Rezension über:

Roger Diederen / Christoph Kürzeder (Hgg.): Mit Leib und Seele. Münchner Rokoko von Asam bis Günther, München: Sieveking-Verlag 2014, 416 S., ca. 300 Farbabb., ISBN 978-3-944874-15-9, EUR 49,90
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Rezension von:
Björn Statnik
Lehrstuhl für Kunstgeschichte II, Otto-Friedrich-Universität, Bamberg
Redaktionelle Betreuung:
Hubertus Kohle
Empfohlene Zitierweise:
Björn Statnik: Rezension von: Roger Diederen / Christoph Kürzeder (Hgg.): Mit Leib und Seele. Münchner Rokoko von Asam bis Günther, München: Sieveking-Verlag 2014, in: sehepunkte 15 (2015), Nr. 9 [15.09.2015], URL: https://www.sehepunkte.de
/2015/09/26654.html


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Roger Diederen / Christoph Kürzeder (Hgg.): Mit Leib und Seele

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Durch (un-)glückliche Umstände - wie länger dauernde Kirchen-Renovierungen oder die Generalsanierung des Freisinger Diözesanmuseums - war es der Hypo-Kunsthalle während der Wintermonate möglich, eine äußerst hochkarätig ausgestattete Ausstellung über die Münchner (Bildhauer-)Kunst des 18. Jahrhunderts zu präsentieren. Hierzu erschien auch ein umfangreicher Katalog, der gleich der Ausstellung den Titel "Mit Leib und Seele - Münchner Rokoko von Asam bis Günther" trägt.

Den Einstieg bildet ein Aufsatz von Peter Volk, der eine sehr gute Einführung in die bayerische (Bildhauer-)Kunst des späten 17. sowie des 18. Jahrhunderts darstellt und auch deswegen von Interesse ist, da hier nun auch auf die Doppeltätigkeit vieler bayerischer Bildhauer dieser Zeit eingegangen wird, die häufig auch als Retabel-Entwerfer reüssierten - ein Umstand, der lange Zeit wenig Beachtung fand. Ebenso bemerkenswert ist, dass Volk entgegen der lange vertretenen Ansicht, welche die bayerische Rokoko-Kunst weitgehend aus der lokalen Tradition herzuleiten suchte, den Blick nun auch auf außerbayerische Einflüsse lenkt. So führt er einige italienische Vorbilder an, die Johann Baptist Straub gekannt haben muss. Freilich verbleibt es bei diesen wenigen Beispielen, während die Bedeutung der Wiener Kunst - insbesondere eines Lorenzo Mattielli, eines Georg Raphael Donner oder auch eines Joseph Emanuel Fischer von Erlach - für die Stilgenese Straubs als Bildhauer und Altar-Architekt nicht thematisiert wird. Hier bleiben die Anmerkungen von Peter Steiner in seiner Dissertation zu Straub noch immer die grundlegenden Ausführungen, die immer noch darauf warten, weiterverfolgt zu werden. [1]

Freilich vertritt Norbert Jocher in seinem Katalog-Beitrag parallel zu Volk auch weiterhin die weitgehend bayerische Herkunft der bayerischen Rokoko-Skulptur. Irritierenderweise verweist nun aber er auf Einflüsse Donners bei Straub und bringt vor allem die von Donner stark geprägte Wiener Kunst-Akademie in die Diskussion ein (112f.). Doch kann dies schon aus chronologischen Gründen nicht überzeugen, da Straub in seiner Wiener Zeit nur die Preßburger Frühphase Donners miterlebte und nicht dessen spätere Einflussnahme auf die Akademie. Tatsächlich ließen sich vor allem vom Frühwerk Donners Beziehungen zu Straub aufzeigen. So stellen zum Beispiel dessen androgyne Engelsgestalten kaum bestreitbar eine Weiterentwicklung der donnerschen Epheben-Engel dar.

Leider merkt man fast allen Aufsätzen dieses Katalogs an, dass sich die Autoren an ein enges Zeichen-Korsett zu halten hatten. Auch Carmen Roll beginnt in ihrem Text zum Künstler-Verständnis, das sich in den Porträts der bayerischen Bildhauer des 18. Jahrhunderts widerspiegelt, mit detaillierten und treffenden Darlegungen über die Porträt-Darstellungen der Asams. Bei den späteren Bildern von Straub, Boos und Günther fallen die Ausführungen dann jedoch deutlich zu knapp aus. Besonders bei dem von Martin Knoller geschaffenen Gemälde von Ignaz Günther greift die schnell hingeworfene Interpretation als Ausdruck eines bürgerlichen Selbstverständnisses zu kurz. Hier wäre zu fragen gewesen, ob in diesem Bild, das der Wiener Akademie-Absolvent und Winckelmann-Freund Knoller von seinem ehemaligen Mitkommilitonen schuf, nicht auch neoplatonisches Gedankengut zum Ausdruck kommt. Auffällig ist doch die starke Konzentration auf den Kopf Günthers, während die übrige Gestalt vor dem dunklen Grund kaum hervortritt. Unbeachtet bleibt aber auch, dass Günther selbst noch eher altmodische Vorstellungen vom Künstler als Künstler-Fürsten vertrat. Evident wird dies an dem einzigen Stich, den Günther auch selbst graviert hat: "Pygmalion bei der Arbeit", in dem er den mythischen Bildhauer entgegen der Legende und der Ikonografie-Tradition als König darstellt. [2]

