Rezension über:

Andrew Pettegree: The Invention of News. How the World Came to Know About Itself, New Haven / London: Yale University Press 2014, VI + 445 S., 64 s/w-Abb., ISBN 978-0-300-17908-8, GBP 25,00
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Rezension von:
Johannes Arndt
Historisches Seminar, Westfälische Wilhelms-Universität, Münster
Redaktionelle Betreuung:
Matthias Schnettger
Empfohlene Zitierweise:
Johannes Arndt: Rezension von: Andrew Pettegree: The Invention of News. How the World Came to Know About Itself, New Haven / London: Yale University Press 2014, in: sehepunkte 15 (2015), Nr. 9 [15.09.2015], URL: https://www.sehepunkte.de
/2015/09/27094.html


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Andrew Pettegree: The Invention of News

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Andrew Pettegree, Professor für Geschichte an der Universität St. Andrews, stellt in seiner kommunikationsgeschichtlichen Studie nicht die Träger der Kommunikation in den Vordergrund, sondern die Nachrichten: Sie werden für den Zeitabschnitt zwischen 1400 und 1800 untersucht, wobei Pettegree bewusst vor Erfindung des abendländischen Buchdrucks beginnt und mit der Anfangsphase der Französischen Revolution endet. Das Buch hat keinen nationalen Schwerpunkt, sondern will europaweit vergleichen.

Die walisischen Klöster Aberconwy und Strata Florida konnten im Hochmittelalter noch auf keine institutionelle Hilfe hoffen, um ihr Informationsbedürfnis zu stillen. Sie vereinbarten, in jedem dritten Jahr Boten auszutauschen, die jeweils eine Woche im anderen Konvent lebten und alle Neuigkeiten übermittelten, die sie mitbrachten, und sich dafür möglichst viele andere erzählen ließen (373, Anm. 5 mit Quellennachweis). Mönche, andere Geistliche, Pilger sowie Studenten waren die eine Gruppe der Nachrichtenüberbringer vor der Durchsetzung des Buchdrucks, Kaufleute die andere. Medien waren neben Briefen und Chroniken mündliche Berichte.

Am Anfang war die Nachrichtenbeschaffung teuer. Ein professionelles Netzwerk mit regelmäßiger Berichterstattung kostete so viel, dass es sich nur prominente Herrscher leisten konnten. Preiswerter war die gegenseitige Berichterstattung unter Standesgleichen in Briefen, doch war der Horizont normalerweise auf den Wirkungskreis der Briefpartner beschränkt. Die Kommerzialisierung des Nachrichtenverkehrs setzte die Drucktechnik voraus und bildete sich erst im Laufe des 16. Jahrhunderts aus.

Die Studie teilt sich - neben Einleitung und Zusammenfassung - in drei Hauptteile mit zusammen 17 Kapiteln. Pettegree geht dabei im Großen und Ganzen chronologisch vor: Mit "Power and Imagination" beginnt der erste Hauptteil, um in den folgenden sieben Kapiteln auf Kommunikation im spätmittelalterlichen Fernhandel, frühe Nachrichtendrucke der Reformationszeit, internationale gedruckte Propaganda im Renaissancezeitalter, Korrespondenten, "Marketplace and Tavern" als Orte der Basiskommunikation der Bevölkerung einzugehen und mit einer Conclusio "Triumph and Tragedy" über die Kriegsberichterstattung zu enden. Der zweite Hauptteil behandelt unter der Generalüberschrift "Mercury Rising" in vier Kapiteln die grundlegende Bedeutung des frühmodernen Postwesens für die politische Berichterstattung, die frühen Zeitungen, "War and Rebellion" über die Kriege des 17. Jahrhunderts, um erneut in einer Conclusio mit dem metaphorischen Titel "Storm in a Coffee Cup" zu enden.

Über dem dritten Hauptteil mit seinen sechs Kapiteln steht "Enlightenment" mit einem Fragezeichen versehen. Hier behandelt Pettegree die Suche nach der "Wahrheit", den Aufstieg der Zeitschrift als neuer Mediengattung, die Entstehung der Wirtschaftsberichterstattung und der Werbung, das neue Berufsbild des Journalisten, den aufklärerischen Ruf nach Freiheit im Zuge der französischen Revolutionsberichterstattung sowie als Conclusio eine Fallstudie: "How Samuel Sewall Read his Paper", in der aus dem Tagebuch eines Bostoner Bürgers im frühen 18. Jahrhundert geschöpft wird.

Insgesamt bestätigt das Buch den Kenntnisstand, dass gedruckte Nachrichtenvermittlung in Europa von Seiten der Mächtigen nicht verboten, sondern als nützlich betrachtet wurde: Zum einen sorgte ein kommerzialisiertes Postwesen dafür, dass alle politisch relevanten Informationen breit und schnell ausgetauscht werden konnten, wobei die Untertanen durch ihre Postnutzung das Gesamtsystem finanzierten, denn die Mächtigen nutzten es kostenfrei. Zum anderen dienten Gazetten und später Journale für eine Basissicherung von Informationen auf der Grundlage des allgemeinen Austauschs. Auch die Drucker und Verleger wurden von den Privatnutzern finanziert, während die Regierenden nicht nur kostenlos und oft vorrangig informiert wurden, sondern vielfach das Mediensystem noch besteuerten und damit zusätzliche Staatseinnahmen generierten. Diese konnten sie dann in Geheimdienste einspeisen, um den Rest der Informationen zu erlangen, die ihnen gezielt von Seiten ihrer Herrschaftskonkurrenten vorenthalten werden sollten und die daher nicht in den Periodika standen. Post und Periodika entstanden zeitversetzt, zuerst im Heiligen Römischen Reich, den Niederlanden, England und Frankreich, dann nach und nach in anderen europäischen Staaten. Überdies schützte der kommunikative Verbund des Brief- und Medienverkehrs davor, politische Entscheidungen von lancierten Falschmeldungen der Herrschaftskonkurrenten abhängig zu machen, denn erst zwei oder drei gleichlautende Mitteilungen von unterschiedlichen Quellen sicherten die Glaubwürdigkeit des Inhalts.

Andrew Pettegree legt ein fulminantes Buch vor, das getragen wird durch gute Kenntnisse der Medienentwicklung in unterschiedlichen europäischen Ländern, wobei England, Frankreich und das Heilige Römische Reich dominieren. Die anderen Länder folgten mit unterschiedlichem Zeitverzug, bevor sich das Zeitungswesen um die Mitte des 19. Jahrhunderts überall durchsetzte. Pettegree betont dabei, dass wesentliche Grundzüge der Nachrichtenübermittlung seit dem Spätmittelalter sehr ähnlich geblieben sind - Kontinuität sei in diesem Bereich ausgeprägter gewesen als Wandel. Positiv ist zu bewerten, dass er auch andere als englischsprachige Fachstudien auswertet, keinesfalls die Regel bei in Englisch verfassten Büchern. Die Studie ist mit einem integrierten Personen- und Sachindex ausgestattet.

Johannes Arndt