Rezension über:

Erhard Grzybek: Thronanspruch und Thronbehauptung. Studien zur Regierungszeit Ptolemaios' VIII., Wiesbaden: Reichert Verlag 2017, 176 S., 4 s/w-Abb., ISBN 978-3-95490-263-7, EUR 98,00
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Rezension von:
Stefan Pfeiffer
Martin-Luther-Universität, Halle-Wittenberg
Redaktionelle Betreuung:
Matthias Haake
Empfohlene Zitierweise:
Stefan Pfeiffer: Rezension von: Erhard Grzybek: Thronanspruch und Thronbehauptung. Studien zur Regierungszeit Ptolemaios' VIII., Wiesbaden: Reichert Verlag 2017, in: sehepunkte 18 (2018), Nr. 7/8 [15.07.2018], URL: https://www.sehepunkte.de
/2018/07/31822.html


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Erhard Grzybek: Thronanspruch und Thronbehauptung

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Die postum erschienene Monographie Grzybeks bietet sechs voneinander unabhängige Studien zur Herrschaft des achten Ptolemäers. Dezidiert geht es dem Verfasser um die Ereignisgeschichte, das was "in Wirklichkeit geschehen" ist (27). Häufig kommt er zu neuen eigenen Interpretationen, die ich selbst nicht teilen möchte, oder aber er stellt heraus, dass die neuere Forschung falsch liege und älteren Ansichten zu folgen sei, was ebenfalls häufig nicht überzeugt.

Der größte Teil des Buches - die erste Studie - beschäftigt sich mit dem Testament Ptolemaios' VIII. (jetzt IGCyr011200 = TM 5988). Ausführlich fasst Gryzbek die Erklärungen und Interpretationen des Testaments aus den 30er Jahren des letzten Jahrhunderts zusammen (die, das sei gesagt, in der Tat immer noch aktuell und maßgeblich sind). Daran anschließend liefert er selbst eine ebenso detaillierte Analyse aller Aspekte der Inschrift. Unstrittig ist heute, dass es sich bei der Inschrift nicht um eine wörtliche Widergabe des Testamenttextes handelt, sondern um Auszüge. Die unlängst von Criscuolo mit guten Gründen (erneut) aufgebrachte These, dass das Testament eine Fälschung Roms aus dem 1. Jh. v. Chr. sei, um die römische Annexion der Kyrenaika zu legitimieren [1], tut Grzybek in einer Fußnote damit ab, dass dies schon seit den 30er Jahren widerlegt sei (Anm. 26, S. 42; dafür aber um so deutlicher auf S. 164), ohne dass er aber auf die konkreten und meines Erachtens sehr bedenkenswerten Argumente Criscuolos eingeht. Entscheidend ist etwa ihre Feststellung, dass sich Ptolemaios in seinem Testament sicherlich nicht als "der Jüngere" bezeichnet hätte, wie es aber in der Inschrift geschieht. Dass dies ein Notar im Angesicht des Königs gemacht habe, wie Gryzbek meint (47), scheint mir völlig unvorstellbar, vor allem wenn man gleichzeitig berücksichtigt, dass es sich nach ihm selbst um eine "politische Erklärung (Ptolemaios' VIII.) mit letztwilliger Verfügung" handelt (57). Auch das paläographische Argument Criscuolos hätte der genaueren Untersuchung bedurft, findet sich doch auch in der Neuedition zu ihrer These die Angabe: "The lettering is not contrary to that hypothesis" (https://igcyr.unibo.it/igcyr011200).

Auf Basis der unterschiedlichen Zählung der Regierungsjahre nach ägyptischem und makedonischem Kalender kommt Grzybek des Weiteren zu dem Schluss, dass das Testament nicht auf das Jahr 155, sondern 154 datieren müsse, wobei er sich vehement gegen einen Herrschaftsbeginn Ptolemaios' VIII. schon 170 v. Chr. ausspricht. [2]

Im Testament geht es letztlich um die Beziehungen zwischen Ptolemaios VIII. und Rom. Aus diesem Grund bietet Grzybek einen ausführlichen Bericht über die römisch-ptolemäischen Verbindungen von Ptolemaios II. bis zu Ptolemaios VIII. Er möchte einen auf Samothrake abgeschlossenen Bündnisvertrag (foedus) zwischen Rom und Ptolemaios VI. für 169 v. Chr. wahrscheinlich machen, auf den dann Ptolemaios VIII. in seinem Testament Bezug genommen habe.

