Rezension über:

Joshua M. White: Piracy and Law in the Ottoman Mediterranean, Stanford, CA: Stanford University Press 2017, XVI + 355 S., eine s/w-Abb., ISBN 978-1-5036-0252-6, USD 65,00
Buch im KVK suchen

Rezension von:
Gül Şen
Bonn
Redaktionelle Betreuung:
Stephan Conermann
Empfohlene Zitierweise:
Gül Şen: Rezension von: Joshua M. White: Piracy and Law in the Ottoman Mediterranean, Stanford, CA: Stanford University Press 2017, in: sehepunkte 19 (2019), Nr. 1 [15.01.2019], URL: https://www.sehepunkte.de
/2019/01/32259.html


Bitte geben Sie beim Zitieren dieser Rezension die exakte URL und das Datum Ihres Besuchs dieser Online-Adresse an.

Joshua M. White: Piracy and Law in the Ottoman Mediterranean

Textgröße: A A A

Die Piraterie, und das damit verbundene Phänomen der Sklaverei im frühneuzeitlichen Mittelmeer sind in jüngster Vergangenheit zunehmen in den Blickpunkt der Forschung gerückt; wobei besonders betont worden ist, dass es sich beim Piratenwesen keineswegs um eine Art 'heiligen Krieg' zwischen zwei religiösen Lagern gehandelt habe. [1] Es ist zwar inzwischen eine Grundannahme, dass die maritime Konfliktgeschichte zwischen dem Osmanischen Reich und den christlichen Mächten, die ihre Höhepunkt in der Seeschlacht von Lepanto im Jahr 1571 fand, den Hintergrund dieser Phänomene darstellte, und dass die Kriegführung durch den Korsaren und Piraten im Laufe der Zeit die Gefechte zwischen den großen Flotten ablöste. Die entsprechenden Einsichten verdanken wir besonders den zahlreichen Studien des Doyens dieser Forschung, Salvatore Bono, der in seinen Arbeiten nachdrücklich auf die mannigfachen Facetten des Phänomens verwiesen hat. [2]

Zu diesem mittlerweile recht gründlich bearbeiteten Forschungsfeld liegt mit der hier zu besprechenden Arbeit ein weiterer Beitrag vor, der unter Heranziehung umfangreichen osmanischen Quellenmaterials den Schwerpunkt auf den juristischen Aspekt dieses Themas legt. Joshua M. White, der schon eine Reihe von einschlägigen Artikeln zum Verhältnis Thema von Piraterie und Recht veröffentlicht hat und zur Zeit an der Virginia University lehrt, legt in der vorliegenden Studie die rechtliche Auswirkungen der Piraterie auf den östlichen Mittelmeerraum in der Frühen Neuzeit dar.

White hat seine Monographie, offenbar die überarbeitete Fassung seiner Doktorarbeit, in drei gleichlange Teile strukturiert, die jeweils in zwei Unterkapitel eingeteilt sind, wobei jedes Kapitel mit einem Zwischenfazit abgeschlossen wird. Durch diesen klaren Aufbau wird sein Buch zu einer zugänglichen und angenehmen Lektüre. Allerdings überrascht er seine Leser zu Beginn mit einem Zitat Muammer Qaddafis aus dem Jahr 2011, in dem dieser sich über den Zusammenhang von Piraterie und Heiligem Krieg auslässt, um dann unvermittelt den Bogen zur Frühen Neuzeit zu spannen. In der Einleitung (1-19) verweist White dann nachdrücklich auf die Bemühungen der osmanischen Seite um die Bekämpfung der "illegalen Piraterie": "A significant proportion of the Ottomans' diplomatic correspondence and internal decrees centered on combating piracy and effecting the release of the illegally enslaved, both foreign and Ottoman." (15)

Der erste Teil, "Chaos and Captives" (23-102), widmet sich, vor allem auf der Grundlage der bekannten Mevāidüʾn-nefāis fi kavāidiʾl-mecālis [3] des Geschichtsschreibers Muṣṭafā ʿĀlī, den Verbindungen zwischen der im lokalen und im überregionalen Rahmen betriebenen Piraterie. Anhand herrschaftlicher Erlasse erforscht er die vielfältigen Dimensionen des Themas, etwa der aktiven Unterstützung von Piratenbanden durch die örtlichen sancāḳ begs (Bezirksgouverneure), die dadurch während ihrer kurzen Amtszeiten ein zusätzliches Einkommen einzustreichen versuchten. Das Ausmaß dieser Kollaboration demonstriert er anschaulich am Beispiel von Maḥmūd Beg, dem sancāḳ begi of Karlieli. Aufschlussreicher ist hingegen seine Diskussion der wichtigen osmanischen Verwaltungstermini wie etwa levend (Freibeuter) und korsan (Pirat) in den Staatsregistern. Entgegen der verbreiteten Vorstellungen war der semantische Unterschied zwischen Korsarentum und Piraterie im 17. Jahrhundert keineswegs so eindeutig, wie in den Registern dargestellt. Die entsprechenden Unterschiede waren vielmehr in vielen Fällen nur hauchdünn, und dementsprechend groß die Schwierigkeit, zwischen kriminellen und staatlich sanktionierten Operationen, und zwischen Piraten und ehrbaren Geschäftsleuten zu unterscheiden. Diese Ausführungen werden im folgenden Kapitel dieses Teils anhand der wahren Geschichte des sogenannten "Kadi von Malta", Muṣṭafā Mācuncuzāde, und dessen Bemühungen, sich aus der Gefangenschaft bei christlichen Korsaren freizukaufen, näher ausgeführt. Whites Schilderung bildet dabei eine wertvolle Ergänzung zu den vorliegenden Studien zum mediterranen Gefangenenfreikauf von Nicole Priesching und Rinaldo Marmara. [4]

