Rezension über:

László Borhy: Die Römer in Ungarn. Mit einem Beitrag von Miklós Szabó (= Zaberns Bildbände zur Archäologie), Mainz: Philipp von Zabern 2014, 168 S., 139 Farbabb., ISBN 978-3-8053-4820-1, EUR 34,95
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Rezension von:
Volker Menze
Medieval Studies Department, Central European University, Budapest
Redaktionelle Betreuung:
Sabine Panzram
Empfohlene Zitierweise:
Volker Menze: Rezension von: László Borhy: Die Römer in Ungarn. Mit einem Beitrag von Miklós Szabó, Mainz: Philipp von Zabern 2014, in: sehepunkte 15 (2015), Nr. 9 [15.09.2015], URL: https://www.sehepunkte.de
/2015/09/25918.html


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László Borhy: Die Römer in Ungarn

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"Aurelius Maximianus, [...] wild von Natur her, feurig zügellos, brutal im Hinblick auf seine Bestrebungen, war bäuerlicher Herkunft aus Pannonien". So wird der Tetrarch Maximianus (285-310 n. Chr.) von einem Autor des 4. Jahrhunderts charakterisiert, den der Althistoriker und Archäologe Lászlo Bórhy in seinem neuen Buch Die Römer in Ungarn zur Charakterisierung des Kaisers heranzieht (123). Angesichts der immensen Bedeutung Pannoniens für die Geschicke des römischen Reiches - gerade im unruhigen 3. aber auch noch im 4. Jahrhundert - ist es auf den ersten Blick überraschend, wie wenige Überblicksdarstellungen es auf Deutsch zu diesem Thema gibt. Das lässt sich nicht auf mangelnde Forschungsergebnisse zurückführen - wie auch das thematisch gegliederte Literaturverzeichnis (165-68) im vorliegenden Buch zeigt, das etliche neuere und neueste Forschungstitel aufführt -, sondern eher auf mangelnde Sprachkenntnisse, die westliche Altertumsforscher abhält, ungarische Literatur zu rezipieren. Deshalb bleibt es dem versierten ungarischen Kenner der Materie Bórhy, der auch der Ausgräber von Brigetio (modern: Komárom) ist, und gleichzeitig als ehemaliger Stipendiat und wissenschaftlicher Assistent in Heidelberg das Deutsche perfekt beherrscht, überlassen, eine fundierte Einführung zu den Römern in Ungarn zu schreiben.

Der Titel des Buches ist insofern erklärungsbedürftig, als geographisch die Grenzen des heutigen Ungarns nicht mit der römischen Provinz Pannonia bzw. den römischen Provinzen Pannoniens gleichzusetzen sind. In der Antike stellte die Donau die Grenze zwischen dem Imperium Romanum und dem Barbaricum dar, auch wenn - wie Bórhy darlegt - sich einige römerzeitliche Spuren östlich der Donau finden lassen (s.u.). Zum römerzeitlichen Pannonien gehörten auch Gebiete der Slowakei, Österreichs, Sloweniens, Kroatiens, Bosnien-Herzegowinas und Serbiens, aber während die chronologische Darstellung Bórhys die Gesamtprovinz(en) im Auge hat, wird die reichhaltige Bebilderung des Bandes mit Funden aus Ungarn selbst bestritten.

Das Buch ist in zehn nicht nummerierte Kapitel unterteilt, die chronologisch bzw. systematisch die Entwicklung von der vorrömischen Zeit im Karpatenbecken über die Eroberung und Einrichtung der Provinz, Städtegründungen, Limesbau, Gesellschaft, Wirtschaft, Kunst und Religion - inklusive Christentum in der Spätantike - bis zum Nachwirken der Römerherrschaft in Pannonien nachzeichnen. Hier wie auch anderswo im römischen Reich waren die Städte die zentralen Plätze politischen, wirtschaftlichen und kulturellen Lebens. Zudem betont Bórhy durchgehend die strategisch-geographische Lage Pannoniens, die durch ihre Vorfeldlage und Nähe zu Rom und Italien von größter Bedeutung für das römische Reich war.

Die Kapitel "Eroberung und Integration" und "Die Städte und der Limes im 1. und 2. Jahrhundert n. Chr." behandeln die Einverleibung des Gebietes westlich der Donau in das römische Reich und der Einrichtung einer Provinz mit Städten und Grenzbefestigungen bzw. Militärstützpunkten. Wirtschaftliche Hintergründe wie die Bernsteinstraße werden erläutert, die Urbanisierungspolitik chronologisch den einzelnen Kaisern zugeordnet und auch in den Zusammenhang mit der Militärpolitik gestellt, die hier an der Grenze des römischen Reiches durch die Jahrhunderte hindurch eine dominierende Rolle spielte. Detailliert geht Bórhy auf die Befestigung des Donaulimes und die Stationierungen von Heereseinheiten in Ungarn ein (45-53).

