Rezension über:

Marlene Heidel: Bilder außer Plan. Kunst aus der DDR und das kollektive Gedächtnis, Berlin: Lukas Verlag 2015, 271 S., 43 Farbabb., ISBN 978-3-86732-218-8, EUR 30,00
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Rezension von:
Angelika Weißbach
Kunstarchiv Beeskow
Redaktionelle Betreuung:
Oliver Sukrow
Empfohlene Zitierweise:
Angelika Weißbach: Rezension von: Marlene Heidel: Bilder außer Plan. Kunst aus der DDR und das kollektive Gedächtnis, Berlin: Lukas Verlag 2015, in: sehepunkte 17 (2017), Nr. 12 [15.12.2017], URL: https://www.sehepunkte.de
/2017/12/29929.html


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Marlene Heidel: Bilder außer Plan

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Die Publikation Bilder außer Plan von Marlene Heidel ist zugleich ihre Dissertation an der Leuphana Universität Lüneburg an der Fakultät für Kulturwissenschaften. Im Zentrum der Arbeit steht das Kunstarchiv Beeskow in Brandenburg, wo seit Anfang der 1990er-Jahre Kunstwerke aufbewahrt werden, die aus dem öffentlichem Besitz der ehemaligen DDR, speziell aus den Bundesländern Berlin, Brandenburg und Mecklenburg-Vorpommern stammen. Heidel hat im Rahmen des BMBF-Forschungsprojektes BILDATLAS-Kunst in der DDR als wissenschaftliche Mitarbeiterin im Kunstarchiv Beeskow gearbeitet und dabei einen tiefen Einblick in die Geschichte und Gegenwart des Archivs bekommen. [1]

Ihr Dissertationsprojekt bezeichnet Heidel als eine Reise, die vom Kunstarchiv Beeskow - einem Ort, an dem der Umgang mit Kunst aus der DDR besonders deutlich hervortrete - ausgeht und zum Ziel hat, der "vernachlässigten, gar verdrängten ästhetischen Funktion von Kunst aus der DDR Aufmerksamkeit zukommen zu lassen" (9). Ihre Methode beschreibt sie als "kulturwissenschaftliche Denk- und Wahrnehmungsraumschaffung, die mittels kunst- und bildwissenschaftlicher, kulturtheoretischer und kultursoziologischer Ansätze die Aufmerksamkeit gegenüber der ästhetischen Funktion der Werke in den Diskurs setzt" (10).

Die Arbeit gliedert sich in sechs Kapitel. Die ersten beiden sind dem Kunstarchiv Beeskow gewidmet, darauf folgen ein Kapitel zum Stand der Forschung zur Kunst aus der DDR und zwei Kapitel zum kulturwissenschaftlichen An- und Einsatz. Im letzten Kapitel findet eine Analyse der ästhetischen Funktion von vier Gemälden aus dem Beeskower Bestand Raum.

Für die Art und Weise, wie Kunstwerke im Kunstarchiv Beeskow aufbewahrt bzw. abgestellt werden, prägt die Autorin den Begriff "Bilderstau". Anders als die Kombinationen Bildersturm oder Bilderstreit, die aus dem kunstwissenschaftlichen Diskurs bekannt sind, ist der Bilderstau darin noch kein gängiger Begriff. Heidel greift auf die Psychoanalyse und die Kulturanthropologie zurück, um den Begriff einzuführen. Außerdem betrachtet sie die angestauten Werke in Anlehnung an Jurij Lotman und Boris Uspenskij, beide Vertreter der russischen Semiotik, als Teil des kollektiven Gedächtnisses. Diese Herangehensweise ermöglicht es ihr, das Kunstarchiv Beeskow nicht allein als "Dokument einer DDR-Vergangenheit" sondern auch hinsichtlich einer "Gegenwartskonstruktion von Kultur" zu betrachten (30). Heidel sieht zudem Parallelen zwischen dem von Martin Sabrow analysierten "wortlosen Verschwinden der DDR-Architektur" (34) in der Potsdamer Innenstadt und der Verdrängung von Kunst aus der DDR nach Beeskow. [2]

Einen Schwerpunkt legt die Autorin auf die ausführliche und detaillierte Beschreibung von Genese und Korpus des Kunstarchivs. Sie geht auf alle Etappen der bisherigen Geschichte ein, vom Eintreffen der ersten Kunstwerke auf der Burg Beeskow über die verschiedenen Archivierungsstrategien bis zu den (bis heute unrealisierten) Neubauplänen für ein Archivgebäude.

