Rezension über:

Jeffrey Beneker / Georgia Tsouvala (eds.): The Discourse of Marriage in the Greco-Roman World, Madison, WI: University of Wisconsin Press 2020, 272 S., 10 Farb-, 16 s/w-Abb., ISBN 978-0-299-32840-5, USD 99,95
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Rezension von:
Beate Wagner-Hasel
Leibniz Universität Hannover
Redaktionelle Betreuung:
Matthias Haake
Empfohlene Zitierweise:
Beate Wagner-Hasel: Rezension von: Jeffrey Beneker / Georgia Tsouvala (eds.): The Discourse of Marriage in the Greco-Roman World, Madison, WI: University of Wisconsin Press 2020, in: sehepunkte 23 (2023), Nr. 3 [15.03.2023], URL: https://www.sehepunkte.de
/2023/03/34840.html


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Jeffrey Beneker / Georgia Tsouvala (eds.): The Discourse of Marriage in the Greco-Roman World

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Der kaiserzeitliche Biograph Plutarch hat nicht nur Lebensbeschreibungen großer Männer verfasst, sondern auch eine Schrift über die Tugend der Frauen sowie über das rechte Verhalten in der Ehe, die gamika parangelmata, die sogenannten "Ehevorschriften", hinterlassen. Es sind vor allem diese Ehevorschriften, die im Zentrum der vorliegenden Untersuchung "The Discourse of Marriage in the Greco-Roman World" stehen, die auf einer Tagung der Society for Classical Studies von 2013 basiert. Ergänzt wurden die Tagungsbeiträge um weitere Studien zu anderen antiken Dichtern und Dichterinnen, die über die Ehe nachgedacht haben. Dies hat den Zweck, besser den kulturellen Kontext und die Tradition zu verstehen, in die Plutarchs Schrift einzuordnen ist. Eine wesentliche Traditionslinie führt zu den Epithalamia, die in literarischer Gestaltung, als weibliche Chöre bei der Hochzeit erstmals im Werk der Dichterin Sappho greifbar sind. An sie konnten griechische wie römische Dichter wie Theokrit, Catull oder Claudian anknüpfen. [1] Mit diesen Epithalamia teilt Plutarchs Schrift, das ist eines der Ergebnisse dieses Sammelbandes, sowohl Form und Inhalt: Gedacht als Hochzeitsgeschenk an die Brautleute soll sie - nicht ohne Hilfe der Götter - auf ein harmonisches Zusammenleben des Paares einstimmen. Demgegenüber steht eine andere Tradition, die vor allem für das antike Rom gilt, die Erzählungen von der gewaltsamen Inbesitznahme von Frauen, vom Raub der Sabinerinnen etwa oder von der Schändung der Lucretia. Auch Spuren dieser Gewalterzählungen machen die Autoren und Autorinnen dieses Sammelbandes in den literarisch gestalteten Epithalamien und Ehevorschriften aus.

Mit der Fokussierung auf literarische Traditionen, die in rituelle Kontexte eingebettet werden, setzt sich dieser Zugriff deutlich von Untersuchungen zur rechtlich-institutionellen und sozialen Seite der Ehebeziehungen ab, wie sie von Susan Treggiari (The Roman Marriage: Iusti Coniuges from the Time of Cicero to the Time of Ulpian, 1991) oder von Lena Larsson-Lovèn und Anita Strömberg (Ancient Marriage in Myth and Reality, 2010) vorliegen. Auf die einleitenden Bemerkungen von Georgia Tsouvala zur Konzeption des Bandes "Introduction: The Discourse of Marriage and its Context" folgen zunächst Darlegungen zur Ikonographie des Hochzeitsrituals. Rebecca H. Sinos, Verfasserin einer Studie über die Hochzeitsikonographie im antiken Athen, geht es in ihrem Beitrag "Wedding Connections in Greek and Roman Art" um die Ermittlung der mythologischen Bezüge der Hochzeitsdarstellungen auf griechischen Vasen und römischen Fresken. Im Bildbefund findet sie auffallende Parallelen zu Mysterienkulten. Zu den gemeinsamen Elementen gehören u.a. Opferhandlungen, das Bad, die von Fackelträgern begleiteten Umzüge. Mit dem Mysterienkult teilen in ihren Augen die Hochzeitsrituale den Charakter von Initiationsritualen. Es ist hier vor allem der Mythos vom Raub der Persephone durch Hades, der als gemeinsamer Bezugspunkt sowohl von Hochzeitsritual und Mysterienkult ausgemacht wird.

