Rezension über:

Xosé M. Núñez Seixas: Die spanische Blaue Division an der Ostfront, 1941-1945. Zwischen Kriegserfahrung und Erinnerung, Münster: Aschendorff 2016, Xi + 414 S., ISBN 978-3-402-14868-6, EUR 59,00
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Rezension von:
Felix Gossler
Freiburg/Brsg.
Empfohlene Zitierweise:
Felix Gossler: Rezension von: Xosé M. Núñez Seixas: Die spanische Blaue Division an der Ostfront, 1941-1945. Zwischen Kriegserfahrung und Erinnerung, Münster: Aschendorff 2016, in: sehepunkte 17 (2017), Nr. 3 [15.03.2017], URL: https://www.sehepunkte.de
/2017/03/29447.html


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Xosé M. Núñez Seixas: Die spanische Blaue Division an der Ostfront, 1941-1945

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Wer waren die spanischen Soldaten, die im September 1941 zusammen mit der Wehrmacht an die Ostfront zogen? Stellte die Blaue Division, wie oft behauptet, einen Ausnahmefall unter den verbündeten Streitkräften dar? Boten diese Soldaten Zivilisten und Juden in ihrem Einflussbereich wirklich Schutz vor der Brutalität der Deutschen, und was ist von den schriftlichen Darstellungen dazu zu halten? Diese Fragen greift Núñez Seixas im vorliegenden Werk auf, um den sozialen und biographischen Rahmen zu untersuchen, in dem sich die Soldaten der Blauen Division bewegten.

Basierend auf einer Vielzahl von Quellen wie Feldpostbriefen, Akten der Wehrmacht, Memoirenliteratur und Fotografien spürt der Autor diesen Themen nach. Gleichzeitig bettet er die Historie dieser Division - Rekrutierungsprozess, Fahrt nach Deutschland, Ausbildung, Weg an die Front, Kämpfe im Norden der Ostfront, Ablösung und Rückführung nach Spanien, das Verbleiben einiger Kämpfer in den Reihen der Wehrmacht, Erinnerung sowie Nachkriegserinnerung - in den jeweiligen historischen Kontext ein.

Núñez Seixas kann zeigen, dass die Blaue Division kein homogenes Gebilde aus antikommunistischen Armeesoldaten und Falangisten war, die gen Osten zogen, um das christliche Abendland vor den "asiatischen Horden" zu schützen, wie das offizielle spanische Narrativ nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs lautete. Vielmehr waren Sozialstruktur und Intentionen der Soldaten so vielfältig und unterschiedlich, wie es die Dialekte und Identitäten auf der Iberischen Halbinsel noch heute sind. Núñez Seixas zeigt anhand von Statistiken die soziopolitische Vielfalt der Einheit auf. So gab es neben Studenten, Beamten, regulären Freiwilligen, Arbeitslosen, Veteranen des Spanischen Bürgerkriegs sowie ehemaligen Afrika-Kämpfern und untergetauchten Kommunisten, die zur Roten Armee stoßen wollten, auch eine kleine Gruppe mit anderen Motiven: Kriminelle und Gefängnisinsassen, die ihre Akte zu bereinigen suchten.

Der Nationalsozialismus fand in vielen Freiwilligen der Blauen Division dankbare Sympathisanten - dankbar dafür, an der Seite der Wehrmacht marschieren zu dürfen. Anhand des faschistischen Überbaus, sofern man im Falle Franco-Spaniens von diesem Begriff sprechen kann, wird erläutert, wie sehr sich die Affinität Spaniens für den NS-Staat von einem direkten Bündnis mit Hitler unterschied. Gleichzeitig fielen die alten Feindbilder des zurückliegenden Spanischen Bürgerkriegs auf genügend Nährboden, um im Zusammenspiel mit Francos außenpolitischer Zielsetzung, eine militärische Expedition zu ermöglichen, die als letzte militärische Expedition Spaniens bis heute in der Erinnerungskultur des spanischen Heeres verankert ist.

Die Spanier kamen erst nach Beginn des Unternehmens "Barbarossa", im Herbst 1941, an die Front; sie waren daher nicht mehr Teil der schnellen Angriffsoperationen zu Beginn des Ostfeldzugs. Da Hitler diesen Krieg zum Kampf zweier Weltanschauungen erklärt hatte, wird auch die Frage aufgeworfen, welche Rolle die Blaue Division im Vernichtungskrieg an der Ostfront spielte. Núñez Seixas weist darauf hin, dass auch diese Einheit, entgegen vieler Darstellungen in den Memoiren der Soldaten, Teil dieser Form des Krieges wurde, wenn auch nicht in dem Maße wie andere Truppenteile verbündeter Staaten. So gab es durchaus Übergriffe gegen die russische Zivilbevölkerung durch spanische Soldaten, was wiederum dem gängigen Narrativ der Verbrüderung mit den russischen Bauern widerspricht. Der Autor zeigt auf, dass auch diese Männer der Radikalisierung und den extremen Einflüssen des Krieges gegen die Sowjetunion ausgesetzt waren, welche Gewaltakte gegen Zivilisten begünstigten - nicht zuletzt im Kampf gegen die Partisanen hinter der Front, auch wenn der Partisanenkampf im Norden der Ostfront nicht die Ausmaße annahm, die an anderen Abschnitten zu beobachten waren.