Schlussendlich vergleicht Gryzbek das vorliegende erste hellenistische Königstestament mit den übrigen überlieferten Herrschertestamenten zugunsten Roms. Der "wahre Grund" für diese Verfügungen sei, dass die Könige jeweils ihre Machtstellung gegen gleichwertige Thronprätendenten verteidigen wollten. Ein "wahrer Grund", der möglicherweise gar nicht so wahr ist: Anders nämlich als das Testament des Ptolemaios war z. B. das Testament Attalos' III. nicht einmal öffentlich bekannt, konnte also von ihm nicht politisch genutzt worden sein. Auch über die Motivation der übrigen königlichen Testatoren lässt sich nur spekulieren. Das Testament des achten Ptolemäers bleibt deshalb, wenn es wirklich authentisch sein sollte, eine Besonderheit, da es sich um einen öffentlichen Text handelt, der lange vor dem Tod des Königs mit einer spezifischen politischen Motivation publiziert wurde.

Die daran anschließenden fünf kurzen Studien beginnen mit dem Thronwechsel von Ptolemaios VI. auf Ptolemaios VIII. im Jahr 145 v. Chr. Gryzbek analysiert die literarische Überlieferung, liest meines Erachtens aber teils mehr in sie hinein, als eigentlich zulässig ist. Dezidiert spricht er sich gegen die inzwischen zur communis opinio gewordene Ansicht aus, dass es keine alleinige Herrschaft eines siebten Ptolemäers, eines Sohnes Ptolemaios' VI. gegeben habe, sondern beharrt auf der älteren Ansicht, dass ein siebter Ptolemaios zwar kurz, aber doch legitim von der alexandrinischen Hofelite zum König gemacht worden sei. Ein wichtiges Argument hierfür sei, dass es nach dem Tod des sechsten Ptolemäers Doppeldatierungen nach dem "Jahr 36, das das Jahr 1 ist" gegeben habe. Diese Doppeldatierung erkläre sich daraus, dass Kleopatra II. die Regierungsjahre ihres Mannes als Regentin weiterzählte und ihr Sohn parallel dazu mit seinem 1. Jahr begonnen habe. Das ist jedoch nur eine mögliche Interpretation der Doppeldatierung. Gegen sie spricht etwa, dass Kleopatra II. damit anders gehandelt hätte als ihre Mutter Kleopatra I., die ausschließlich die Herrschaftsjahre ihres Sohnes, des neuen Königs in den unter ihrer faktischen Alleinherrschaft veröffentlichten Urkunden anführte, ohne die Jahre ihres verstorbenen Gemahls weiterzuzählen. Genau das wäre folglich auch bei der Tochter zu erwarten gewesen. Zudem begann Kleopatra II., als sie dann tatsächlich 132 v. Chr. die Alleinherrschaft antrat, mit einer eigenen neuen Jahreszählung, statt die Regierungsjahre mit ihrem Bruder weiterzuzählen.

So halte ich die bisherige Lösung für plausibler, das Jahr 1 auf eine kurze Koregentschaft von Ptolemaios VI. gemeinsam mit seinem Sohn Ptolemaios (VII.) zu beziehen, der aber nie alleine die Herrschaft übernehmen konnte. Möglich wäre es ebenfalls, dass mit dem Jahr 1 die kurze syrische Herrschaft Ptolemaios' VI. gemeint ist. Auch Grzybeks Interpretation der Doppeldatierung Kleopatras VII. - seit dem Jahr 37/36 v. Chr. findet sich die Angabe "Jahr 30, das auch Jahr 1 ist" - als einer in diesem Jahr beginnenden Koregentschaft der Königin mit Ptolemaios-Kaisar muss so nicht stimmen. Bezüglich dieser Datierungsformeln möchte ich vielmehr bei der Deutung als einer Ausweitung der Herrschaft Kleopatras über die ihr von Marc Anton zugewiesenen außerägyptischen Besitzungen bleiben. [3]

Die zweite Studie beschäftigt sich mit der schwer nachvollziehbaren, teils auch fehlerhaften Interpretation von zwei Tempelreliefs mit zugehörigen Inschriften in Edfu und der Zuweisung der dargestellten Mitglieder des Königshauses.

Nicht überzeugend geraten ist die dritte Studie, in der Grzybek an der Identifikation des in UPZ II 199 erwähnten Götterfeindes Harsiese mit einem Rebellenkönig gegen die Ptolemäer festhält und zwar gegen gut begründete Ansichten der neueren Forschung, die davon ausgeht, dass betreffender Harsiese in dem genannten Schreiben als Götterfeind bezeichnet wird, weil er sich am Vermögen des Gottes Amun von Theben vergangen hatte. Nur in einer Fußnote (129, Anm. 289) geht Grzybek auf die Problematik ein und verwirft die Ansicht von Veïsse und Quack [4], die beide jedoch meines Erachtens genau das Richtige treffen. Für Grzybek ist hingegen ein Gegenkönigtum des Harsiese auch deshalb wichtig, weil er im anschließenden vierten Kapitel das Töpferorakel auf die Zeit Ptolemaios' VIII. datieren möchte, in dem von einem Herrscher von 2 Jahren, der Harsiese sein müsse, die Rede ist.

