Rezension über:

Roald Dijkstra / Sanne van Poppel / Daniëlle Slootjes (eds.): East and West in the Roman Empire of the Fourth Century. An End to Unity? (= Radboud Studies in Humanities; Vol. 5), Leiden / Boston: Brill 2015, IX + 183 S., ISBN 978-90-04-29192-8, EUR 93,00
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Rezension von:
Matthias Sandberg
Westfälische Wilhelms-Universität, Münster
Redaktionelle Betreuung:
Matthias Haake
Empfohlene Zitierweise:
Matthias Sandberg: Rezension von: Roald Dijkstra / Sanne van Poppel / Daniëlle Slootjes (eds.): East and West in the Roman Empire of the Fourth Century. An End to Unity?, Leiden / Boston: Brill 2015, in: sehepunkte 16 (2016), Nr. 10 [15.10.2016], URL: https://www.sehepunkte.de
/2016/10/27801.html


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Roald Dijkstra / Sanne van Poppel / Daniëlle Slootjes (eds.): East and West in the Roman Empire of the Fourth Century

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Der vorzustellende Sammelband ist das Resultat der Konferenz 'An End to Unity: East and West in the Fourth Century', die im Oktober 2012 an der Radboud University Nijmegen stattgefunden hat. Mit seiner Konzentration auf die Frage nach der Einheit zwischen Ost und West im 4. Jahrhundert nimmt der Band ein vieldiskutiertes Feld römischer Geschichte in den Blick. [1] Der Anspruch des Bandes sei es, so die Herausgeber, in den versammelten Beiträgen die Komplexität der Wahrnehmung von Einheit und Fragmentierung sichtbar zu machen und dabei politische, religiöse, kulturelle sowie soziale Aspekte zu betrachten (2). Bewusst ausgeklammert wurde die Debatte um Romanisierung und Akkulturation (1, Anm. 1).

Bei der Untersuchung kontextuell bestimmter Unterschiede hinsichtlich der Wahrnehmung von Einheit und Fragmentierung des Römischen Reiches ist es geboten, beide Seiten der Skala als Parallelerscheinungen zu begreifen und sich von überkommenen Vorstellungen zu lösen. Dies gilt etwa für die ältere Deutung der politischen Trennung des Reiches nach dem Tode Theodosius' im Jahr 395: Die Annahme universeller Desintegration zwischen Ost und West kann in der (Auf-)Teilung der Herrschaft nicht erkannt werden. Mit dieser Einschätzung, darum wissen die Herausgeber, wird kein Neuland betreten, doch die dem Bande zugrundeliegende Frage nach der individuell empfundenen concordia und discordia stellt in ihrer Breite einen vielversprechenden Zugang dar, der eine Überbetonung der politischen Teilung von 395 vermeidet. [2]

Der Band ist in zwei Teile gegliedert. Der erste Abschnitt "Geo-political Developments" soll in das Konzept der zugrundeliegenden Vorstellung von Einheit einführen, der zweite Teil "Unity in the Fourth Century: Four Case Studies" konzentriert sich auf die Anwendung der im ersten Kapitel entwickelten Prämissen.

Der Beitrag von Hervé Inglebert (9-25) liefert die dem Band zugrundeliegende Definition von Einheit: Die unicité sei demnach als Vorstellung von der Unteilbarkeit des Reiches zu begreifen (10), die unité meine ein Bewusstsein für die enge Verquickung der verschiedenen Regionen und Herrscher (12), wohingegen die unification als Idee der einheitsstiftenden Romanitas zu denken sei (16). Aufbauend auf seine dreidimensionale Konzeption von unity, gelangt Inglebert zu der Einschätzung, dass das Imperium trotz seiner regionalen Untergliederungen und kultureller Unterschiede nicht nur als Einheit wahrgenommen worden sei, sondern dass sich im Elitendiskurs des 4. Jahrhunderts eine "grande unification mentale" erkennen lasse (23).

David Potter eröffnet seinen Beitrag (26-48) mit der Frage, wie die Macht des Römischen Reiches bemessen werden könne und in welchem historischen Kontext sich dieser Diskurs entwickelt habe. Seit jeher habe ein Bewusstsein dafür bestanden, dass die Macht Roms sich kaum ausschließlich in der Zahl seiner Legionen spiegele und stets durch kulturelle und moralische Faktoren mitbestimmt worden sei (29). Ausgehend von modernen Studien zur Potenz von neuzeitlichen Großmächten gelangt der Autor zu dem Schluss, dass die Macht des Imperium Romanum im 4. Jahrhundert im Vergleich zu den Sassaniden und germanischen Stämmen in absoluter Hinsicht nicht abgenommen habe, wohl aber in relativer Perspektive. [3] Dies sei zu begründen mit Faktoren wie divergierenden Herrscherinteressen sowie der Aufteilung von Ressourcen und Truppen (37-38). [4]