Daneben stehen bei Günther aber auch erstaunlich moderne Vorstellungen vom Künstler. Leider wird dies nur sehr kurz in dem Aufsatz von Alexander Heisig angesprochen, in dem es um verschiedene Retabel-Aufträge geht, um die Günther mit seinem ehemaligen Lehrer Straub konkurrierte. Nur nebenher wird hierbei darauf verwiesen, dass Ignaz Günther sehr darauf bedacht war, seine Entwürfe als sein geistiges Eigentum zu schützen.

Insgesamt wäre es wünschenswert gewesen, wenn in diesem Katalog die Umbrüche und Widersprüche der bayerischen Kunst-Entwicklung des 18. Jahrhunderts deutlicher aufgezeigt worden wären - wie dies Christoph Kürzeder in seinem Aufsatz für die geistesgeschichtliche Situation Bayerns anschaulich skizziert. Nur Volk verweist kurz auf die Vielgestaltigkeit der bayerischen Rokoko-Skulptur (23). So bleibt auch weitgehend unklar, warum die Asams mit ihrer römisch-barocken Ausbildung Eingang in diese "Rokoko-Ausstellung" fanden. Als durchaus gelungen muss hingegen die kurze, auf einer doppelseitigen "Erklärungstafel" eingeschobene Definition der Rocaille und des Rokoko als Ornament-Stil gelten (124f.) - wenngleich dadurch auch deutlich wird, dass sich diese Publikation hauptsächlich an ein Laien-Publikum wendet und einige andere dieser Erklärungstafeln doch arg überflüssig sind. Doch auch wenn in dieser Rocaille-Definition auf die Bedeutung von François Cuvilliés für die Verbreitung dieses Ornaments in Bayern verwiesen wird, so ist Cuvilliés dann im Folgenden mit nur einer Katalog-Nummer (Nr. 20) doch arg unterrepräsentiert - wie überhaupt Cuvilliés und seine Bedeutung für die bayerische Kunst nicht nur in dieser Publikation eine seltsam schwer fassbare Größe ist, da er als Hofbaumeister die ausführenden Künstler meist nur delegierte und ihnen hierbei große Schaffensspielräume zugestand. Die Bedeutung seiner Stich-Folgen für die Verbreitung seiner Ideen sollte hingegen nicht allzu hoch angesetzt werden, da diese nur in sehr kleinen Auflagen erschienen. Cuvilliés bleibt somit auch weiterhin ein Desideratum der bayerischen Kunstgeschichtsforschung.

Tatsächlich wendet sich diese Publikation eher an ein interessiertes Laien-Publikum und bietet dementsprechend mit mehreren seiner Aufsätze vor allem gute Einführungen in die jeweilige Thematik - wobei in diesem Zusammenhang noch die Aufsätze von Anette Schommers zur Silber-Plastik und von Ariane Mensger zu Roman Anton Boss genannt werden müssen. Für den Fachwissenschaftler finden sich nur hier und da neue Erkenntnisse, wobei vor allem Meinrad von Engelberg originelle Gedanken zur "Rokoko-Architektur" eines Michael Fischer bietet und Rupert Karbacher überzeugend den Mythos von der "Günther-Fassung" ausräumen kann.

So ist zu hoffen, dass dieser Katalog vor allem Studenten und angehende Kunstwissenschaftler wieder auf die bayerischen Barock- und Rokoko-Kunst als zuletzt stark vernachlässigtes Forschungsgebiet aufmerksam macht, in dem noch viele Fragen offen sind. Freilich ist die Bebilderung des Katalogs hierfür kaum hilfreich, da die zahlreichen und auch großformatigen Fotos mit ihren steilen Auf- und Untersichten oder Unschärfe-Spielereien ein besonderes Ärgernis dieses Katalogs darstellen. Die Gesamtansichten der Ausstellungsstücke fallen hingegen häufig viel zu klein aus.


Anmerkungen:

[1] Vgl. Peter B. Steiner: Johann Baptist Straub (Diss. München 1969), München 1974, 21ff.

[2] Abb. in Gerhard Woeckel: Ignaz Günther. Die Handzeichnungen des kurfürstlich bayerischen Hofbildhauers, Weißenhorn 1975, 544.

Björn Statnik