Rezension über:

Paul Kaiser / Mathias Lindner / Holger Peter Saupe (Hgg.): Schicht im Schacht. Die Kunstsammlung der Wismut. Eine Bestandsaufnahme, Chemnitz: Neue Chemnitzer Kunsthütte 2013, 223 S., ISBN 978-3-937176-26-0, EUR 19,90
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Rezension von:
Oliver Sukrow
München / Heidelberg
Redaktionelle Betreuung:
Olaf Peters
Empfohlene Zitierweise:
Oliver Sukrow: Rezension von: Paul Kaiser / Mathias Lindner / Holger Peter Saupe (Hgg.): Schicht im Schacht. Die Kunstsammlung der Wismut. Eine Bestandsaufnahme, Chemnitz: Neue Chemnitzer Kunsthütte 2013, in: sehepunkte 14 (2014), Nr. 6 [15.06.2014], URL: https://www.sehepunkte.de
/2014/06/24979.html


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Paul Kaiser / Mathias Lindner / Holger Peter Saupe (Hgg.): Schicht im Schacht

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Dass neben der Unternehmensgeschichte und der wirtschaftlichen Bedeutung nun auch die bildenden Künste im Umkreis der ehemaligen Sowjetisch-Deutschen Aktiengesellschaft (SDAG) Wismut verstärkt in den Blick der Forschung geraten, demonstriert das in jüngster Zeit zunehmende Interesse an der Analyse des "Wechselspiels verschiedener Kräfte politischer, wirtschaftlicher, sozialer und künstlerischer Art", welches im Rahmen der allgemeinen Kulturgeschichte des Bergbaus seinen besonderen Niederschlag "in den Zeugnissen der bildenden Kunst mit bergmännischen Thema" [1] fand. Seit längerer Zeit ist diese Erkenntnis in der Forschung präsent, doch wird beim hier zu besprechenden Band erstmalig der Versuch unternommen, jenes "Wechselspiel verschiedener Kräfte" am Fallbeispiel der Wismut-Kunstsammlung aufzuzeigen. Zwar hatte man bereits vor einigen Jahren im Bergbau "eine Grundlage der obersächsischen Kultur" erkannt [2], doch endete die 1989 von den Staatlichen Kunstsammlungen Dresden konzipierte Ausstellung "Bergbau und Kunst in Sachsen" inhaltlich mit der Reform des sächsischen Bergbaus im Jahr 1868. Das dadurch entstandene Desiderat zur Kunst- und Kulturgeschichte des sächsischen Bergbaus im 20. Jahrhundert - und darüber hinaus - füllt nun teilweise der Katalog zur Kunstsammlung der Wismut mit dem griffigen Titel "Schicht im Schacht", der als Begleitband zu einer in Chemnitz und Gera gezeigten Ausstellung erschienen ist. Der Katalog trifft tatsächlich, um Harald Marx' Credo zur Dresdner Ausstellung von 1989 in Erinnerung zu rufen, "mitten in die Kultur Sachsens". [3]

Mit über 4.000 Werken der Malerei, Grafik, Plastik und Fotografie gehörte die Kunstsammlung der SDAG Wismut, seit 1991 umgewandelt in eine GmbH mit Sitz in Chemnitz, zu den größten betrieblichen Sammlungen in der DDR. Es ist also eine beeindruckende Stückzahl, auf welche die Herausgeber des vorliegenden Kataloges - Paul Kaiser, Michael Lindner und Holger Saupe - hinweisen und welche die Wismut zwischen 1955 und 1990 erwarb, sammelte, tauschte und beauftragte. Über die heutige museale Präsentation und den öffentlichen Umgang mit der Sammlung tobte jüngst ein Streit im (sächsischen) Feuilleton, es war gar die Rede von einer "Wismut-Unkunst", welche Chemnitz als "Stadt der Moderne" besudele. [4] Insofern ist "Schicht im Schacht" auch als ein Ansatz zur Versachlichung der erhitzten öffentlichen Debatte zu begreifen - ein Anspruch, den die Herausgeber im Vorwort explizit unterstreichen (6).

Das Projekt reiht sich ein in eine Abfolge von Ausstellungen, die nach der Umwandlung der Wismut zu verschiedenen Themen gezeigt worden sind. [5] Neu sind in diesem Band nicht so sehr die in den Artikeln abgehandelten Inhalte - dazu liegen bereits Arbeiten vor - sondern vor allem der Versuch einer Einordnung der Wismut-Debatten in den Horizont des "deutsch-deutschen Bilderstreits" und, das sollte hier lobend erwähnt werden, die ansehnliche Aufmachung des Katalogs mit einem umfangreichen Bildteil (80-211) und einem informativen Anhang mit Werk- und Künstlerdaten (212-222).

