Rezension über:

Dagmar Bussiek: Dem Frieden verpflichtet. Wolf Graf von Baudissin (1907-1993) - Die Biografie (= Demokratie, Sicherheit, Frieden; Bd. 225), Baden-Baden: NOMOS 2021, 167 S., 47 s/w-Abb., ISBN 978-3-8487-8376-2, EUR 39,00
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Rezension von:
Winfried Heinemann
Brandenburgische Technische Universität Cottbus-Senftenberg
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Empfohlene Zitierweise:
Winfried Heinemann: Rezension von: Dagmar Bussiek: Dem Frieden verpflichtet. Wolf Graf von Baudissin (1907-1993) - Die Biografie, Baden-Baden: NOMOS 2021, in: sehepunkte 22 (2022), Nr. 7/8 [15.07.2022], URL: https://www.sehepunkte.de
/2022/07/36415.html


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Dagmar Bussiek: Dem Frieden verpflichtet

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Zu Wolf Graf Baudissin, dem Schöpfer der Inneren Führung, gibt es bereits eine reiche Literatur. Im Nomos-Verlag, bekannt für seine sachlich-kritischen Publikationen zu Fragen der Sicherheits- und Verteidigungspolitik, ist nun eine weitere Biografie erschienen. Was bietet sie Neues?

Die Autorin kann erstmals auf eine Fülle von Material aus dem privaten Nachlass des Generals und seiner Frau zurückgreifen, und neu ist wohl, dass Dagmar Gräfin Baudissin ihre Arbeit als Bildhauerin aufgab, um als Ghostwriterin hinter vielen Publikationen ihres Mannes zu stehen. Ansonsten aber stützt sich Bussiek auf die gängige Literatur - vor allem auf Arbeiten aus der Feder klarer Parteigänger Baudissins: Claus von Rosen, Martin Kutz und andere. Andere Autoren kommen weniger vor: Georg Meyer sehr selten, Hans Ehlert gar nicht, die Reihe "Anfänge westdeutscher Sicherheitspolitik" [1] vermeidet Bussiek ebenfalls. Die "Himmeroder Denkschrift", an der Baudissin erheblichen Anteil hatte, zitiert sie bewusst nach einer Publikation im Rahmen der historischen Bildung der Bundeswehr und nicht nach der wissenschaftlichen Edition in den "Militärgeschichtlichen Mitteilungen" [2], die ihr gleichwohl bekannt ist - warum wohl?

Der Verzicht auf ein gründliches Quellen- und Literaturstudium rächt sich. Wolf Graf Baudissin war in seiner Jugend bei den Jungkonservativen. Um zu erklären, was das war, bemüht Bussiek dauernd Armin Mohler, einen "Schweizer Publizist[en]" (41), ohne zu erwähnen, dass Mohler selbst der nationalen Rechten angehörte, und dass er 1942 aus der Schweizer Armee desertierte, um ins Deutsche Reich zu gehen und in der Waffen-SS zu dienen - eine eigenwillige Literaturwahl. Zu den Putschplänen der Reichswehr 1932 dagegen sitzt sie Wolfgang Pauls bei Biblio in Osnabrück erschienener vorwissenschaftlicher Geschichte des Infanterieregiments 9 (in dem Baudissin diente) auf [3], anstatt die gründliche Ausarbeitung von Wolfram Pyta zur Kenntnis zu nehmen. [4] Da ist die Tatsache, dass Bussiek zu berichten weiß, aus der Dienststelle Blank sei 1955 das "Bundesministerium der Verteidigung" geworden (90, recte: bis 1961 "Bundesministerium für Verteidigung"), eine eher lässliche Sünde, die aber die mangelnde Vertrautheit der Autorin mit der Materie schlaglichtartig beleuchtet.

Bussieks Buch ist klassisch-chronologisch strukturiert. Baudissin wuchs behütet auf, in einer Beamtenfamilie konservativ-adeligen Zuschnitts (sein Vater war Landrat). Nach dem Abitur trat Baudissin in die Reichswehr ein, und zwar gewiss nicht zufällig in das hochvornehme Infanterieregiment 9 in Potsdam, das die Tradition der preußischen Garderegimenter fortführte. Aus dieser Zeit kannte Baudissin Männer wie Henning von Tresckow, Axel von dem Bussche oder Richard von Weizsäcker. Baudissin absolvierte dann die Kriegsakademie und wurde Generalstabsoffizier, geriet aber bereits 1941 in Afrika in Kriegsgefangenschaft, die er in Australien verbrachte (in Gefangenschaft wurde er zum Major befördert).

Schon früh wurde er von ehemaligen Kameraden aufgefordert, beim Aufbau der (späteren) Bundeswehr mitzuarbeiten; schon an der Himmeroder Tagung im Oktober 1950 war er beteiligt. Später wurde er Referatsleiter "Inneres Gefüge" in der Dienststelle Blank, dann im Ministerium.

Bussiek wendet sich gegen die Mär, Baudissins Anschlussverwendung - schon als Brigadegeneral - als Kommandeur einer Kampfgruppe (später: Brigade) in Göttingen sei eine Kaltstellung gewesen. Hierzu findet sich viel Erhellendes in dem unlängst erschienenen Grundlagenwerk von Thorsten Loch [5], das aber Bussiek wohl nicht mehr verwendet hat.

Auch Baudissins Zeit als höherer General bei der NATO findet Berücksichtigung; allerdings hätte man sich angesichts seiner anschließenden wissenschaftlichen Karriere gewünscht, Bussiek wäre ein wenig auf Baudissins Impulse am NATO Defense College eingegangen: Hat er dort versucht, seine Vorstellungen von der Rolle von Streitkräften im demokratischen Staat auf internationaler Ebene umzusetzen?

Baudissin hat dann 1971 das Hamburger Institut für Friedensforschung und Sicherheitspolitik begründet, dessen erster Direktor er war. Selbst ohne Promotion legte er Wert auf eine wissenschaftlich-nüchterne Arbeit über Fragen der Sicherheitspolitik - für einen pensionierten General in den 1968er Jahren gewiss keine leichte Aufgabe.

Am Ende handelt es sich bei diesem Band um eine knappe, aber konventionelle Biografie Wolf Graf von Baudissins, die insofern Neues bringt, als sie die wichtige Rolle seiner Frau Dagmar klarer herausstellt, auch abgestützt auf neue Quellen zu diesem Aspekt. Die definitive Baudissin-Biografie ist aber auch dieses Buch nicht.


Anmerkungen:

[1] Anfänge westdeutscher Sicherheitspolitik, 1945-1956, hg. vom Militärgeschichtlichen Forschungsamt, 4 Bde., München 1982-1997.

[2] Hans-Jürgen Rautenberg / Norbert Wiggershaus: Die "Himmeroder Denkschrift" vom Oktober 1950. Politische und militärische Überlegungen für einen Beitrag der Bundesrepublik Deutschland zur westeuropäischen Verteidigung, in: Militärgeschichtliche Mitteilungen 21 (1977), 135-206.

[3] Wolfgang Paul: Das Potsdamer Infanterie-Regiment 9. 1918-1945. Preußische Tradition in Krieg und Frieden, Osnabrück 1983.

[4] Wolfram Pyta: Vorbereitungen für den militärischen Ausnahmezustand unter Papen/Schleicher, in: Militärgeschichtliche Mitteilungen 51 (1992), 385-428.

[5] Thorsten Loch: Deutsche Generale 1945-1990. Profession - Karriere - Herkunft, Berlin 2021. (http://www.sehepunkte.de/2021/12/35501.html)

Winfried Heinemann