Rezension über:

Jochen O. Ley: Domitian. Auffassung und Ausübung der Herrscherrolle des letzten Flaviers, Berlin: Logos Verlag 2016, 313 S., 31 s/w-Abb., ISBN 978-3-8325-4225-2, EUR 40,50
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Rezension von:
Isabelle Künzer
Universität Bonn
Redaktionelle Betreuung:
Matthias Haake
Empfohlene Zitierweise:
Isabelle Künzer: Rezension von: Jochen O. Ley: Domitian. Auffassung und Ausübung der Herrscherrolle des letzten Flaviers, Berlin: Logos Verlag 2016, in: sehepunkte 16 (2016), Nr. 9 [15.09.2016], URL: https://www.sehepunkte.de
/2016/09/29066.html


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Jochen O. Ley: Domitian

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Dass Domitian nicht als der malus princeps zu gelten hat, als welcher er in den von der Senatorenschaft verfassten Quellen stilisiert wurde, ist für die althistorische Forschung keine Neuigkeit. Eine Korrektur des Domitianbildes und, damit zusammenhängend, der Bewertung der domitianischen Herrschaftskonzeption erfolgte sukzessive seit den 1960er-Jahren. Es handelt sich somit also keinesfalls um ein Desiderat, wenn Jochen O. Ley seine von einem Mediävisten betreute althistorische Dissertation dem Rekonstruktionsversuch des faktischen Herrschaftsverständnisses des letzten Flaviers widmet und dabei der Frage nachgeht, wie es zu einer negativen Bewertung Domitians von erstaunlich langer Persistenz kommen konnte.

Ley erarbeitet zunächst die politischen Betätigungsfelder Domitians, um vor dieser Vergleichsfolie die Sicht antiker Autoren auf den letzten Flavier einer quellenkritischen Überprüfung zu unterziehen. Das Ziel des Verfassers ist es dabei, den Wahrheitsgehalt antiker Quellen zu eruieren oder zumindest einen wahren Kern aus ihnen zu rekonstruieren. Dieses Vorgehen hat zur Folge, dass es zu einer langen Rekapitulation von Fakten kommt, die zumeist unstrittig sind. Es führt letztlich allerdings immer wieder zu dem Ergebnis, dass Domitian in bestimmten kaiserlichen Aufgabenbereichen durchaus als umsichtiger Herrscher gelten könne. Problematisch ist in diesem Zusammenhang gewiss, dass Ley sämtlichen Maßnahmen Domitians eine konsolidierende oder legitimierende Wirkung auf dessen Herrschaft bescheinigt. Damit suggeriert er ein permanentes Ringen Domitians um Akzeptanz und eine ständige Gefährdung seiner Regierung. Nichterwähnungen bestimmter Ereignisse oder Begebenheiten bei einem antiken Autor dienen Ley dabei häufig als Indiz für eine Akzeptanz des kaiserlichen Verhaltens seitens der Senatorenschaft. Welche Gründe, historisch-politischen Zusammenhänge und spezifischen individuellen Intentionen das antike Domitianbild aber maßgeblich bestimmten, behandelt Ley nur am Rande. Die paradoxe Interaktionsstruktur zwischen dem princeps und der Senatorenschaft zu thematisieren, stellt in diesem Zusammenhang wohl eine zu pauschale Engführung und daher zu einfache Erklärung dar.

Nachdem Ley das Verhältnis des letzten Flaviers zu unterschiedlichen Personenkreisen am Hof und zur Senatorenschaft insgesamt behandelt hat, konstatiert er als zentrales Ergebnis, dass Domitian die Regeln der ritualisierten senatorisch-kaiserlichen Kommunikation zum Teil bewusst ignorierte, damit die kaiserliche Verhaltenserwartung nicht bediente und bei der Senatorenschaft immer wieder Irritation hervorrief. In dieser spezifischen Akzentsetzung, auf die erforderliche doppelbödige Kommunikation nur einen begrenzten Wert zu legen und stattdessen womöglich auch in experimenteller Verfahrensweise ausdrücklich die Position als Alleinherrscher zu profilieren, sieht Ley das Wesen der Domitian eigenen Herrschaftsauffassung, die den Flavier von seinen Vorgängern deutlich abhob. Domitian sei letztlich daran gescheitert, dass es ihm in seiner Position als princeps an Beratern oder Vertrauten mangelte, die ihn hätten warnen oder vor Fehlgriffen bewahren können. Im Ganzen handelt es sich damit wohl um zu banale Vorstellungen, wie sie sich in vergleichbarer Form in der Studie jedoch immer wieder finden lassen. Bedauerlich ist in diesem Zusammenhang zudem, dass grundlegende Begrifflichkeiten - nicht zuletzt Herrschaft und Herrschaftsauffassung - weder reflektiert noch mit tieferen Inhalten gefüllt werden. Kaiserliche Herrschaft generell und das domitianische Herrschaftsverständnis im Besonderen stellen sich nämlich wesentlich differenzierter und komplexer dar, als mithilfe pauschalisierender und trivialer Feststellungen zu erfassen wäre.