Der zweite Teil "Piracy, Diplomacy, and International Law" (103-82) stellt die Frage nach den Auswirkungen und Bedeutung der Abkommen zur Piratenbekämpfung (den sogenannten ahdnāmes) zwischen dem Osmanischen Reich und der Republik Venedig (und später auch mit anderen europäischen Staaten) für die Entwicklung der maritimen Beziehungen, wobei die Intention und Zielsetzung dieser Abkommen bereits von Maria Pia Pedani herausgestellt worden sind, [5] wie etwa die Stellung der nordafrikanischen Korsaren im maritimen Netzwerk des Mittelmeers, die Auswirkungen ihrer Operationen auf andere Staaten und Regionen, und die entsprechenden Reaktionen europäischer Mächte. Während etwa das Verhältnis zwischen Venedig und den Malteserrittern in Friedenszeiten eher angespannt war, wurden letzte im Kriegsfall von der Republik als Verbündete begrüßt, was wiederum bei der Pforte den Eindruck erweckte, dass beide grundsätzlich Verbündete seien. Im Gegenzug ließ das Zeitweilige gute Einvernehmen zwischen den Barbareskenstaaten und Osmanen in Europa denselben Verdacht aufkommen.

Nachdem White im zweiten Teil der Frage nachgegangen ist, wie die osmanischen Behörden in Fällen handelte, in denen osmanische Untertanen illegal Osmanen gefangen genommen hatten, analysiert er im dritten, dem "Ottoman Mediterranean, Abode of Law" gewidmeten Teil (183-264) den Umgang des Osmanischen Reiches mit dem sich ändernden Charakter de Piraterie im Mittelmeerraum und den Bemühungen, dieser mittels der religiösen Rechtsprechung Herr zu werden. Vermittels der Analyse der einschlägigen Fetwasammlungen zeigt er dabei auf, wie zeitgenössische osmanische Juristen das Problem wahrnahmen und, und, noch aufschlussreicher, welche Lösungsstrategien sie entwickelten. Fallbeispiele in den Sammlungen informieren uns nicht zuletzt darüber, in welchen Formen Piraterie praktiziert wurde und wie sich Kaperfahrten und Loskäufe im Einzelnen gestalteten. Wenn auch geistliche Richter nicht immer in der Lage waren, in solchen Fällen ein eindeutiges Urteil zu fällen, zeigt ihre Tätigkeit dennoch das Bemühen um eine Verrechtlichung zwischenstaatlicher Beziehungen im Mittelmeerraum, in dem auch die religiöse Jurisprudenz zum Instrument der interreligiösen Konfliktbewältigung wurde. Deutlich wird hierbei, dass es sich bei den mediterranen Seekriegen weniger um Glaubenskriege, sondern zunehmend um Auseinandersetzungen zwischen zwei Rechtsparteien handelte. Gerade aufgrund dieser Einsichten kann dieser dritte Teil als das Kernstück von Whites Arbeit gelten.

Neben den gewonnenen Erkenntnissen liegt der Wert von Whites Studie nicht zuletzt in der umfassenden Auswertung der osmanischen Primärquellen, zu denen neben den bereits publizierten mühimme-Registern aus dem 16. und frühen 17. Jahrhundert besonders die noch nicht edierten Mühimmes und weitere Register zählen. Ferner sind beinahe alle bekannten narrativen osmanischen Quellen zum Thema herangezogen worden.

Insgesamt liegt hier eine nicht nur spannend zu lesende, sondern auch vorzüglich recherchierte Studie vor, die die Forschung zur mediterranen Seekriegsführung und Piraterie eindrucksvoll durch einen Einblick in deren juristische und theologische Dimensionen erweitert. Einmal mehr macht uns White dabei auf die vielen Facetten des Themas aufmerksam.


Anmerkungen:

[1] Gelungene Überblicksdarstellungen bieten Nicole Priesching: Von Menschenfängern und Menschenfischern Sklaverei und Loskauf im Kirchenstaat des 16.-18. Jahrhunderts, Hildesheim et. Al 2012 sowie Emrah Safa Gürkan: "Batι Akdenizʾde Osmanlι Korsanlιğι," Kebikeç 33 (2012): 173-204. Siehe dazu auch Stefan Hanß: Lepanto als Ereignis. Dezentrierende Geschichte(n) der Seeschlacht von Lepanto (1571). Göttingen 2017.

[2] Vgl. besonders sein Standardwerk zum Thema Piraten und Korsaren im Mittelmeer Seekrieg, Handel und Sklaverei vom 16. bis 19. Jahrhundert, Stuttgart 2009, sowie als jüngsten monographischen Beitrag: Ders., Schiavi. Una storia mediterranea (XVI-XIX secolo), Bologna 2016.

[3] Eine Übersetzung dieses Werkes ins Englische ist: D.S. Brookes (tr.): The Ottoman Gentleman of the Sixteenth Century: Mustafa Âliʾs Mevâʾidüʾn-nefâʾis fî kavâʾidiʾl-mecâlis, "Tables of Delicacies Concerning the Rules of Social Gatherings", Harvard 2003.

[4] Siehe Prieschings zuvor erwähnte Studie sowie Rinaldo Marmara: Istanbul Deniz Zindanι 1740. Istanbul 2005.

[5] Maria Pia Pedani: The Ottoman-Venetian Border (15th-18th centuries), Venezia 2017.

Gül Şen