Rezension über:

Christoph Dartmann: Die Benediktiner. Von den Anfängen bis zum Ende des Mittelalters (= Geschichte der christlichen Orden), Stuttgart: W. Kohlhammer 2018, 301 S., 10 s/w-Abb., ISBN 978-3-17-021419-4, EUR 26,00
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Rezension von:
Joachim Werz
Eberhard Karls Universität, Tübingen
Redaktionelle Betreuung:
Ralf Lützelschwab
Empfohlene Zitierweise:
Joachim Werz: Rezension von: Christoph Dartmann: Die Benediktiner. Von den Anfängen bis zum Ende des Mittelalters, Stuttgart: W. Kohlhammer 2018, in: sehepunkte 19 (2019), Nr. 6 [15.06.2019], URL: https://www.sehepunkte.de
/2019/06/32240.html


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Christoph Dartmann: Die Benediktiner

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Der Hamburger Mediävist Christoph Dartmann hat sein Ziel für die vorliegende Studie hoch gesteckt: Auf 300 Seiten soll eine fast 1000-jährige Geschichte des benediktinischen Mönchtums von der Entstehung der Regula Benedicti im 6. Jahrhundert bis zum Ende des Spätmittelalters erzählt werden, die zudem sowohl den Studierenden und Historikern als auch den interessierten Laien einen "zuverlässigen und anschaulichen Eindruck" (9) vermitteln kann. Dartmann erreicht - dies kann vorweggesagt werden - dieses Ziel, da er klug thematisch selektiert und Ereignisse in die historische Entwicklung einbettet. In seiner Studie interessieren ihn vor allem die Aushandlungsprozesse, die aus der Spannung von Norm und sich verändernden Lebenswelten resultieren und in denen die Faktoren von Bruch, Transformation bzw. Adaption und Erneuerung besonders zum Tragen kommen.

Seine Geschichte des benediktinischen Mönchtums im europäischen Mittelalter beginnt er im umfangreichen zweiten Kapitel (12-142) mit einer detailreichen, jedoch verständlich geführten Auseinandersetzung mit der benediktinischen Ordensregel. Dabei thematisiert er zuerst sowohl Regionen - unter anderem Syrien, den Nahen Osten und Palästina - als auch Asketen und Eremiten, die für die Entfaltung des frühen christlichen Mönchtums zentral waren, bevor er sich dann dem Ordensgründer Benedikt selbst und der Ordensregel zuwendet. Deren Entwicklung von der frühen Rezeption in verschiedenen europäischen Ländern, über die normative Referenzierung in der Karolingerzeit bis zum Einfluss des Papsttums und des Kirchenrechts im Spätmittelalter zeichnet Dartmann dann im Folgenden nach. Dabei gelingt es ihm in präziser und stringenter Weise anhand von bio- und hagiographischen Quellen, der Ordensregel, den Consuetudines und den verschiedenen Reformtexten der Jahrhunderte eine Entwicklungsgeschichte jener Regel zu erzählen, die, wie er es treffend bezeichnet, "das normative Gerüst benediktinischen Mönchtums im Mittelalter" (12) bildete.

Den vielfältigen kulturellen, religiösen und politischen Dynamiken, die aus den Klöstern heraus entfaltet wurden, widmet sich Dartmann in den folgenden vier Kapiteln (143-257). Im Kapitel über "Gebet, Religiosität und Kunst im benediktinischen Mönchtum" (143-189) wird zum einen die religiöse Praxis innerhalb der benediktinischen Klostergemeinschaft - Stundenliturgie, Memoria, Heiligenverehrung, Bußpraxis - kritisch erläutert, theologie- und frömmigkeitshistorisch verortet und dabei auch interessante Facetten der Musik- und Gesangkultur benannt. Zum anderen wird anhand gut gewählter Abbildungen die Kunst im benediktinischen Mönchtum thematisiert. Wichtig dabei ist, dass besonders die Relation zur monastischen Liturgie und zum von Religiosität durchdrungenen Alltag stark gemacht wird, aus der künstlerische Erträge resultierten. Anhand von benediktinischer Architektur und Kirchenausstattung (unter anderem Altäre und Reliquiare) werden dem Leser Unterschiede zur allgemeinen Sakralbaukunst veranschaulicht und bestimmte Charakteristika herausgearbeitet (171-189).

Im vierten Kapitel zur Schriftkultur und Gelehrsamkeit im Kloster (190-211) werden skizzenhaft umfangreiche Komplexe der benediktinischen Geschichte behandelt, die jedoch aufgrund der klug gewählten Beispiele - St. Gallen, Reichenau, Hrabanus Maurus, Rupert von Deutz, Hildegard von Bingen et altera - verständlich dargestellt werden.