Leys Erkenntnisse können kaum als neu für die althistorische Forschung betrachtet werden, sondern fügen sich vielmehr in eine lange Tradition der Erforschung des letzten Flaviers, der flavischen Dynastie und des Prinzipats insgesamt sowie der in dieses Herrschaftssystem involvierten Gesellschaftsgruppen ein. Auf einem derart intensiv beforschten Gebiet eigene Ergebnisse vorzulegen mag gewiss eine Herausforderung sein. Eine differenzierte Auseinandersetzung mit der Forschung ist zu diesem Zweck in jedem Falle unerlässlich. Umso schwerer wiegt es daher, dass Ley wichtige, nicht nur aktuelle Veröffentlichungen überhaupt nicht zur Kenntnis genommen zu haben scheint. Häufig bleibt an zu erwartender Stelle eine Positionierung gegenüber relevanter Literatur oder zumindest ein Verweis auf entsprechende Publikationen aus.

Daneben zeigen sich sachliche Fehler, die zuweilen auch auf apodiktische Formulierungen zurückzuführen sein dürften. Einige Beispiele mögen an dieser Stelle genügen. Die damnatio memoriae hatte nicht zum Ziel, die Erinnerung an einen Regenten auszulöschen oder diesen in Vergessenheit geraten zu lassen, sondern diesem eine ganz spezifische Form der negativ semantisierten Präsenz zu verschaffen. Es ist darüber hinaus problematisch, die Provinzverwaltung als Außenpolitik zu betrachten und vom Provinzialgebiet in diesem Zusammenhang als "Fremdterritorium" (74) zu sprechen. Als fragwürdig erscheint außerdem, dass es ausdrücklich die Positionen der Meinungsführer im Senat gewesen sein sollen, die in den literarischen Quellen überliefert sind. Zum einen ist literarische Überlieferung von gänzlich anderen Faktoren und zuweilen schlicht von Zufällen abhängig. Zum anderen ist es zweifelhaft, Tacitus und den jüngeren Plinius in eben solchen Rollen von politischen Hauptakteuren des Senats zu sehen, ganz zu schweigen davon, dass Sueton Angehöriger des Ritterstands war. Ferner trauerte der Senat unter der Herrschaft Domitians wohl kaum der Republik nach, wie Ley annimmt. Ebenso wenig kann von einer "grundsätzlichen und für Senatoren intuitiven Ablehnung und Verdammung des Herrschers" (161) ausgegangen werden. Der Prinzipat als System war zur Regierungszeit Domitians als Herrschaftsform etabliert. Eine Rückkehr zur Republik stand keinesfalls zur Debatte. Die von Ley angenommene Enttäuschung der Senatoren über ihre wiederholte Zurücksetzung und Brüskierung unter Domitian, die der Verfasser als eine Art Entmachtung betrachtet, fand ihr Ventil aber wohl kaum im postumen Entwurf eines von Grund auf negativen Bildes des letzten Flaviers. Für dieses Bild waren vielmehr ganz andere Gründe ausschlaggebend. Gerade für die Faktoren jedoch, die das Bild von Domitian lange Zeit prägten und die herauszuarbeiten sich Ley zur Aufgabe gemacht hat, kann er keine zufriedenstellende Lösung anbieten.

Aufgrund der skizzierten Mängel der Untersuchung sowohl im methodischen als auch im inhaltlichen Bereich - beide Desiderata konnten hier lediglich in Auswahl exemplifiziert werden - und wegen ihres die Forschung kaum weiterführenden Erkenntnispotentials hinterlässt die Monografie daher keinen sonderlich befriedigenden Eindruck.

Isabelle Künzer