Rezension über:

Stefan Lewejohann (Hg.): Köln in unheiligen Zeiten. Die Stadt im Dreissigjährigen Krieg. Begleitband zur Ausstellung des Kölnischen Stadtmuseums vom 14. Juni bis 5. Oktober 2014, Köln / Weimar / Wien: Böhlau 2014, 260 S., zahlr. Abb., ISBN 978-3-412-22411-0, EUR 16,90
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Rezension von:
Matthias Kordes
Institut für Stadtgeschichte, Recklinghausen
Redaktionelle Betreuung:
Sebastian Becker
Empfohlene Zitierweise:
Matthias Kordes: Rezension von: Stefan Lewejohann (Hg.): Köln in unheiligen Zeiten. Die Stadt im Dreissigjährigen Krieg. Begleitband zur Ausstellung des Kölnischen Stadtmuseums vom 14. Juni bis 5. Oktober 2014, Köln / Weimar / Wien: Böhlau 2014, in: sehepunkte 15 (2015), Nr. 9 [15.09.2015], URL: https://www.sehepunkte.de
/2015/09/26555.html


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Stefan Lewejohann (Hg.): Köln in unheiligen Zeiten

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Der 'Große Krieg' des 17. Jahrhunderts prägt maßgeblich das "theatrum mundi" des Barockzeitalters. Dass das apokalyptische "Kriegstheater" von 1618 bis 1648 auch das äußerlich unversehrt gebliebene und katholisch konsolidierte Köln tiefgreifend beeinflusst hat, ist eine Erkenntnis, die noch vor einigen Jahren nicht im Mittelpunkt des Forschungsinteresses stand.

Der vorliegende Band geht auf eine gleichnamige Ausstellung zurück, die 2014 im Kölnischen Stadtmuseum zu sehen war. Bestückt mit hauseigenen Objekten nebst zahlreichen Leihgaben aus Kirchen, Archiven und Museen aus ganz Deutschland stellte sie erstmals die Epoche des Dreißigjährigen Krieges aus kölnischer Perspektive dar. Es erstaunt dabei, dass trotz des Einsturzes des Historischen Archivs der Stadt Köln eine derartige Fülle von Exponaten und Dokumenten für diese "bisher weitgehend unbekannte Epoche der Stadtgeschichte" (14) zusammengebracht werden konnte.

Mehrfach betonen die Autoren, dass die Kölner Forschung immer noch erhebliche Defizite bezüglich des 17. Jahrhunderts aufweist und die Epoche bis vor kurzem noch als Stiefkind zu betrachten war - erst die neue Monografie Hans Wolfgang Bergerhausens (Köln in einem Eisernen Zeitalter [1]) sowie neueste Studien zum (noch nicht erschienenen) 3. Band des Projektes "Nordrheinisches Klosterbuch" [2] bahnten den Weg, der allerdings durch die Konfusion der städtischen Archivbestände seit 2009 nur mehr schwerlich zu begehen ist.

Deutlicher als in vergleichbaren Begleitbänden und Ausstellungskatalogen gewinnt der Leser szenische Eindrücke vom historischen Geschehen: Nicht von ungefähr beginnt der Band mit einer Beschreibung der "Großen Gottestracht", der seit etwa 1370 größten und wichtigsten "procession mit dem hilligen sacrament umb die stat" (17). Wie auf einer barocken Guckkastenbühne werden anschließend in weiteren 35 Einzelbeiträgen von 18 Autoren vielerlei lokale Schauplätze, Konstellationen, Hintergründe, Staffagen, Akte und Akteure im Drama des Dreißigjährigen Krieges beschrieben.

Die mit qualitätsvollen Abbildungen aller Art illustrierten Abhandlungen reichen dabei von sozialen, politischen, kirchlichen, wirtschaftlichen und rechtlichen Institutionen, Instanzen, Prozessen und Strukturen im Köln der ersten Hälfte des 17. Jahrhunderts bis zu (Rand-) Gruppen-Analysen, Familien- und Einzelschicksalen und anderen personenbezogenen Geschehnissen; auch bildende Kunst, Buchdruck, Kunsthandwerk sowie profane und kirchliche Kunst- und Architekturstile kommen zu ihrem Recht. Unter den Aspekten, die ausführlicher hätten zur Sprache kommen können, wäre allenfalls das Kölner Münz- und Geldwesen zu nennen, dessen Spezifika in der "Kipper- und Wipperzeit" der frühen 1620er-Jahre sicher ein lohnenswertes Einzelthema gewesen wäre.

Aus verschiedenen Blickwinkeln machen die Beiträge deutlich, dass Köln mit seinen ca. 42.000 Einwohnern über die Dauer des großen Krieges ein vergleichsweise leichtes Schicksal zu tragen hatte: Unbeschadet der Tatsache, dass Ende 1632 schwedische Truppen Deutz besetzt hielten und in der zweiten Hälfte des Krieges diverse Truppenbewegungen der Stadt und ihrem Umland gefährlich nahe kamen, bleibt Köln von den großen Heerzügen und Schlachten verschont. Diese Konstellation, auch die bis 1629 reichende Rolle Spaniens als 'Schutzmacht' des nördlichen Rheinlandes sowie eine vergleichsweise geschickte "Außenpolitik", die kaiserlichen Belangen nachkommt, aber auch eigene, sozusagen parteiübergreifende Interessen und Vorteile im Blick behält, verschaffen der Stadt eine strategische "Balkon"-Stellung. Nur durch Truppenanwerbungen aus spanischen Subsidien verwandelt sich diese Position zwischen 1632 und 1635 in einen partiellen "Kombattanten"-Status (90).