Über die Merkmale der Wismut-Kulturpolitik, die Genese und die Spezifika der Sammlung sowie über herausragende Werke unterrichten die fünf Textbeiträge von erfahrenen und mit der Materie vertrauten Autorinnen und Autoren. Gewohnt souverän und überzeugend sind die Ausführungen von Paul Kaiser zur Wismut-Kunstsammlung als "Sonderfall im 'gesellschaftlichen Auftragwesen' der DDR" (24-41) und von Eckhart Gillen zu Bernhard Heisigs Gemälde "Die Geraer Arbeiter am 15. März 1920" (1960/84), einem ab 1958 im Auftrag der Wismut entstanden Historiengemälde (60-67). Lutz Fichtners einleitender Aufsatz über "Die Kunstpolitik der SDAG Wismut zwischen 'Bitterfelder Weg' und Perestroika" (8-23) - er will die "wesentlichen kunst- und kulturpolitischen innerbetrieblichen Prozesse" (8) der Wismut als Kunstmäzen aufzeigen - basiert im Kern auf seiner bereits erschienenen (und auch an dieser Stelle rezensierten) Dissertationsschrift. [6] Wichtige statistische Daten zur Sammlung liefert der Aufsatz von Anette Müller-Speitz zum Kunstbestand der Wismut vor und nach 1989 (42-59), der zudem einen Rückblick auf die Nachwendejahre bietet und die bis dato offenen Fragen mit dem Umgang des Wismut-Kunsterbes skizziert. Doris Weilandt reflektiert - in Anknüpfung an Rainer Slotta [7] - über die Wandbilder von Hans Hattop, Werner Petzold und Kurt Hanf (68-79), denen sie zentrale Rollen als "exemplarische Programmbilder" (79) der Wismut-Unternehmensphilosophie zuteilt. Es sei hier lediglich die Beobachtung gestattet, dass es sich bei Josep Renaus Wandbild "Der Triumph des Menschen über die Natur" für das Bildungszentrum von Halle-Neustadt tatsächlich um ein Werk handelt, welches eine komplexe technokratische Utopieversion der Unterwerfung der Natur durch den vernunftgeleiteten Sozialismus darstellt und nicht nur, wie die Autorin schreibt, um "den Fortschritt durch die Atomindustrie" (74). Sehr anregend sind hingegen Weilandts Anmerkungen zu Hauff, dessen Wandbilder in ihrer ornamental-dekorativen Ausführung einige Anleihen beim späten Max Lingner, vor allem aber bei Bert Hellers lyrischem Mosaik "Aus dem Leben der Völker der Sowjetunion" (1964) am Café Moskau an der Berliner Karl-Marx-Allee nehmen.

Eine Aufgabe für die zukünftige Forschung im Anschluss an diesen Katalog läge aus Sicht des Rezensenten vor allem darin, noch stärker als bisher geschehen den "Gebrauch" der Bilder zu rekonstruieren, denn wenn Müller-Spreitz schreibt, bildende Kunst sei in den Gebäuden der Wismut "allgegenwärtig" gewesen (53), ist damit nur ein erster Hinweis auf Fragen der Hängung und der dazugehörigen Auswahlprozesse gegeben. Zudem wäre es wünschenswert, die - durchaus in diesem Fall vertretbare - Sichtweise auf die Wismut als einen eigenen "Mikrokosmos" gerade in Fragen der bildenden Kunst etwas auszuweiten, geht doch durch eine solche Nabelschau mitunter der Fokus für übergeordnete Kontinuitäten, Brüche und Neuerungen verloren. So fehlen bedauerlicherweise Überlegungen zur (potentiell vorbildlichen) Tradition der Darstellung bergmännischen Lebens und Arbeitens von vor 1945. Hier liegt zum Beispiel mit Kai Gurskis Dissertation über Karl Reinecke-Altenau eine interessante Vergleichsfolie zur Überhöhung des Harzer Bergbaus in der Zeit des Nationalsozialismus vor, die deutlich die Herkunft dieser Bildsprache aus der konservativen deutschen Malerei um 1900 herausarbeitet. [8]