Kriege spielten in der Zeit der römischen Herrschaft in Pannonien eine zentrale Rolle, wie die Markomannenkriege Marc Aurels zeigen (57-62), aber Bórhy beschränkt sich nicht auf eine politische und militärische Übersichtsdarstellung, sondern bietet auch einen durch zahlreiche Abbildungen höchst informativen Überblick über die kulturellen, ethnischen und religiösen Entwicklungen im 2. und 3. Jahrhundert (63-105). Besonders das Kapitel "Die Gesellschaft, Wirtschaft, Kunst und Religion von Pannonien bis zum Ende der Severerzeit" (74-105) glänzt mit Abbildungen von herausragenden Artefakten, Mosaiken und Gemälden, die in Aquincum (heute: Budapest), Brigetio und anderen Orten Ungarns gefunden wurden. Zugleich werden auch die religiösen Entwicklungen nachgezeichnet, die - mit einigen lokalen Besonderheiten - denen anderer Provinzen vergleichbar ist (100-105).

Die "Krise des 3. Jahrhunderts" wird in der ungarischen Fachliteratur nicht ganz unberechtigterweise als "Jahrhundert der Pannonier" bezeichnet wie Bórhy ausführt (73). Auch für Ungarn ist das 3. Jahrhundert eine Zeit großer Herausforderungen, aber die illyrischen Provinzen des römischen Reiches stellen in dieser Periode nicht nur die vielbenötigten Soldaten, sondern auch eine Reihe von Kaisern, die die Geschicke des ganzen Reiches bestimmten. Im 4. Jahrhundert ("Die Geschichte Pannoniens in der Spätantike" (123-54)) erfreute sich Pannonien, das wie alle anderen Provinzen des römischen Reiches auch administrativ in kleinere Provinzen aufgeteilt wird (124-7), noch einmal der Aufmerksamkeit der römischen Kaiser. Für die Zeit der Kaiser Valentinian I (364-375) und Valens (364-378) lassen sich archäologisch verstärkt Verteidigungsanlangen am Limes nachweisen und Bórhy beschreibt das dreifache Verteidigungssystem mit Wällen östlich der Donau außerhalb des Imperium Romanum, Wachtürmen (burgi) und Kleinkastellen an der Donau und "Binnenfestungen" im Binnenland (heute: westliches Ungarn (132-46)). Kaiser Valentinian I. kümmerte sich persönlich um die Verstärkung der Verteidigung am Donaulimes und starb - wie Ammianus Marcellinus berichtet - auf seiner Donaureise 375 in Brigetio. Bórhy schließt den Band mit einer kurzen Übersicht der christlichen Spuren im spätantiken Ungarn, dem Ende der römischen Herrschaft in Pannonien ("Die letzten Jahrzehnte Pannoniens" (155-59)) und einer Zeittafel (160-2).

Für alle Kapitel gilt, dass zahlreiche Karten die Orientierung erleichtern und die im Text diskutierten Befunde lokalisieren, die vielen, qualitativ hochwertigen Abbildungen das Leben in der Provinz eindrücklich veranschaulichen und einige 3D-Rekonstruktionen dem Laien eine Vorstellung von römischen Bauten vermitteln. Geographische und topographische Begebenheiten werden analysiert bzw. bildlich dargestellt, während der Historiker Bórhy auch darauf bedacht ist, antike Autoren in Übersetzung angemessen zu Wort kommen zu lassen. Der historische Wert der einzelnen Quellen mag zweifelhaft erscheinen - wie der der eingangs zitierten Beschreibung Maximianus - aber sie ermöglichen dem Leser einen guten Einblick in die Einschätzung der Zeitgenossen. Forschungsdiskussionen zu einzelnen Befunden können zwar nicht ausführlich dargestellt werden, aber Bórhy markiert Einzelmeinungen als solche (z.B. des Ausgräbers etc.). Der Zielsetzung einer ersten deutschsprachigen Überblicksdarstellung auf neuestem Stand und mit zahlreichen z.T. erstmalig veröffentlichten Abbildungen wird der vorliegende Band vollauf gerecht. "Die Römer in Ungarn" bietet einem breiteren Publikum einen gelungenen und außerordentlich kenntnisreichen Einstieg in die Beschäftigung mit der römischen Herrschaft und Kultur in Transdanubien.

Volker Menze