Die symbolischen Verknüpfungen von Raub, Trauer und Tod in römischen Hochzeitsritualen verfolgt Karen Hersch, Verfasserin einer Studie über das römische Hochzeitsritual, in ihrem Beitrag "Violence in the Roman Wedding". Sie streicht den Zusammenhang zwischen Hochzeit und Staatsgründungsritualen heraus, die mit dem Selbstopfer der Lucretia und dem Raub der Sabinerinnen beginnen. Diese gewaltsame Seite findet sie in den römischen Epithalamien eines Catull oder Statius gespiegelt, wo Entführung und rituelle Klage zentrale Elemente bilden. Vor allem betont sie die militärische Sprache der Dichter. Ihrer Meinung nach handelt es sich beim Hochzeitsritual nicht um einen Übergangsritus, sondern um einen gewaltsamen Trennungsritus.

In seinem Aufsatz "Plutarch's Marriage Advice and the Tradition of the Poetic Epithalamium" geht Paolo di Meo der Tradition des Epithalamiums von Sappho bis Claudian nach. Diese Untersuchung bildet das Herzstück des Sammelbandes, weil sie detailgenau die Gemeinsamkeiten zwischen den literarisch gestalteten Hochzeitsliedern und dem als Hochzeitsgeschenk dargebotenen philosophischen Traktat des Plutarch auflistet.

Als Teil eines Gegendiskurses kann man die Aussagen von Epikur und Seneca zur Ehe betrachten. Ihren Auffassungen sind zwei Aufsätze gewidmet. Die vermeintliche Ehefeindlichkeit des Epikur verfolgt Geert Roskam in seinem Beitrag "Epicurus on Marriage". Er zeichnet ein ambivalentes Bild von der Haltung des Philosophen, der sich kritisch über die Ehe als Bestandteil der von ihm abgelehnten Lebensform des Bürgers, nicht aber über das Konkubinat und den Kontakt zu Hetären geäußert habe. Dem epikureischen Bestreben nach Vermeidung von Schmerz ordnet Roskam die ablehnenden Äußerungen zu, verweist aber auch auf zustimmende Aussagen zur Ehe als Quelle von Freude. Der Perspektive der Stoa widmet sich der Beitrag von Alex Dressler "The Impossible Feminism of Seneca, On Marriage: Style and the Woman of Jerome, Against Jovinian 1", der stark auf stilistische Detailanalysen abhebt. Dressler betont einerseits die weibliche Handlungsmacht oder Selbstwirksamkeit (agency), die bei Seneca in literarischen Inszenierungen weiblicher Widerständigkeit (Lucretia, Marcia, Artemisia) - vielfach in Form der Selbsttötung - zum Tragen gekommen sei. Dressler arbeitet stark mit dem Gegensatz "aktiv-passiv" und geht von einem patriarchalen Fundament der Ehe aus - einer Ansicht, deren Relevanz für das alltägliche Zusammenleben Sozialhistoriker wie Richard Saller mit Recht relativiert haben. [2]

Wieder Plutarch in den Blick nehmen Katarzyna Jazdzewska und Jeffrey Beneker in ihren Beiträgen "Marriage and Animal Exemplarity in Plutarch" und "Death Is not the End: Spousal Devotion in Plutarch's Portraits of Camma, Porcia, and Cornelia". In Jazdzewskas Untersuchung geht es um Bezüge zwischen Plutarchs Schriften zur Tierwelt und seinen Ehebetrachtungen; in Benekers Beitrag steht Plutarchs Schrift über die Tugend der Frauen im Mittelpunkt der Betrachtung. In den moralisch aufgeladenen Tiergeschichten findet Jazdzewska zwei einander ergänzende Haltungen wieder, die Sorge für den Nachwuchs und die gegenseitige Fürsorge für den Partner. Eher um politische Haltungen, wenn auch nicht explizit, kreisen Benekers Beobachtungen zu den drei paradigmatischen Frauenfiguren Camma, Porcia und Cornelia, deren Loyalität mit ihren politisch-militärisch aktiven Ehemännern und Söhnen über den Tod hinausreicht. Alle fungieren sie als Exemplum für die Macht der Besonnenheit, der sophrosyne bzw. der pudicitia.

