Rezension über:

Ursula Gießmann: Der letzte Gegenpapst: Felix V. Studien zu Herrschaftspraxis und Legitimationsstrategien (1434-1451) (= Papsttum im mittelalterlichen Europa; Bd. 3), Köln / Weimar / Wien: Böhlau 2014, 410 S., ISBN 978-3-412-22359-5, EUR 69,90
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Rezension von:
Duane Henderson
Historisches Seminar, Ludwig-Maximilians-Universität München
Redaktionelle Betreuung:
Ralf Lützelschwab
Empfohlene Zitierweise:
Duane Henderson: Rezension von: Ursula Gießmann: Der letzte Gegenpapst: Felix V. Studien zu Herrschaftspraxis und Legitimationsstrategien (1434-1451), Köln / Weimar / Wien: Böhlau 2014, in: sehepunkte 15 (2015), Nr. 9 [15.09.2015], URL: https://www.sehepunkte.de
/2015/09/26254.html


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Ursula Gießmann: Der letzte Gegenpapst: Felix V.

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In der Geschichte des Papsttums löste die Existenz zweier miteinander konkurrierender Päpste vom 3. bis zum 15. Jahrhundert immer wieder schwere Krisen aus. Der Verlierer solcher Machtkämpfe trägt bis zum heutigen Tag die Bezeichnung "Gegenpapst", womit in der älteren Forschung ein Urteil über seine Legitimität, das einer damnatio memoriae gleichkam, verbunden war. Neuere Forschungen hingegen betrachten die Einstufung als "Gegenpapst" als heuristisches Mittel zur Untersuchung von Fragen zu Autorität und Legitimität. Dabei waren Gegenpäpste nicht nur Auslöser von Störungen, sondern gingen auch aus diesen hervor. Das gilt auch für Felix V. (1439-1451), der vom Basler Konzil im Konflikt gegen Papst Eugen IV. erhoben wurde.

In der bisherigen Forschung wurde Felix V. vorwiegend in seiner Rolle als erster Herzog von Savoyen (Amadeus VIII., 1416-1439) betrachtet. Nach seiner Wahl hingegen galt er oft als ein in seiner Macht mehr oder weniger durch das Konzil eingeschränkter "konstitutioneller" Papst. Eine monografische Studie zu seinem Pontifikat fehlte bislang.

In ihrer 2012 eingereichten Dissertation widmet Ursula Gießmann diesem letzten Gegenpapst der katholischen Kirchengeschichte eine eingehende Untersuchung, von der sie (unter dem Namen Ursula Lehmann) einige Teilaspekte bereits in Aufsätzen bekannt gemacht hat. Im Fokus des Buchs stehen Fragen danach, welche Ziele Felix V. als Papst verfolgte, wie er sich und sein Amt verstand, und wie er versuchte, den Kampf um Legitimität gegen seinen Kontrahenten Eugen IV. zu gewinnen. Hierzu werden im Wesentlichen die symbolischen, zeremoniellen und raumsoziologischen Ausdrucksformen analysiert, in denen Legitimationsstrategien, Machtansprüche und Selbstverständnis Felix' V. zutage treten. Neben historiografischen Werken und Konzilsdekreten dienen auch Bilder, Inventare und Rechnungen als Quellen zur Rekonstruktion visueller und ephemerer Repräsentationsformen, etwa Dekor und Ausstattung. Schließlich soll die Untersuchung des Pontifikats Felix' V. auch zeigen, "über welche Ressourcen, materiell und immateriell, der Papst verfügen musste, um nicht als Gegenpapst zu enden" (20).

Das Buch ist in vier chronologisch angeordnete Teile gegliedert. Im ersten Teil (33-144) wird der Zeitraum von Amadeus' VIII. Rückzug aus der aktiven Politik bis zu seiner Wahl als Papst Felix V. auf dem Basler Konzil behandelt. Vor allem setzt sich Gießmann mit der "Forschungsmeinung" auseinander, Amadeus habe seine weltliche Macht aus der Hand gegeben und als "Klausner" in Ripaille gelebt - eine Behauptung, die in der maßgeblichen Literatur jedoch nicht zu finden ist. Durch eine Analyse von Bauplänen und Funktion der fürstlichen Residenz in Ripaille sowie der gesetzgeberischen und repräsentativen Handlungen Amadeus' VIII. begründet Gießmann ihre Gegenthese, dass sein Rückzug nach Ripaille Ausdruck einer Herrschaftsauffassung als "Gottesdienst mit heilsgeschichtlichem Anspruch" (63) gewesen sei, in der temporale und spirituale Autorität vereinigt wurden. Diese Auffassung führte Amadeus VIII. auch als Papst weiter. Wie in der Analyse der Basler Papstwahl deutlich wird, gründeten die Konzilsväter ihre Legitimationsstrategien allerdings auf die Anlehnung an das traditionelle römische Modell. Daher werden die spezifisch savoyisch-herzoglichen Aspekte, die Amadeus VIII. in sein Papstamt mitbrachte, in den historiografischen und offiziellen Quellen des Konzils tendenziell ausgeblendet und sind lediglich in der symbolischen Zeichensprache der Repräsentation zu erkennen. Diese Diskrepanz trat bereits bei der Wahlannahme zutage, als Amadeus VIII. auf seinen Namen und vor allem auf seine Barttracht nicht verzichten wollte. Letztere deutet Gießmann als "archaisches Herrschaftszeichen" und "Markenzeichen" des savoyischen Herzogs und erkennt in der "heiklen Bartfrage" "das an dieser Stelle erstmals greifbare Motiv von Amadeus VIII./Felix V., das Papsttum vor allem in den Dienst der savoyischen Dynastie zu stellen" (123).