Auch wird die Frage nach einer möglichen Beteiligung spanischer Truppen am Holocaust gestellt. Die Suche nach einer Antwort zeigt gleichzeitig die Schwierigkeit auf, die darin besteht, die antisemitische Einstellung im Weltbild der Divisionsangehörigen zu erfassen und zu verorten; Núñez Seixas spricht von einem "Antisemitismus ohne Juden". Als Quellen dafür zieht der Autor Feldpostbriefe, Auszüge aus der Memoirenliteratur und Frontzeitungen heran. Er weist nach, dass der spanische Antisemitismus als Ausdruck antijüdischer Tradition im Sinne eines katholisch-traditionalistischen Weltbilds unter den Soldaten der Blauen Division durchaus verbreitet war. Jedoch unterschied sich diese Art des Antisemitismus grundlegend vom eliminatorischen Antisemitismus der Nationalsozialisten, auch wenn sich in den Reihen der Blauen Division begeisterte Bewunderer der brutalen rassistischen Neuordnung durch Hitlerdeutschland befanden. Die Quellen geben Auskunft darüber, dass es den spanischen Soldaten unmöglich war, sich den Eindrücken und Folgen der nationalsozialistischen Rassenpolitik zu entziehen, auch wenn die Frage danach in den Memoiren größtenteils ausgespart blieb. So wurden viele der Soldaten bereits im Herbst 1941 bei ihrem Marsch durch die besetzten Gebiete an die Front Zeugen der nationalsozialistischen Herrschaftspraxis.

Vielfach werden die widersprüchlichen Reaktionen dieser Männer deutlich, die Mitleid für die Juden empfanden, aber auch den eigenen Antisemitismus konservierten - und trotzdem vom Ausmaß der deutschen Brutalität schockiert waren. So scheint es in der Blauen Division trotz einer breiten Affinität für das 'Dritte Reich' nicht viele Männer gegeben zu haben, die in den Sog der nationalsozialistischen Vernichtungsideologie gerieten.

Vielmehr war es die Imagination des "roten Spanien" und daran anknüpfend die Idee einer jüdisch-bolschewistischen Verschwörung als Triebfeder des Kommunismus, die bei vielen Soldaten Hass auf die Sowjetunion erzeugte. Gleichwohl reproduzierten und bestätigten sich die Vorurteile vor Ort. Die Sowjetunion war für die spanischen Soldaten schmutzig, die Menschen waren gedankenleere Hüllen ohne religiöse Werte, die Soldaten der Roten Armee fanatische Barbaren - alles scheinbare Resultate der kommunistischen Herrschaft. Die vorhandenen "Russlandbilder" in den Köpfen dieser Männer wurden bestätigt und knüpften an bereits existierende, im Spanischen Bürgerkrieg neu aufgeladene Stereotype und die diesbezügliche Propaganda an.

Von Vorurteilen und Stereotypen geprägt war auch das Verhältnis zwischen Spaniern und Deutschen, wobei erstere auch neue Erfahrungen machten, die sich von ihrem Weltbild stark unterschieden. So zeigten sich die Spanier bei ihrer Ankunft im Ausbildungslager Grafenwöhr erstaunt über die vergleichsweise großen Freiheiten deutscher Frauen und über das enge Verhältnis zwischen Mannschaften und Offizieren in der Wehrmacht, das es im spanischen Militär so nicht gab. Das Stereotyp des kühlen und brutalen Deutschen hielt erst nach Ende des Krieges verstärkt Einzug in die Darstellungen, was auf den Versuch zurückzuführen ist, sich von den Verbrechen der Wehrmacht und der Waffen-SS zu distanzieren, nur um gleichzeitig, getreu dem Motto "einen Kameraden verrät man nicht", keine direkte Kritik an der verbündeten Truppe zu üben.

Die Fronterfahrung im Krieg gegen die Sowjetunion wurde breit und facettenreich in die militärische Erinnerungskultur Spaniens eingefügt - mit Auswirkungen, die sich bis heute beobachten lassen. Paradoxerweise hatten die Erzählungen vieler Kriegsteilnehmer eine überraschende Folge, die sich auch in vergleichbaren Darstellungen italienischer Soldaten finden lässt: Obwohl man sich auf der Seite der Verlierer wiederfand, hatte man doch einen moralischen Sieg zu verbuchen. Im Fall der Blauen Division hatte dieser angebliche moralische Sieg zwei Aspekte: Zum einen wurde Hitler durch die Entsendung der Blauen Division zufriedengestellt und Spanien damit geschützt, zum anderen hatte Spanien sich am Kampf gegen den Kommunismus beteiligt, woraus sich - unter den Vorzeichen des Kalten Krieges - der eigene Status eines besiegten Siegers, ableiten ließ.

Xosé Manoel Núñez Seixas ist einer der besten Kenner der Materie. Er hat bereits mehr als ein Dutzend Beiträge zum Thema veröffentlicht, ehe er die vorliegende Monographie abschloss. Entstanden ist dabei ein umfassendes Werk, das weit mehr ist als nur eine Zusammenstellung vorheriger Publikationen - ein Buch, an dem sich weitere Forschungen orientieren werden.

Felix Gossler