Rezension über:

Mike Schmeitzner: Erwin Hartsch (1890-1948). Lehrer - Abgeordneter - Minister. Eine sächsische Karriere, Beucha: Sax-Verlag 2022, 210 S., zahlr. s/w-Abb., ISBN 978-3-86729-287-0, EUR 14,80
Inhaltsverzeichnis dieses Buches
Buch im KVK suchen

Rezension von:
Stefan Donth
Gedenkstätte Berlin-Hohenschönhausen
Redaktionelle Betreuung:
Dierk Hoffmann / Hermann Wentker im Auftrag der Redaktion der Vierteljahrshefte für Zeitgeschichte
Empfohlene Zitierweise:
Stefan Donth: Rezension von: Mike Schmeitzner: Erwin Hartsch (1890-1948). Lehrer - Abgeordneter - Minister. Eine sächsische Karriere, Beucha: Sax-Verlag 2022, in: sehepunkte 23 (2023), Nr. 2 [15.02.2023], URL: https://www.sehepunkte.de
/2023/02/37187.html


Bitte geben Sie beim Zitieren dieser Rezension die exakte URL und das Datum Ihres Besuchs dieser Online-Adresse an.

Mike Schmeitzner: Erwin Hartsch (1890-1948)

Textgröße: A A A

Mit einer bislang wenig bekannten Lebensgeschichte des 20. Jahrhunderts, eingebettet in die zeithistorischen Zusammenhänge einer Demokratie und zweier Diktaturen, schließt Mike Schmeitzner eine Forschungslücke. Der 1890 geborene Erwin Hartsch erfuhr seine Sozialisation im sächsischen Vogtland. Wie sein Vater ergriff er den Beruf des Lehrers. Der junge Hartsch engagierte sich früh in der SPD und begann seinen politischen Aufstieg als linker Sozialdemokrat. Die Spannungen in der Frühphase der Weimarer Republik trafen Hartsch auch persönlich: Nach der Reichsexekution gegen die Zeigner-Regierung in Sachsen 1923 wurde er zum ersten Mal verhaftet und in einwöchige "Schutzhaft" genommen.

1926 errang Hartsch ein Landtagsmandat, im Sommer 1932 wurde er in den Reichstag gewählt. In seiner parlamentarischen Arbeit grenzte sich Hartsch scharf von KPD und NSDAP ab und bezeichnete die beiden Parteien als "siamesische Zwillinge" (51). Er lehnte sowohl den Kommunismus als auch Nationalsozialismus entschieden ab, was zu zahlreichen Konflikten mit den Abgeordneten der KPD und NSDAP führte. In der Landtagsdebatte am 16. Januar 1930 gelang es Hartsch besonders gut, seine Gegner vorzuführen. Seinen Redebeitrag, "bei uns ist es nicht so, dass erst ein Lenin aus München und ein Hitler aus Moskau kommen muss, der uns sagt, was wir schreiben dürfen", unterbrachen NSDAP-Mandatsträger mit dem korrigierenden Zwischenruf "Umgekehrt". Hartsch reagierte schlagfertig: "Ach, das haben Sie geschnappt. Das wollte ich bloß wissen" (51). Diese beabsichtigte Verwechslung zeigt, dass Hartsch KPD und NSDAP als fast austauschbare politische Parteien ablehnte. Das brachte er auch Ende 1932 in einem Zeitungsartikel zum Ausdruck: "Wenn Nazifaschisten und Moskauer Gewaltapostel eine Mehrheit in den parlamentarischen Vertretungen haben, darf sich das Volk nicht wundern, wenn die Demokratie nicht befriedigt, wenn der parlamentarische Apparat nicht funktioniert" (62).

Für diese klare Positionierung zahlte Hartsch einen hohen persönlichen Preis. Denn nach ihrer Machtübernahme rächten sich die Nationalsozialisten an ihrem Gegner: Sie inhaftierten Hartsch in den Konzentrationslagern Osterstein, Colditz und Sachsenburg. Dort wurde er misshandelt und trug schwere gesundheitliche Schäden davon. Nach seiner Entlassung 1934 musste er die Kosten für Unterbringung und Verpflegung im KZ aus eigener Tasche bezahlen. Hartsch, der weiter überwacht wurde und sich nicht für die NS-Diktatur einspannen ließ, überstand die Kriegszeit und bestritt seinen Lebensunterhalt unter anderem als Handels- und Versicherungsvertreter.

Den politischen Neuanfang 1945 gestaltete Hartsch aktiv mit. Er nahm seine Tätigkeit im Schuldienst wieder auf und engagierte sich in der SPD. Im sächsischen Landesverband erzielte er bei den Vorstandswahlen das viertbeste Stimmenergebnis - noch vor dem Präsidenten der Landesverwaltung Rudolf Friedrichs. Noch immer lehnte er die Politik der KPD ab und brachte dies in den Spitzengremien seiner Partei offen zum Ausdruck: "Die Bevölkerung will von jeder Schattierung einer Diktatur nichts wissen" (115).