Der Beitrag von Giusto Traina (49-62) wertet mittels literarischer und numismatischer Quellen die geografischen Implikationen im Hinblick auf die Reichseinheit aus. Die Propaganda der Tetrarchie sei stets darum bemüht gewesen, nicht nur die Einheit, sondern auch die Universalität des Reiches zu betonen (51). [5] Wie die Kaiser seien auch die Funktionseliten in der Pflicht gewesen, über ein grundlegendes Wissen um die administrative Landkarte zu verfügen. Schließlich kommt Traina zu dem Ergebnis, dass das Römische Reich im 4. Jahrhundert zwar nicht mehr als imperium sine fine wahrgenommen worden sei, wohl aber als unteilbare Einheit (59).

Josef Rist geht mit seinen Ausführungen (63-81) der Frage nach, welche Rolle der Synode von Serdika (343) in Bezug auf die Einheit der Kirche und des Reiches beizumessen ist. Die Synode, das betont Rist, sei theologisch nur vordergründig ein Reichskonzil zwischen Ost und West gewesen. Tatsächlich hätten mit dem streitbaren Athanasius von Alexandria und Markell von Ancyra zwei Exilanten aus dem Osten den theologischen Disput dominiert (78). Nahezu von vornherein zum Scheitern verurteilt, so Rists Resümee, stelle die Synode eine bedeutende Zäsur der Kirchengeschichte des 4. Jahrhunderts dar; die politische Entfremdung zwischen den Reichsteilen sei auch im Episkopat der Reichskirche deutlich sichtbar geworden.

Jan Willem Drijvers untersucht in seinem Beitrag (82-96), inwiefern die divisio regni von 364 das Ende der Reichseinheit markiert habe. Drijvers betont, dass das Prinzip der Herrschaftsteilung zuvorderst auf die Erhaltung der Reichseinheit, seiner Integrität und seiner militärischen Potenz gezielt habe. Diese Einheit sei nicht zwangsläufig mit nur einem Herrscher zu verbinden gewesen. Zudem sei die Aufteilung von Herrschaft im 4. Jahrhundert bereits lang erprobt und eher Regel als Ausnahme (89; 94). Und so gelte für die divisio regni von 364, dass sie von den Zeitgenossen nicht als umfassende Desintegration zwischen Ost- und Westteil empfunden worden sei (94-95).

Die Ausführungen von Gitte Lønstrup dal Santos (121-146) konzentrieren sich auf die Einheit als Aspekt der Herrschaftsdarstellung der theodosianischen Dynastie. Dal Santo bezieht sich dabei stimmig auf die von Inglebert angebotene Konzeption von unity (115). Dabei zeigt sie auf, dass der von der theodosianischen Propaganda inszenierten concordia mittels der Bezugnahme auf den Petrus-Paulus-Kult durchaus eine einheitsstiftende Größe beizumessen sei. Diese lasse sich in dem Credo "Concordia Apostolorum - Concordia Augustorum" zusammenfassen (117).

Der Artikel von Sofie Remijsen (99-120) fragt nach der Bedeutung der Spiele für die Einheit der griechisch-römischen Welt. Anhand eines fiktiven Zuschauers legt Remijsen überzeugende Muster für die verschiedenen Wahrnehmungen von agones und ludi dar, um Unterschiede in der athletischen Mentalität zwischen Ost und West aufzuzeigen (125-130). Im 4. Jahrhundert sei eine stärkere Angleichung der griechischen an die römische Wettkampfkultur feststellbar (143). Diese Vereinheitlichung der Spektakel-Landschaft sei unter anderem mit dem steigenden Stellenwert der Kaiser-Residenzen als Wettkampfstätten zu begründen, welche die kaiserliche Propaganda um ein wirksames Instrument erweitert hätten (142).

Shaun Tougher untersucht die Rolle von Eunuchen im Hinblick auf die Reichseinheit (147-163). Die Invektiven Claudians gegen Arcadius' Kämmerer Eutropius liefern Tougher den Ausgangspunkt seiner Überlegungen zu Gender- und Orientalismustopik im literarischen Diskurs über Ost und West. Trotz der von Claudian propagierten Dichotomie zwischen östlich-weibisch und westlich-männlich (148), das arbeitet Tougher überzeugend heraus, stelle die Divergenz zwischen Ost und West für Claudian nur eine temporäre, keine endgültige Trennung dar (151). Zudem sei der Eunuch als hoher Beamter keine genuin griechische Erscheinung, Eusebius, der praepositus sacri cubiculi Constantius II., ist dafür nur ein "westlicher" Beleg. Ob jedoch, wie Toughers Schlussbemerkung nahelegt, der Eunuch als "defining feature of Roman culture" (161) ein Symbol der Einheit zwischen den Reichsteilen darstelle, ist durchaus zu hinterfragen.