Das hinter gewaltigen Mauern geschützte Köln wird "mitten im ringsherum tosenden großen europäischen Krieg" Anlaufpunkt für Flüchtlinge, ebenso "Fluchtburg" für Kunst- und Bücherbestände (darunter der Speyerer Domschatz, das Fuldaer Bonifatius-Reliquiar sowie diverse Reichsarchivalien aus Mainz), somit "Schatzkammer des katholischen Reichs" (208). Überdies bleibt die Rheinmetropole "eine Stadt der neuen Medien" (12), d.h. das Buchdruck- und Kommunikationszentrum, zu dem sie sich spätestens seit der Inkunabelzeit entwickelt hatte - die zahlreichen "Unter Fettenhennen" angesiedelten Offizinen produzieren nun erst recht für einen vollends katholisch gewordenen Absatzmarkt.

Ferner erweist sich die Stadt - dank erfolgreicher Neutralitätspolitik des Kölner Rates - über lange Strecken als Profiteur einer multilateral funktionierenden Kriegswirtschaft. Köln kann mit den traditionell engen Handelsverbindungen zu den Niederlanden den Zerfall seiner Hansebeziehungen wettmachen: Besonders Waffen werden in Köln hergestellt oder - mittels Import aus den siegerländischen bzw. bergisch-märkischen Schmiedezentren - weiterverkauft: "Ein riskantes Geschäft, das man besser diskret betrieb" (95). Selbst den Schweden ist es erlaubt, sich hier mit kriegswichtigem Material zu versorgen. Der ungeschmälerte Reichtum Kölner Unternehmer, Kaufleute und Bankiers führt dazu, dass Köln seine Position als internationaler Finanzplatz behaupten kann, an welchem Geldtransaktionen im großen Stil abgewickelt werden - darunter auch Kriegskredite an den bayerischen Kurfürsten Maximilian, um damit "die soldatesca zu befridigen" (96).

Ausführlich, d.h. in vier Einzelbeiträgen, geht der Katalog auf die Etappen und Dimensionen der Konfessionalisierung Kölns ein. Das schon im späten 16. Jahrhundert beginnende Vordringen neuer, reformierter Ordenszweige, die Installation der Kölner Nuntiatur ab 1584, schließlich die auch im Schulwesen dominierende Rolle der Jesuiten sowie der "schon von den Zahlen her beeindruckende Klosterboom" (160) geben der innerstädtischen Sakrallandschaft und Kirchenorganisation (19 Pfarrgemeinden, elf Stifte, zwei Benediktinerabteien, 50 Klöster und zahlreiche Beginenkonvente) im 17. Jahrhundert eine Gepräge, wie es "in kaum einer anderen deutschen Stadt zu finden war" (153).

So wird transparent, dass aus dem "hilligen Cöllen" ab etwa 1600 das frühneuzeitliche katholische Bollwerk im Nordwesten des Reiches wird. Mit alten und neuen geistlichen Instituten, liturgischer Pracht und barocker Frömmigkeit inszeniert sich das religiöse und kulturelle Leben in gesteigerter Intensität. Neu ist eine repressive, ja geradezu eliminatorische Geschlossenheit der konfessionalisierten Stadtgesellschaft: Protestanten lebten ihren Glauben nur noch im Untergrund, Hexen wurden verfolgt und auf Melaten hingerichtet, Juden war es bereits seit 1424 verboten, in der Stadt zu siedeln und sie zu betreten.

Fazit: Einmal mehr erweist sich, dass große Kriege das Potenzial haben, sich bereits abzeichnende Entwicklungen zu verstärken, zu verdichten und zu beschleunigen. Der vorliegende Katalog zeigt auf überzeugende Weise, dass diese Beobachtung auch auf Köln im konfessionellen Zeitalter zutrifft - sowohl in der Außenstellung wie auch im Innenleben der Stadt. Stagnation und Niedergang bestimmen allerdings nicht das Lagebild bis Mitte des 17. Jahrhunderts. Der Katalog selbst findet im Übrigen einen instruktiven Abschluss: Unter dem Aspekt der Nach- und Fernwirkung erscheinen - auch touristisch bekannte - 'Erinnerungsorte' wie die "Goldene Kammer von St. Ursula" und die Rezeption historischer Figuren durch das Karnevalsbrauchtum (Legende vom Reitergeneral Jan van Werth) in aktuellem Licht. Die so hergestellten Gegenwartsbezüge, die im entspannten, gut lesbaren, doch nie oberflächlichen Essay-Stil gehaltenen Textbeiträge, eine übersichtliche Bibliografie sowie das gefällige Gesamtlayout ergeben ein kompaktes Kompendium über Köln im Dreißigjährigen Krieg, das in jeder Hinsicht nachahmenswert ist.


Anmerkungen:

[1] Vgl. Hans-Wolfgang Bergerhausen: Köln in einem eisernen Zeitalter, 1610-1686 (= Geschichte der Stadt Köln; Bd. 6), Köln 2010.

[2] Vgl. http://www.landesgeschichte.uni-bonn.de/forschung/projekt-nordrheinisches-klosterbuch-seit-september-2008.

Matthias Kordes