Rezension über:

Thomas Rahn / Hole Rößler (Hgg.): Medienphantasie und Medienreflexion in der Frühen Neuzeit. Festschrift für Jörg Jochen Berns (= Wolfenbütteler Forschungen; Bd. 157), Wiesbaden: Harrassowitz 2018, 419 S., 74 s/w-Abb., ISBN 978-3-447-11139-3, EUR 82,00
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Rezension von:
Harriet Rudolph
Institut für Geschichte, Universität Regensburg
Redaktionelle Betreuung:
Bettina Braun
Empfohlene Zitierweise:
Harriet Rudolph: Rezension von: Thomas Rahn / Hole Rößler (Hgg.): Medienphantasie und Medienreflexion in der Frühen Neuzeit. Festschrift für Jörg Jochen Berns, Wiesbaden: Harrassowitz 2018, in: sehepunkte 20 (2020), Nr. 11 [15.11.2020], URL: https://www.sehepunkte.de
/2020/11/33125.html


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Thomas Rahn / Hole Rößler (Hgg.): Medienphantasie und Medienreflexion in der Frühen Neuzeit

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Die europäische Frühneuzeit verkörpert eine Epoche der intensiven Auseinandersetzung mit neuen Medien und den damit verbundenen Technologien und Strategien der Medialisierung von politischen und religiösen Botschaften sowie von Wissensbeständen unterschiedlichster Art. Alte Medien trafen auf neue Medien, mediale Amateure auf professionelle Medienproduzenten, Medienkritiker auf Medienapologeten. Dass schon mit Blick auf die Frühe Neuzeit von einer Mediengesellschaft gesprochen werden kann, auch wenn diese vieles von modernen Mediengesellschaften trennt, überrascht inzwischen niemanden mehr, der sich mit dieser Epoche intensiv auseinandergesetzt hat.

Die Beiträge dieser sehr gut ausgestatteten wie lektorierten Festschrift, die dem Barockgermanisten und Medienhistoriker Jörg Jochen Berns, bis 2001 Professor für Neue deutsche Literatur an der Universität Marburg, gewidmet ist, zeichnet eine große inhaltliche wie methodische Spannweite aus. Das gilt auch für das Werk des Jubilars, auf dessen grundlegende Beiträge zur Zeitungsgeschichte, zu Mnemonik, Bildrezeption, Medientheologie, Mythografie, Medientechnologie und Medienästhetik, aber auch zu höfischem Zeremoniell und höfischer Festkultur oder zum reformatorischen Bilderstreit sie häufig verweisen. Sie sind in fünf Abschnitten (Medienreflexionen, Medien der Genealogie, Mediale Übertragungen, Medienexperimente und Medienphantasien, Transformationen von Mensch und Medium) angeordnet, die mit Blick auf ihren Inhalt eher willkürlich wirken. Der sechste Abschnitt (Medienästhetik) enthält eine Grafik und ein Gedicht von Ad Stijman als zum Anlass passende Gaben; zum Thema selbst wären allerdings ebenfalls Beiträge vorstellbar gewesen.

In ihrer pointierten Einleitung fassen die beiden Herausgeber Thomas Rahn und Hole Rößler am Beispiel ausgewählter Arbeiten von Jörg Jochen Berns, die als intellektuelle Stationen verstanden werden könnten, zentrale Untersuchungsgegenstände, Arbeitsweisen und Thesen des Jubilars zusammen. Der Einstieg mit Berns' kritischer Auseinandersetzung mit dem Werk Marshall McLuhans wirkt etwas antiquiert, markiert aber einen geistigen Ausgangspunkt des Jubilars, der auf eine kritische Auseinandersetzung mit jeweils aktuellen, aus moderner Perspektive aufgestellten Interpretationen zur Entwicklung von Medien bzw. Mediengesellschaften abzielte. Deutlich wird die Breite seines Medienbegriffes, die Vielfalt der Ansätze und Fragestellungen wie sein vom Untersuchungsgegenstand bestimmter präziser, bildhaft imaginativer Sprachduktus. Von den folgenden Beiträgen, deren Verfasser und Verfasserinnen Arbeitsfelder und Kontakte des Widmungsträgers spiegeln, gehören einige eher in die Kategorie "Versuche zur frühneuzeitlichen Mediengeschichte" (so die Herausgeber selbst), andere gehen aber eindeutig darüber hinaus.