Auch der letzte Beitrag verfolgt einen literarischen Zugang (164-179). Christin Gnilka spürt dem Einheitsdenken im "Contra Symmachum" des Prudentius nach. Allen gegenläufigen Tendenzen trotzend, betone der Dichter die Reichseinheit. In seinem geschichtstheologischen Konzept gerate das Imperium Romanum Christianum zum Garanten von Einheit (178). Die christliche pax Romana, vollendet unter der Ägide des Theodosius, sei in ihrer vollkommenen concordia allein der Ankunft Christi würdig (174), die innere und äußere Einheit der Oikumene mithin gottgewollt. Treffend arbeitet Gnilka zwei wesentliche Aspekte an Prudentius' Konzept der Reichseinheit heraus: Zum einen sei die einheitsstiftende Kraft nicht nur auf der politischen Ebene zu verorten und zum anderen müsse man die ideale Einheit zwischen den Reichsteilen bei Prudentius wohl adhortativ, nicht deskriptiv verstehen (178).

Seinem Anspruch, einen breiten Überblick zur Wahrnehmung von Einheit und Fragmentierung im Ost- und Westteil des Römischen Reiches zu liefern, wird der Sammelband gerecht. Der eröffnete Diskurs zeigt, dass ein allein aus dem politischen Kontext motivierter Zugang ebenso wenig ausreichend sein kann wie eine zu starre Vorstellung von dem Begriff der Einheit. Trotz gegenläufiger politscher und administrativer Entwicklungen, so die Quintessenz der Beiträge, sei das Römische Reich in weiten Teilen der Gesellschaft des 4. Jahrhunderts durchaus noch als Einheit beziehungsweise ungeteilt wahrgenommen worden; wenngleich auch auf der anderen Seite das Bewusstsein für Divergenzen gewachsen sei. Lobenswert ist zudem, dass die Konzeption des Bandes überzeugt. Die Gliederung und die Bezugnahme der Beiträge aufeinander lassen die Argumente und Analysen stringent erscheinen; der Index sowie die den Beiträgen angehängten und aktuellen Bibliografien erleichtern den Zugriff. Bedauerlich ist lediglich, dass der Band die Romanisierungsdebatte kaum aufgreift. Hier wären sicherlich weitere Anstöße für die Frage nach der Wahrnehmung von Einheit zu erwarten, die den Band noch stärker gemacht und die Abgrenzung von traditionellen Deutungsmustern noch schärfer akzentuiert hätten. [6]


Anmerkungen:

[1] Beispielsweise: Angela Pabst: Divisio Regni. Der Zerfall des Imperium Romanum in der Sicht der Zeitgenossen, Bonn 1986; John Moorhead: The Roman Empire divided. 400-700, Edinburgh 2001; Richard Hingley: Globalizing Roman Culture. Unity, Diversity and Empire, London 2005; Lucy Grig / Gavin Kelly (Hgg.): Two Romes. Rome and Constantinople in Late Antiquity, Oxford 2011; Mischa Meier: Die Teilung des Römischen Reiches in Ost und West, in: Otto der Große und das Römische Reich. Kaisertum von der Antike zum Mittelalter, hgg. v. Matthias Puhle / Gabriele Köster, Regensburg / Magdeburg 2012, 189-195; Carola Föller / Fabian Schulz: Das Auseinanderdriften von Ost und West. Ein neuer Blick auf die Epochenschwelle zwischen Spätantike und Frühmittelalter, in: Osten und Westen 400-600 n. Chr. Kommunikation, Kooperation und Konflikt (= Roma Aeterna; Bd. 4), hgg. v. Carola Föller / Fabian Schulz, Stuttgart 2016, 9-14.

[2] Das hat Kaj Sandberg: The so-called division of the Roman Empire in AD 395. Notes on a persistant theme in modern historiograhpy, in: Arctos 42 (2008), 199-213 bereits dargelegt.

[3] Unter anderem Paul Kennedys "Rise and Fall of the Great Powers", dessen Konzept des "relative decline" Potter aufgreift.

[4] "Constantius II repeatedly complained that he did not have enough men to fight the Persians; it was only Julian who could bring western troops tot he east who could think of invading Persia." (38)

[5] Etwa die Formel orbis terrarum dominus für Constantius Chlorus, propagator orbis terrarum für Maximinus Daia oder die constantinische Identifikation des imperium Romanum mit dem orbis terrarum. (51)

[6] Obgleich in den einzelnen Beiträgen immer wieder entsprechende Termini anklingen, so beispielsweise, wenn Sofie Remijsen nach der "Romanization of Games" (139) fragt. Zur Romanisierungsdebatte in der neueren Forschung: Alexander Rubel: Romanisierung als theoretisches Forschungsproblem. Vorüberlegungen zu einer rumänischen Romanisierungsdebatte, in: Arheologia Moldovei 32 (2009), 57-70, hier 57-65.

Matthias Sandberg