Dartmanns akademische Herkunft als Schüler von Hagen Keller wird besonders im fünften Kapitel deutlich, in dem das benediktinische Kloster im Beziehungsgeflecht zwischen weltlicher und kirchlicher Herrschaft sowie lokalem und globalem Einfluss analysiert wird (212-237). Interessant ist, dass dabei ein besonderes Augenmerk auf jenen Klöstern liegt, die im Gegensatz zu den meisten benediktinischen Klöstern nicht in der Abgeschiedenheit, sondern innerhalb der Stadtmauern gebaut wurden (Trier, Genua). Besonders an solchen Phänomenen und Reibungsstellen von geistlichem Ideal und weltlicher Realität kann Dartmann die Adaptions- und Aushandlungsprozesse im Laufe der Jahrhunderte gut veranschaulichen. Diese Spannung wird auch im sechsten Kapitel thematisiert, in dem das wirtschaftliche Handeln der Benediktiner im Früh-, Hoch- und Spätmittelalter anhand bestimmter Klöster behandelt wird (238-256).

Besondere Aufmerksamkeit verdient der Epilog (257-263), in dem Dartmann eine Alternative aufzeigt, wie die benediktinische Ordensgeschichte auch als eine "Geschichte der Macht" geschrieben werden könnte. Mit Rekurs auf die Regula Benedicti sei beispielsweise die Macht des Abtes facettenreich analysierbar: seine Macht über die Mitbrüder, seine Macht jenseits der Klostermauern, aber auch seine Macht über sich selbst hinsichtlich der asketischen Disziplinierung und sexuellen Enthaltsamkeit. Es bleibt zu wünschen, dass Dartmanns Verweis auf eine "Geschichte der Macht" im Benediktinerorden rezipiert wird, da dadurch - so die Überzeugung des Rezensenten - historische Entwicklungen und Prozesse, aber auch institutionelle und individuelle Akteursrollen in besonderer Weise transparent und neu zugänglich gemacht werden können.

Zwei kritische Anmerkungen: Gänzlich außen vor bleiben in der ansonsten umfassenden Darstellung sowohl die benediktinischen Frauenklöster als auch die Benediktiner in höheren kirchlichen Ämtern, was jüngst die von Andreas Sohn herausgegebene Studie "Benediktiner als Päpste" (Regensburg 2019) ausführlich thematisiert. Zudem wäre eine umfangreichere Bebilderung begrüßenswert, die das sprachlich so anschaulich Vermittelte an der ein oder anderen Stelle hätte visualisieren können.

Ungeachtet dieser subjektiven Notiz ist neben dem Personen- und Ortsregister (291-301) besonders die umfangreiche Bibliographie (269-290) zu erwähnen, die zu den einzelnen Haupt- und Unterkapiteln empfohlen wird. Dartmann führt dabei internationale Forschungsergebnisse aus den verschiedenen Disziplinen auf und dokumentiert auf diese Weise den Stand zur Erforschung des benediktinischen Mönchtums im genannten Zeitraum. Auch innerhalb der Studie wird ab und an die Forschungsgeschichte schemenhaft angerissen und thematisiert. Dabei fällt positiv auf, dass sich Dartmann zu bestimmten Forschungsdiskussionen in aller Klarheit positioniert, seine Ansichten darlegt und damit letztlich zeigt, dass mit dieser Studie ein eigenständiger Beitrag zur Benediktinerforschung geleistet wurde. Zudem ist würdigend anzumerken, dass Dartmann sich deutlich davon distanziert, das späte Mittelalter als das Zeitalter der Krise und des Verfalls zu deklarieren. Nicht zufällig verweist er auf die blühenden benediktinischen Klosterlandschaften und die Ausstrahlung und Strenge einiger Reformklöster des 14. und 15. Jahrhunderts.

Wer aufgrund des Umfangs und der Einleitung (besonders 8-9) erwartet, sich durch dieses Buch lediglich einen Überblick zur Bedeutung der Benediktiner und ihrer Klöster im europäischen Mittelalter verschaffen zu können, der wird eines Besseren belehrt: Christoph Dartmann legt ein umfassendes Werk über die Benediktiner und ihren Orden im eingeschränkten Zeitraum vor, das sowohl deren Entwicklung einschließlich den vielfältigen Bedingungen, Strukturen und Dynamiken als auch deren Wirkungen auf religiöse Lebens- und Ausdrucksformen, Politik und Gesellschaft aufzeigt. Dabei kann er deutlich zeigen, dass die Regula Benedicti gerade nicht ausdefinierte, was benediktinisches Mönchtum war, sondern lediglich ein "normatives Gerüst" darstellte, auf dessen Grundlage benediktinisches Leben in seinen pluralen Weisen ausgehandelt wurde. Für eine weitere Studie, die auf demselben wissenschaftlichen Niveau und mit derselben pluralen Adressatenorientierung die Geschichte der Benediktiner und auch der Benediktinerinnen vom Anfang der Frühen Neuzeit bis in unsere Gegenwart weiterschreibt, wurde von Christoph Dartmann ein gewichtiges Fundament errichtet.

Joachim Werz