Ausgehend vom Narziss/Echo-Mythos stellt zum Beispiel die Romanistin Anita Traninger in ihrem Beitrag zu "Echo und Kopie. Aspekte zu einer Mediengeschichte des Vervielfältigens" die These auf, dass der für die multiplizierende Funktion von Medien in der Frühneuzeit zentrale Begriff der Kopie aus heutiger Sicht zu Unrecht einseitig negativ konnotiert wird, weil er auf die Fähigkeit verweist, sich eines Stoffes zu bemächtigen, ihn verfügbar zu machen und dabei zu verändern. Eine zentrale Rolle kommt dabei mündlichen Wiederholungen zu, da diese jeweils mit Bedeutungsverschiebungen verbunden sind. Gleich mehrere Autoren heben im Anschluss an Berns die zentrale Bedeutung der Vormoderne als Reflexionsfolie für die Analyse späterer Entwicklungen hervor, so Jan Lazardzig in seinem Beitrag zu Theorien des Spektakels bei Michel de Pure oder Claude-Francois Ménestrier, deren Werke nicht zufällig um 1670 publiziert wurden, oder Wolfgang Brückle, welcher sich mit Techniken und Strategien vorfotografischer Reproduktionsformen auseinandersetzt. Helga Meise analysiert den mitnichten so häuslichen "Almanach domestique" (1782) der Caroline von Keyserling, wodurch auch Frauen als Medienproduzenten der Aufklärung in den Blick genommen werden.

Die meisten Autoren und Autorinnen fokussieren jedoch spezifische Bildthemen in ihrer Relation zu begleitenden Texten sowie zeitgenössischen Praktiken, ob dies Porträts als Schmähbilder (Hole Rössler), Bilder von Fürstenbegräbnissen (Jill Bepler), genealogische Darstellungen (Volker Bauer), Schlachtenbilder (Wilhelm Kühlmann), Explosionsdarstellungen (Thomas Rahn) oder Hostienmühlen (Christian Hecht) sind, wobei sich hier ebenfalls vielfältige Bezüge zu den Arbeiten von Jörg Jochen Berns finden. Drei Beiträge thematisieren Medien im breiten Sinne und zwar mit Blick auf ihre Funktion für die höfische Herrschaftsrepräsentation sowie die mittelalterliche Liturgie: Helen Watanabe O-Kelly untersucht Fürstinnenbriefe als Medien "emotionaler Regime" am Hof. Pierre Béhar illustriert am Beispiel der Bedeutung des Sonnengottes Apoll für Anlage und Ikonografie der Gärten von Versailles das Wechselspiel von Mysterium und Lesbarkeit in der Herrschaftsrepräsentation Ludwigs XIV. von Frankreich. Johannes Tripps widmet sich dem "Wolfram-Kandelaber" - einem nicht nur in seiner Entstehungszeit singulären Objekt, bei dem vieles dafür spricht, dass dieser das Geheimnis seiner ursprünglich intendierten Semantiken für sich behalten wird.

Nach der Lektüre dieses Sammelbandes mögen sich Leser und Leserinnen ein wenig wie die Figur auf dem Titelbild fühlen, über die zwei kräftige Arme aus himmlischen Sphären einen Sack mit unterschiedlichsten Gegenständen auskippen, die in ihrer Gesamtheit nur schwer verdaulich sind - um einen Gedanken im Beitrag von Günther Butzer aufzugreifen, der möglichen Zusammenhängen zwischen Körperfunktionen, Textinhalt und Textrezeption nachgeht. Je nach Interessenlage verspricht eine ganze Reihe von Beiträgen dennoch einen hohen intellektuellen Gewinn. Insgesamt verdeutlicht diese Festschrift somit, welche erhellenden Perspektiven auf Medialität im weitesten Sinne die Frühe Neuzeit zu bieten hat - auch dann, wenn es um Medien geht, die eher ein dead end der Mediengeschichte markieren, wie dies für die Semaphore als eine Art Prototelegrafen (Markus Bauer) gilt. Deshalb ist zu wünschen, wenn sie auch Leser jenseits der Frühneuzeitforschung findet.

Harriet Rudolph