Die Zielrichtung des wohl ptolemäerzeitlichen ägyptischen Orakels des Töpfers ist in der Forschung umstritten (antigriechisch, antialexandrinisch, antiptolemäisch, allgemeines Unwohlsein mit den Verhältnissen, kultureller oder politischer Widerstand?). Gryzbek bietet nun eine vollkommen neue Interpretation: Es sei eine "Propagandaschrift für die Partei des 8. Ptolemäers" (148) gegen Kleopatra II. und den Gegenkönig Harsiese, denn Ptolemaios sei der Heilsherrscher, der die 55 in der Prophetie angekündigten Jahre regierte. Allein deshalb aber den angekündigten Heilsherrscher mit Ptolemaios VIII. zu identifizieren, weil er fast so lange regiert hat (54 Jahre, die er noch nicht einmal durchgehend in Ägypten oder alleine herrschte), halte ich für nicht tragfähig, zumal das bedeutet, dass der Heilsherrscher es nicht einmal geschafft hat, die 55 Jahre durchzuhalten. Des Weiteren müsste erklärt werden, weshalb Alexandria, die Symbolstadt des Bösen schlechthin, der der Untergang geweissagt wird, immer noch Metropole war und nicht, wie in der Prophetie angekündigt Memphis.

Im letzten Kapitel interpretiert Grzybek die hieroglyphische Bauinschrift von Edfu, die nach ihm, anders als in der neueren Forschung vermutet, keinen Hinweis auf das genaue Todesdatum Ptolemaios' VIII. geben könne. Seine Interpretation ist durchaus möglich, bedürfte aber, um als gesichert zu gelten, einer genauen grammatikalischen Analyse der Gesamtinschrift.

Der Verfasser legt mehrere Studien vor, die auf allen verfügbaren Quellen in griechischer, ägyptischer und lateinischer Sprache aufbauen und fast alle einschlägigen, auch viele neue Arbeiten berücksichtigen. Da die Quellen und Probleme in der Forschung gut bekannt und diskutiert sind, handelt es sich bei den Ergebnissen jeweils um Interpretationen, die man teilen, die man aber genauso, wie dargelegt, bei anderer Gewichtung der Beleglage ablehnen kann. In den meisten Fällen überzeugen mich persönlich die Interpretationen der neueren Forschung mehr als die von Grzybek erneut als eigentlich gültig herausgestellten älteren Bewertungen: Das gilt für das Testament Ptolemaios' VIII., die angebliche Alleinherrschaft des siebten Ptolemäers ebenso wie für das scheinbare Gegenkönigtum des Harsiese. In keiner Weise kann ich zudem seine Neuinterpretation des Töpferorakeles teilen.


Anmerkungen:

[1] L. Criscuolo: I due testamenti di Tolomeo VIII Evergete II, in: A. Jördens / J. F. Quack (Hgg.): Ägypten zwischen innerem Zwist und äußerem Druck. Die Zeit Ptolemaios' VI. bis VIII. Internationales Symposion Heidelberg 16.-19. 9. 2007, Wiesbaden 2011, 123-150.

[2] So aber mehr als deutlich P.Rylands IV 583, ebenso auch P.dem. BM 10591 mit den Lesungen von G. Baetens / M. Depauw: The Legal Advice of Totoes in the Siut Archive (P. BM 10591, Verso, Col. I-III), in: JEA 101, 2015, 91.

[3] P.dem. Cairo 31232 von 37/6 v. Chr., der allein nach Kleopatra datiert, aber Ptolemaios Kaisar ebenfalls in der entsprechenden Formel nennt, belegt lediglich dessen Koregentschaft, die aber wohl bereits 44 v. Chr., also nach dem Tod des 14. Ptolemäers einsetzt haben dürfte.

[4] P.dem. Heid. 10 = P.Karara I und P.dem. Heid. 11 = P. Karara II sind, wenn man der aus demotistischer Perspektive kaum zu hinterfragenden Datierung von J. F. Quack: Ist der Meder an allem schuld? Zur Frage des realhistorischen Hintergrundes der gräkoägyptischen prophetischen Literatur, in: A. Jördens / J. F. Quack (Hgg.): Ägypten zwischen innerem Zwist und äußerem Druck. Die Zeit Ptolemaios' VI. bis VIII. Internationales Symposion Heidelberg 16.-19. 9. 2007, Wiesbaden 2011, 123f., glauben darf, aus dem 4. Jh. v. Chr., können sich mithin nicht auf das 2. Jh. v. Chr. beziehen.

Stefan Pfeiffer