Im zweiten Teil (145-309) werden die bereits herausgearbeiteten Deutungslinien weiter entfaltet. Trotz der expliziten Nachahmung des römischen Modells gewann die päpstliche Repräsentation "savoyische Elemente", etwa durch die Ausstattung mit Inventar vom herzoglichen Hof, welche die Papstresidenz in Basel zu einer "hybridische[n] Kombination aus Savoyen und Rom" (159) machten. Schon den Einzug Felix' V. in Basel wertet Gießmann als eine savoyische Machtdemonstration: Hier zog kein "konstitutioneller Papst", der sich dem Konzil unterordnete, sondern der Herzog als Papst in die Stadt ein (192). Das Ergebnis war nicht nur eine Imitatio Romae, was die Forschung bisher betont hat, sondern eine savoyische Interpretation des römischen Modells: eine "Savoyardisierung Roms in Basel."

Im dritten Teil wird die Papstherrschaft Felix' V. in Savoyen nach seinem Auszug aus Basel 1442 analysiert (311-345). Vor allem in symbolischen Formen von Kunst und Kultur kam zum Ausdruck, dass Felix V. das Herzogtum Savoyen als Ersatz für das päpstliche Patrimonium Petri betrachtete. Insbesondere wird dies anhand der Darstellung des "Wunderbaren Fischzugs" durch Konrad Witz im Genfer Altar einleuchtend erklärt. Im vierten Teil (345-374) zeigen schließlich das Ende des Pontifikats Felix' V., sein Rücktritt und die Belohnung mit der Kardinalswürde, dass er auch diese Wendung zur Fortsetzung des Ausbaus und der Festigung der Herrschaft in Savoyen nutzen konnte. Damit stand der Gegenpapst Felix V., gemessen an seinen eigenen Zielen, keineswegs als Verlierer da.

Die Interpretationsansätze der Arbeit bieten auf der Basis innovativer Methoden insgesamt zahlreiche interessante Einsichten und Perspektiven für weitere Forschung. Allerdings lässt die methodische Fokussierung auf kommunikative und symbolische Repräsentation noch Fragen zur realen (nicht nur inszenierten) Macht des Gegenpapstes offen, sodass vor allem die Frage nach den "Stationen des Machterwerbs, des Machterhalts sowie des Machtausbaus" (18) teilweise unbeantwortet bleibt. Etwas unklar bleibt auch das Spannungsverhältnis im Profil Felix' V. zwischen seiner machtvollen Selbstinszenierung und seiner Gebundenheit an und durch das Konzil. Ebenfalls fragt man sich, wie Felix V. als papa in terris suis die Herrschaft im Herzogtum Savoyen mit seinem Sohn Ludwig teilte, der seit 1440 Herzog war. Im Übrigen war die Indienstnahme des Papstamts für eigene dynastische oder territoriale Interessen keine savoyische Besonderheit, sondern entsprach durchaus dem römischen Modell (man denke nur an Martin V. und die Colonna). Schließlich ist der Schluss, dass "die Papst-Wahl im Konklave den legitimitätsstiftenden Akt für das Papsttum schlechthin darstellte" und dass das Fehlen von Kardinälen im Basler Konklave daher letztlich ein fatales Legitimitätsdefizit für Felix V. bedeutete, eine etwas enttäuschende Vereinfachung, die weder den eigentlich differenzierteren Ergebnissen der Studie noch dem historischen Prozess des Ringens zwischen Konzil und Papsttum gerecht wird. Dennoch ist das Buch in vielerlei Hinsicht als Gewinn für die Forschung zu begrüßen.

Duane Henderson