Generell hätte man sich im Rahmen dieser Bestandsaufnahme eine etwas stärkere historisch-kulturgeschichtliche Verortung der Wismut-Kunstsammlung und ihrer Bestände gewünscht. Zwar legt Kaiser nachvollziehbar dar, dass es ein "Vermittlungserfolg" der Wismut gewesen sei, zur "Nobilitierung des bergmännischen Lebens" über eine Revitalisierung des in der DDR ab den 60er-Jahren in die Krise geratenen Arbeiterbildes beigetragen zu haben (28) und Gillen gelingt es, die auf den ersten Blick ästhetisch wie inhaltlich disparaten Auftragswerke von Heisig und Heinrich Witz ("Der neue Anfang", 1959) in eine spannende Erzählung der "Leipziger Schule" zwischen Kunst, Politik und Macht in den späten 50er-Jahren einzubinden, doch gibt es darüber hinaus leider keinerlei Verweise auf die Relevanz der frühen Arbeiterbilder aus dem Bergbau-Milieu von Otto Griebel, Lea Grundig oder Conrad Felixmüller, zu dessen "Arbeitswelten" zuletzt neue Forschungen erschienen sind. [9] Vielleicht hätte der Blick in die Geschichte auch dazu beigetragen, ein von Weilandt als Werk ohne "Differenziertheit und Binnenmodellierung", ohne "Lebendigkeit und mit plakativer Geste" (71) bezeichnetes Bild - die Rede ist von Hattops "Uran" (1971) - in ein etwas differenzierteres Licht zu rücken: Denn es stellt höchstwahrscheinlich einen Aktualisierungsversuch der sogenannten "Komplexbilder" von Heinrich Vogeler dar, welche dieser in den 1920er-Jahren auf Studienreisen durch die Sowjetunion entwickelt hatte und auf denen "der Künstler ein ganz bestimmtes Thema behandelt, zu dem die vielen einzelnen Szenen in inhaltlichem Zusammenhang stehen und in sinnvoller Weise einander zugeordnet sind." [10] Vogelers Erbe ist auch noch auf Petzolds großformatigen Wismut-Brigadebildern der 70er-Jahre deutlich zu spüren (vgl. Abb. auf 88f.).

Trotz dieser kleineren Mängel ist mit "Schicht im Schacht" ein gewichtiges Argument für eine verstärkte wissenschaftliche und öffentliche Auseinandersetzung mit dem Wismut-Kunsterbe vorgelegt worden, bieten doch sowohl die Textbeiträge als auch der Bildteil viele interessante Anknüpfungspunkte für weiterführende Forschungen. Also: Keineswegs Schicht im Schacht, erst recht nicht für die Kunstbestände der Wismut.


Anmerkungen:

[1] Werner Kroker: "Der Bergbau in Kunst und Kultur", in: Hans Günter Conrad: Deutsches Bergbau-Museum Bochum, 2. Aufl., Braunschweig 1981, 90-108, 90.

[2] Harald Marx: "Bergbau und Kunst in Sachsen", in: Manfred Bachmann (Hg.): Der silberne Boden. Kunst und Bergbau in Sachsen, Ausst.-Kat. Dresden 1989, Stuttgart 1989, 9-15, 11.

[3] Ebd., 15.

[4] "Wismut-Sammlung: 'Unkunst besudelt Haus der Moderne'", in: Mitteldeutsche Zeitung vom 20.04.2011.

[5] Vgl. Rolf Düsedau: Druckgrafik zum Bergbau. Aus der Sammlung der Wismut GmbH zu den 4. Bad Stebener Humboldt-Tagen 1996, Ausst.-Kat. Bad Steben 1996, Grafikmuseum Stiftung Schreiner, Bad Steben 1996; ders. (Hg.): Glück auf - die Künstler kehren zurück, Ausst.-Kat. Chemnitz 1998, Wismut GmbH, Chemnitz 1998; ders.: Metamorphosen. Wismut, Uran und die Wismut GmbH, Ausst.-Kat. Chemnitz-Bochum 1999-2000, Deutsches Bergbau-Museum, Bochum 1999.

[6] Lutz Fichtner: Die Industrie als Kunstmäzen und Auftraggeber in der Deutschen Demokratischen Republik. Die Sowjetisch-Deutsche Aktiengesellschaft (SDAG) Wismut (= Europäische Hochschulschriften, Kunstgeschichte; Bd. 409), zugl. Tübingen, Univ., Diss., 2003, Frankfurt am Main 2005. Vgl. die Rezension von Elke Scherstjanoi, in: sehepunkte 6 (2006), Nr. 2 [15.02.2006], http://www.sehepunkte.de/2006/02/9245.html.

[7] Rainer Slotta: "Metamorphosen. Kurt Hanf's Schmirchauer Gemälde 'Arbeiten, lernen, leben'. Die Manifestation eines vergangenen Weltbildes", in: Rolf Düsedau: Metamorphosen, 1999, 44-53.

[8] Kai Gurski: Schlägel, Eisen und Hakenkreuz. Das Thema Bergbau im Werk des Malers Karl Reinecke-Altenau, 2 Bde., Braunschweig, Hochsch. für Bildende Künste, Diss., 2008.

[9] Ingrid Mössinger (Hg.): Conrad Felixmüller. Zwischen Kunst und Politik, Ausst.-Kat. Chemnitz 2012-13, Köln 2012.

[10] Hans Liebau: "Gemalte Arbeitergeschichte. Bemerkungen zu den Komplextafeln von Heinrich Vogeler", in: Bildende Kunst, 7 (1959), H. 2, 93-97, 93.

Oliver Sukrow