Den Abschluss bildet Silvia Montiglio mit Überlegungen zum Zusammenhang von erotischem Begehren und Heirat im Griechischen Roman: "Erotic Desire and the Desire to Marry in the Ancient Greek Novel". Sie beginnt mit Charitons "Chaireas und Kallirhoe" aus dem 1. Jh. v. Chr. und endet mit Heliodoros' "Aithiopika" aus dem 3. oder 4. Jh. n. Chr. Daneben geht sie ausführlich auf Achilleus Tatios' "Leukippe und Kleitophon" aus dem 2. Jh. n. Chr. sowie auf den Schäferroman "Daphnis und Chloe" von Longos (2./3. Jh. n. Chr.) ein. Es handelt sich stets um Abenteuererzählungen, die entweder mit der Heirat der Protagonisten beginnen oder mit ihr enden, aber immer mit tragischen Verwicklungen und Prüfungen einhergehen, die das Paar zu bestehen hat. Montiglio kommt zu dem Schluss, dass trotz der erzählerischen Verknüpfung von Eros und Heirat dem erotischen Begehren in den Romanen eine von der Institution Ehe unabhängige, eigene Macht zugewiesen werde.

Für eine Sozialhistorikerin sind vor allem die Traditionslinien zu den Epithalamien und literarischen Kontexte, die hier aufgezeigt werden, erhellend und anregend. Das Bild von der ehelichen Harmonie, welches die Autoren und Autorinnen aus dem Werk Plutarchs extrahieren, passt zu den Beobachtungen über die Kooperation des Paares, sei es des Ehepaares, sei es des Verwalterpaares, die sich bei den Agrarschriftstellern machen lassen, wird aber um eine weitere Facette, um die der emotionalen Bindung und des erotischen Begehrens ergänzt. Zu kurz kommt indes die Analyse der politischen Dimension der literarisch geformten Aussagen über weibliche Loyalität gegenüber dem Ehemann, gerade wenn es um die Deutung von Gewalterzählungen geht. Kann man wirklich die militärische Sprache in der Hochzeitslyrik als Ausdruck weiblicher Erfahrung deuten oder muss hier nicht stärker die metaphorische Bedeutung berücksichtigt werden, wie dies etwa die Rechtshistorikerin Marie-Theres Fögen in ihrer Analyse der Lucretia-Episode versucht hat? [3] Schließlich wird gerade bei Seneca und Statius auch die Haltung zur natürlichen Umwelt mit militärischen Begriffen umschrieben, wenn es etwa in der Medea Senecas heißt, dass Jason das Meer unterworfen habe (mare qui subegit) und dieses nun die Schläge der Ruderer ertragen müsse (337, 586 u. 597, 617), oder sich bei Statius der Fluss Vulturnus, der unter Domitian eine Brücke erhielt, für seine Versklavung (servitus) bei seinem Eroberer (victor) bedankt (Statius, Silvae IV 3, 81 u. 84). Die Erfahrung alljährlicher Frühjahrsüberschwemmungen und die Erzählungen von Schiffsbrüchigen werden eine andere Sicht auf die Dinge erzeugt haben. Aber dass die Frage nach der gewaltsamen Seite der ehelichen Sexualität gestellt wird, ist wichtig und geeignet, neue Sichtweisen auf die Ehe in der Antike zu ermöglichen. [4]


Anmerkungen:

[1] Vgl. dazu auch Lavinia Galli Milic / Annick Stoehr-Monjou (éds.): Au-delà de l'épithalame. Le mariage dans la littérature latine (IIIe s.av. - VIe s. ap. J.-C.), Brepolis / Belgien 2021.

[2] Richard P. Saller: Patriarchy, Property and Death in the Roman Family, Cambridge 1996, S. 225-232.

[3] Römische Rechtsgeschichten, Göttingen 2002.

[4] Vgl. jetzt auch Henriette Harich-Schwarzbauer: Motherhood in Roman Epithalamia, in: Alison Sharrock / Alison Keith (eds.): Maternal Conceptions in Classical Literature and Philosophy, Toronto u.a. 2020, S. 129-139, die dem Motiv der gewaltsamen Trennung der Braut von der Mutter in den Epithalamien eines Catull, Statius und Claudian nachgegangen ist.

Beate Wagner-Hasel