer Wiegels kritisch auseinander und prüft anhand einschlägiger Konzepte die Applikation der Begriffe auf die Altertumswissenschaften. Er verweist einerseits auf die begriffliche Unschärfe der Termini, betont aber auch andererseits die neuen Perspektiven, die mit diesen Ausdrücken einhergehen. Ebenso verteidigt er den mittlerweile in Kritik geratenen Begriff der "Romanisierung" und resümiert, dass das im angelsächsisch-anglo-amerikanischen akademischen Feld vorherrschende "Diktat aktueller 'political correctness'" den Altertumswissenschaften keinen Gefallen tue. Allerdings müsse verstärkt auf die Erforschung von "Verflechtungen" anhand von "Botton-Up"-Perspektiven gesetzt werden.

Werner Petermandl und Wolfgang Spickermann widmen sich in ihrem Beitrag der römisch-keltischen Gottheit "Hercules Magusanus", der sich einerseits aus dem römischen Hercules und dem keltischsprachigen Magusanus zusammensetzt. Belege für diese genuine Gottheit finden sich einerseits auf Inschriften auf Weihesteinen sowie auf Münzen - primärer Fundort stellt die römische Provinz Germania Inferior dar. Systematisch analysieren die beiden Autoren die Funde und versuchen eine Kontextualisierung vorzunehmen, die jedoch kaum Aussagen über die keltischen Elemente zulässt.

Kulturellen Transfer und religiöse Diversität adressiert auch Krešimir Matijević in seinem Beitrag: Anhand von Weihe- und Bestattungspraktiken von ortsfremden militärischen Einheiten in Obergermanien, konkret am Beispiel Mainz, kann er aufzeigen, dass zunächst der Gott Iupiter Optimus Maximus die primäre göttliche Bezugsinstanz aller römischer Heere darstellte. Auf der Mikroebene kann Matijević hingegen darlegen, dass allen voran persönliche Präferenzen bei der Wahl von Weiheinschriften eine zentrale Rolle spielten, die entsprechend keine einheitliche Betrachtung zulässt. Auch Günther Moosbauer beschäftigt sich mit Religionsausübung innerhalb des Militärs und zwar am Beispiel Raetiens, das an der Peripherie des Römischen Reiches lag.

Anamarija Kurilić appliziert eine sogenannte "Botton-up"-Perspektive und fragt nach der Reaktion der einheimischen Bevölkerung von Dalmatien auf die kulturelle Hegemonie der Römer. Dabei legt sie den Schwerpunkt auf religiöse Anpassungsprozesse, der sogenannten interpretatio Romana, die sich lokal insbesondere in einer Nachahmung der römischen Praktiken äußert.

Die letzten Aufsätze von Gustav Adolf Lehmann und Peter Kuhlmann nehmen beide die Germania des Tacitus in den Blick. Lehmann geht der vieldiskutierten Frage nach der Intention der geographisch-ethnographischen Schrift nach und vergleicht die Germania mit dem um 131/132 n. Chr. entstandenen Περίπλους des Prokonsuls Flavius Arrianus, der als kaiserlicher Statthalter der Provinz Kappadokien fungierte. Anhand einer Gegenüberstellung der jeweiligen politischen Rahmenbedingungen wie auch unter Berücksichtigung der gattungsspezifischen und stilistischen Merkmale der Schrift möchte Lehmann Rückschlüsse auf die Absichten von Tacitus schließen können. Kuhlmann untersucht dagegen Tacitus' tendenziöse Beschreibungen der germanischen Kulthandlungen und fragt nach den Absichten derartiger Darstellungen in der Germania. Allen voran, so argumentiert Kuhlmann, stand einerseits eine Kontrastierung der Römer mit den "Germanen" wie auch einer Zusammenstellung von spezifischen Tugenden im Vordergrund, die trotz vermeintlich kultureller und zivilisatorischer Defizite von den Germanen seitens der römischen Leserschaft übernommen werden sollten.

Der Sammelband liefert insbesondere in Hinblick auf archäologische Sachgegenstände hilfreiche Einordnungen, Interpretationen und Zusammenstellungen materieller Funde. Die Beiträgerinnen und Beiträger berücksichtigen die Begriffe "Kulturtransfer" und "religiöse Landschaften" weitestgehend als Leitlinien, verzichten jedoch auf Definitionen oder Präzisierungen. Entsprechend bleiben die beiden Termini unreflektiert und ergänzen allein etablierte Konzepte wie "Romanisierung" oder die interpretatio Romana. Daher können die Aufsätze nur implizit zur Schärfung der unter dem Konzept der Globalisierung subsumierten aktuellen Forschungsparadigmata beitragen.

Tristan Spillmann