Umso erstaunlicher ist es, dass sich Hartsch der Zwangsvereinigung von KPD und SPD zur SED nicht entgegenstellte. Zwar begründete er seinen Positionswechsel im Neuen Deutschland, wo er die Gründung der Einheitspartei mit der Verfolgung durch den NS-Staat legitimierte, von der Kommunisten und Sozialdemokraten gleichermaßen betroffen waren. Doch so einfach war es offenbar nicht, wie Mike Schmeitzner herausarbeitet. Er vermutet zwei persönliche Motive hinter dem "Sinneswandel", die ihn in weitaus stärkerem Maß geleitet haben dürften: Aufgrund seines angegriffenen Gesundheitszustandes war Hartsch auf den Zugang zu medizinischer Versorgung angewiesen. Zudem könnte ihn die KPD mit angeblich kompromittierendem Material des NS-Repressionsapparates unter Druck gesetzt haben, wie Beispiele anderer Politiker zeigen.

Mit der kommunistischen Diktaturdurchsetzung änderte sich für den Demokraten Hartsch der Bezugsrahmen. Während des Wahlkampfs 1946 bemühte er sich um eine faire Auseinandersetzung mit CDU und Liberal-Demokratischer Partei (LDP). Bürgerliche Politiker, die in der Weimarer Republik noch zu seinen Gegnern gezählt hatten, gehörten nun für ihn zu potentiellen Bündnispartnern. Mit ihnen versuchte er, Zumutungen der Kommunisten abzuwehren.

Nach den Landtagswahlen 1946 setzte die Sowjetische Militäradministration (SMA) - aufbauend auf den Mechanismen der Blockpolitik - die Bildung von Allparteien-Regierungen durch. In Sachsen übernahm Hartsch das Amt des Volksbildungsministers. Er versuchte, "selbst zu regieren" (140). So jedenfalls hielt es der Zeitgenosse Victor Klemperer in seinem Tagebuch fest. Doch die Möglichkeiten des Ministeramtes, die Hartsch mit reformpädagogischen Ansätzen oder beim Religionsunterricht nutzen wollte, blieben letztlich begrenzt. Eine zu sehr an sozialdemokratischen Idealen ausgerichtete Bildungspolitik verhinderten kommunistische Hardliner, die die Schlüsselpositionen im Ministerium besetzten.

Es ist ein Vorzug von Schmeitzners Biografie, dass er die politischen Handlungsspielräume auslotet, die 1947 in der Sowjetischen Besatzungszone (SBZ) existierten. So bestanden im Vergleich zum NS-Staat größere persönliche Freiheiten. Im Landtag ist ein "limitierter Pluralismus" nachweisbar, weil SMA und SED die Gleichschaltung der bürgerlichen Parteien erst Anfang der 1950er Jahre abschlossen (146).

Hartsch, der sich von den "ideologischen Scharfmachern" (152) in der SED fernhielt, fehlte der Rückhalt bei der SMA. Bereits 1948 schied er aus dem Amt. Dabei spielten auch seine gesundheitlichen Beeinträchtigungen durch die KZ-Haft eine Rolle. Sein früher Tod Anfang August 1948 verhinderte, dass er sein neues Amt als Direktor der Sächsischen Landesbibliothek antreten konnte. Doch Schmeitzner ordnet den Abschied Hartschs von der landespolitischen Bühne in den größeren Rahmen der kommunistischen Diktaturdurchsetzung ein. Die massiven Einflussnahmen der SMA und die große Rechtsunsicherheit zeigten bereits vielen Zeitgenossen, dass mit dem Ausbau der SED zur "hegemonialen Partei" für Politiker wie Hartsch, der als ehemaliger Sozialdemokrat diesen Kurs nicht vorbehaltlos mittrug, kein Platz mehr war.

Hartsch gehörte gleichermaßen zu den Opfern einer Diktatur - der nationalsozialistischen - und zu den Mitgestaltern einer Diktaturdurchsetzung - der kommunistischen. Schmeitzner gelingt eine sehr gute Biografie, indem er ein differenziertes Bild der Handlungsspielräume zeichnet, die Hartsch nutzte, und konsequent eine Heldenverehrung vermeidet. Die überzeugend formulierten und fundierten Urteile des Autors stützen sich auf eine gründliche Recherche in 14 Archiven. Zu den großen Stärken von Schmeitzners Arbeit gehört es, dass er den Bogen von der Weimarer Republik bis zur Nachkriegszeit spannt und dabei die Kontinuitäten und Brüche der personellen Netzwerke der sächsischen Landespolitik herausarbeitet, in die Hartsch eingebunden war. Die Arbeit zeigt beispielhaft die großen Möglichkeiten, die ein biografiezentrierter Zugang bei der Erforschung der Geschichte der SBZ bietet.

Stefan Donth