Dabei würdigt sie die Arbeit und das Engagement von Herbert Schirmer, der Anfang der 1990er-Jahre die verschiedenen Kunstbestände nicht nur in Beeskow zusammenführte, sondern mit Mitteln vom Bund und vom Landkreis in ein Kultur- und Bildungszentrum integrierte. [3] Er begründete zudem eine Kunstsammlung des Landkreises, rief ein Burgschreiber-Stipendium ins Leben und veranstaltete die Reihe "Talk zu zweit". Schirmers Ziel war, mit Kunst und Kultur "die Zukunft der Ostdeutschen im Alltag der Bundesrepublik kritisch zu begleiten, Kulturarbeit als Sozialarbeit zu praktizieren und einen geistigen Ort für unterschiedliche Kommunikation, für Erinnerung und Vorausschau zu schaffen." (51)

Mit der Gründung des Sammlungs- und Dokumentationszentrums Kunst der DDR 1995 in Beeskow begannen dann Konservierung und Dokumentation des Kunstbestandes. Heidel schildert dessen Zusammensetzung hinsichtlich der Provenienz und zeichnet die Archivgenese nach. Ferner thematisiert sie die dünne Personalstruktur und die häufigen Veränderungen, die vor allem durch unsichere Finanzierungsmodelle bedingt waren. Mit eindringlichen Worten verweist sie wiederholt darauf, dass eine permanente wissenschaftliche Betreuung des Bestandes unabdingbar sei, diese aber immer nur projektbezogen stattgefunden hat (111).

Das Kapitel zum Stand der Forschung zur Kunst aus der DDR ist besonders dann interessant, wenn der direkte Bezug zum Kunstarchiv Beeskow gegeben ist. Da es bereits Übersichtsdarstellungen der relevanten Ausstellungen gibt, wie in der Publikation "Bilderstreit und Gesellschaftsumbruch" von 2013, kann Heidel diese hier nur skizzieren. [4]

Den Abschluss der Publikation bildet die "Begegnung" der Autorin mit vier Gemälden aus dem Kunstarchiv Beeskow: Junge Frau von Christine Braun, Im Turm von Roland Borchers, Sitzender von Hans Aichinger und Die Kreuzung von Neo Rauch. Die Werke sind in den Jahren 1984-86 im Rahmen der bildkünstlerischen Ausgestaltung der FDJ-Jugendhochschule in Bogensee entstanden. Heidel geht der gesellschaftlichen und politischen Funktion dieser Werke sowie den Biografien der damals jungen Künstler nach und bietet eine Interpretation über die ästhetische Funktion der Bilder an, um "Kunstgeschichte als Individualgeschichte zu praktizieren" (238).

Die besondere Stärke des Buches liegt in der genauen Dokumentation und umfassenden Darstellung der bisherigen Geschichte des Kunstarchivs Beeskow sowie des dazugehörigen wissenschaftlichen und öffentlichen Diskurses. Interessant und aufschlussreich sind in diesem Zusammenhang vor allem die angebotenen kulturwissenschaftlichen Zugänge und Analysen. Das von der Autorin selbst formulierte Ziel, den konkreten Kunstwerken mehr Aufmerksamkeit zukommen zu lassen, scheint am Ende zugunsten anregender kulturtheoretischer Ansätze etwas aus dem Blick geraten zu sein.


Anmerkungen:

[1] Vgl. https://www.bildatlas-ddr-kunst.de/, abgerufen am 29.11.2017.

[2] Martin Sabrow: Verschwindende Brüche, in: Potsdamer Neueste Nachrichten, 19.01.2012.

[3] Herbert Schirmer: Das Beeskower Kunstarchiv, in: Schlaglichter. Sammlungsgeschichte(n), Katalog, Cottbus 2017, 231-236.

[4] Karl-Siegbert Rehberg / Paul Kaiser (Hgg.): Bilderstreit und Gesellschaftsumbruch. Die Debatte um die Kunst der DDR im Prozess der deutschen Wiedervereinigung, Berlin 2013.

Angelika Weißbach