Rezension über:

Michael Zok: Die Darstellung der Judenvernichtung in Film, Fernsehen und politischer Publizistik der Volksrepublik Polen 1968-1989 (= Studien zur Ostmitteleuropaforschung; Bd. 34), Marburg: Herder-Institut 2015, 328 S., ISBN 978-3-87969-387-0, EUR 57,00
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Rezension von:
Magdalena Saryusz-Wolska
Deutsches Historisches Institut, Warschau
Redaktionelle Betreuung:
Christoph Schutte
Empfohlene Zitierweise:
Magdalena Saryusz-Wolska: Rezension von: Michael Zok: Die Darstellung der Judenvernichtung in Film, Fernsehen und politischer Publizistik der Volksrepublik Polen 1968-1989, Marburg: Herder-Institut 2015, in: sehepunkte 17 (2017), Nr. 9 [15.09.2017], URL: https://www.sehepunkte.de
/2017/09/30815.html


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Diese Rezension erscheint auch in der Zeitschrift für Ostmitteleuropa-Forschung.

Michael Zok: Die Darstellung der Judenvernichtung in Film, Fernsehen und politischer Publizistik der Volksrepublik Polen 1968-1989

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Die Monografie von Michael Zok umfasst ein wichtiges Feld der polnischen Erinnerungskultur. Zoks Hauptargument, die Massenmedien der späten Volksrepublik Polen hätten das polnische Leid und Heldentum in den Vordergrund gestellt und die jüdische Perspektive verdrängt, ist nicht neu. Seine Darstellung bietet allerdings einen nützlichen Hintergrund für Analysen aktueller geschichtspolitischer Prozesse in Polen. Über den Film 'Długa noc' ('Eine lange Nacht') (1967, Regie: Janusz Nasfeter) schreibt der Verfasser etwa: "Insbesondere eine mögliche negative ausländische Rezeption wurde antizipiert, da [befürchtet wurde], dass der Film negative Stereotype der polnischen Gesellschaft, die im Westen existieren, verstärken würde" (92). Diese Rhetorik gehört bis heute zum Mainstream der polnischen Öffentlichkeit. So beklagten rechtskonservative Publizisten und Politiker nach dem internationalen Erfolg von Ida (2013), dass der Film im Ausland das ungerechtfertigte Stereotyp der Polen als Antisemiten perpetuiere, und forderten die Ergänzung eines Informationstextes zu Anfang des Films, der auf die deutsche Täterschaft und die polnischen Opfer im Zweiten Weltkrieg hinweist. Mag der Verfasser auf solche Kontinuitäten zwar kaum eingehen, so bietet sein Buch doch die Möglichkeit, aktuelle Diskussionen in eine historisierende Perspektive zu stellen.

Obgleich der Titel des Buches die Gleichstellung von Film, Fernsehen und politischer Publizistik ankündigt, konzentriert sich Zok auf die televisuellen Erinnerungen an die Judenvernichtung. Dies ist eine durchaus sinnvolle Entscheidung, denn die Geschichte des polnischen Fernsehens ist eine vergleichsweise vernachlässigte Disziplin. Dabei handelt es sich um ein Massenmedium, das die Erinnerungskultur maßgeblich prägte, insbesondere in dem von Zok analysierten Zeitraum. Im Gegensatz zu westlichen Staaten, in denen das Fernsehen bereits in der zweiten Hälfte der 1950er Jahre eine große Rolle spielte, gewann das Medium in Polen erst ab Ende der 1960er Jahre an politischer Relevanz.

Folglich bespricht Zok Kinofilme und die politische Publizistik nur am Rande. Dem Buch liegt eine gründliche Archivrecherche zugrunde, was bei film- und medienwissenschaftlichen Arbeiten keinesfalls die Regel ist. Besonders beeindruckt die Darstellung der Zuschauerreaktionen, die hauptsächlich auf der Grundlage der Briefbestände des Archivs des Polnischen Fernsehens (TVP) zusammengestellt wurden. Das kulturelle Gedächtnis manifestiert sich nämlich nicht nur in Texten, Filmen und Sendungen, sondern vor allem auch an der Schnittstelle zwischen den einzelnen Werken, ihren Produzenten beziehungsweise Auftraggebern und dem Publikum. Zok hebt dies in der Einführung hervor und verfolgt, sofern es die Quellenlage erlaubt, konsequent die unterschiedlichen Produktions- und Rezeptionskontexte. Es wäre zu wünschen, dass seine Forschungsergebnisse zu den Zuschauerreaktionen auf die einzelnen Filme auch in polnischer Sprache veröffentlicht werden.

Trotz der imponierenden Zusammensetzung von Quellen, Literatur sowie Film- und Sendungsbeispielen gibt es auch einige Punkte, die zu bemängeln sind. Insbesondere die sperrige Gliederung erschwert die Lektüre. Jedes Filmbeispiel wird separat besprochen, sodass wichtige zeit- und werkübergreifende Themen nicht auf den Punkt gebracht werden können - im Falle von Filmen und Sendungen mit ähnlichen Narrativstrukturen etwa wirkt der Text redundant. Die politischen und filmgeschichtlichen Hintergründe werden sehr ausführlich dargestellt, sodass der Verfasser erst auf Seite 110 zum eigentlichen Thema seines Buches kommt. Diese Strategie birgt dann Vorteile, wenn die Monografie ohne einschlägiges Vorwissen gelesen wird, doch selbst dann erscheinen die Rahmeninformationen ein wenig zu umfangreich. Bei der Leserschaft der Reihen des Herder-Instituts ist allerdings davon auszugehen, dass es sich um ein Fachpublikum handelt.

Die geschichtswissenschaftliche Perspektive von Zok unterscheidet sich von film- und kulturwissenschaftlichen Zugängen; so fehlt bei einigen seiner Filmbeschreibungen der analytische Zugang. In den meisten Fällen wird schlicht die Filmhandlung zusammengefasst, ohne auf die formellen Aspekte einzugehen. Zwar wird die relevante geschichtswissenschaftliche Literatur (sowohl aus der Politik- als auch aus der Filmgeschichte) nahezu vollständig angeführt, dennoch ist es eine Arbeit über Holocaustbilder, in der grundlegende philosophische beziehungsweise kulturwissenschaftliche Abhandlungen unter anderem von Theodor W. Adorno, James E. Young, Marianne Hirsch, Dominick LaCapra, Georges Didi-Huberman oder Zygmunt Bauman unerwähnt bleiben. Auf diese Weise verpasst Zok den Anschluss an Debatten, die im Ausland bereits vor Jahren geführt wurden. Die von ihm beschriebenen Darstellungen der Judenvernichtung erscheinen als lokales Phänomen, das kaum in internationale Kontexte eingebettet wird. Ausländische Impulse werden nur dann berücksichtigt, wenn es sich um westliche Filme handelt, die im polnischen Fernsehen ausgestrahlt oder in der polnischen Presse diskutiert wurden. Somit geht ein wichtiges Thema verloren, nämlich die Rolle des polnischen Films und Fernsehens in der Entwicklung der Bildsprache, die international für die Darstellung des Holocausts verwendet wird.

Zusammenfassend lässt sich sagen, dass die Monografie wichtige Kontexte zur Erforschung der polnisch-jüdischen Beziehungen aufzeigt und eine große Fülle an relevanten Quellen und Informationen, insbesondere im Bereich der Produktions- und Rezeptionsgeschichte, bietet. Der Aufbau des Buches und seine Einbettung in die bestehende Forschung zu Holocaustdarstellungen lassen sich hingegen kritisch diskutieren.

Magdalena Saryusz-Wolska