Rezension über:

Brendan Simms: Der längste Nachmittag. 400 Deutsche, Napoleon und die Entscheidung von Waterloo, München: C.H.Beck 2014, 191 S., 16 Abb., 2 Karten, ISBN 978-3-406-67003-9, EUR 18,95
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Rezension von:
Claire Gantet
Université de Fribourg
Redaktionelle Betreuung:
Nils Freytag
Empfohlene Zitierweise:
Claire Gantet: Rezension von: Brendan Simms: Der längste Nachmittag. 400 Deutsche, Napoleon und die Entscheidung von Waterloo, München: C.H.Beck 2014, in: sehepunkte 15 (2015), Nr. 9 [15.09.2015], URL: https://www.sehepunkte.de
/2015/09/25523.html


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Brendan Simms: Der längste Nachmittag

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Seit Anfang 2015 sind zahlreiche Veranstaltungen und Publikationen aus Anlass der Unterzeichnung der Kongressakte des Wiener Kongresses am 8. Juni 1815 entstanden. Doch herrschte noch kein Friede. Die sogenannte Schlacht bei Waterloo fand zehn Tage später statt. Sie endete mit der Flucht Napoleons und - in Ermangelung politischer Unterstützung in Frankreich - seiner endgültigen Abdankung am 22. Juni 1815. Diese Schlacht, die in die Geschichte als vernichtende Niederlage eingegangen ist, spielte bei der Akzeptanz der Wiener Kongressakte eine erhebliche Rolle. Das 15 Kilometer südlich von Brüssel gelegene Dorf Waterloo war der Ort, in dem der britische Befehlshaber Herzog von Wellington sein Hauptquartier bezog und aus dem er daher die Nachricht des Sieges verbreitete. Das Gefecht verlief aber in und zwischen einigen Gehöften in der Nähe, die zu Befestigungsanlagen umfunktioniert worden waren. Brendan Simms schildert in diesem Buch die Verteidigung der King's German Legion im zentralen Meierhof La Haye Sainte, dessen Kontrolle am Nachmittag des 18. Juni 1815 zum Wendepunkt der Schlacht wurde.

Die King's German Legion wurde 1803 gebildet, als zahlreiche hannoversche Soldaten infolge der französischen Invasion in Großbritannien Zuflucht fanden - der Kurfürst von Hannover war damals König von Großbritannien - und als eigenes Korps in die britische Armee integriert wurden. Brendan Simms verfolgt genauer das zweite leichte Bataillon und seine 400 Schützen. Ihre Aktion, die er von vorneherein als "heldenhaft" bezeichnet (11), wird aus der Nähe beschrieben. Anhand von Memoiren von Offizieren, gar von Soldaten, rekonstruiert er nicht nur die Minuten eines blutigen Gefechts im Regen und Matsch, sondern auch die Gefühle, die Gespräche, die Wahrnehmungen der Soldaten. Ihre Standhaftigkeit wird auf eine Mischung aus "Opposition zu Napoleons Tyrannei, dynastischer Loyalität zum König von England, deutschem Patriotismus, Kameradschaft im Regiment, persönlichen Freundschaften und Berufsethos" (11) zurückgeführt.

Der Verfasser verfolgt dabei offensichtlich zwei Ziele. Einerseits will er eine phänomenologische historische Untersuchung der Schlacht bei Waterloo liefern. Andererseits plädiert er für eine größere Anerkennung des Verdienstes der King's German Legion von Seiten der Deutschen (147). Hier interessiert ihn weniger die Schlacht als der Heroismus der Soldaten, den er würdigen will. Die Schlacht und der Heroismus sind daher mit großer Empathie beschrieben, wie beispielsweise in folgender Textpassage: "Barings Augen füllten sich mit Tränen, überwältigt von widerstreitenden Gefühlen, von Ärger und Schmerz, von Trauer um seine toten und verstümmelten Kameraden und vielleicht von den Schuldgefühlen des Überlebenden" (114). Es hat den Anschein, als ob die empathische Herangehensweise eine anthropologisch fundierte Untersuchung der Schlacht beeinträchtigt hätte. Der Verfasser erzählt, er analysiert nicht.

Gewiss liefert dieses Buch gut informierte Wissenspopularisierung. Der Verfasser hat einige Akten im Hauptstaatsarchiv Hannover gesichtet und erschlossen. Sein Bericht der Schlacht beruht jedoch vorrangig auf in den 1820er bis 1850er Jahren verfassten und veröffentlichten Memoiren von Soldaten und Offizieren. Die Bilder sind ebenfalls späte Zeugnisse, so beispielsweise ein Gemälde aus dem Jahr 1858 (113) oder eine Säule aus den Jahren 1825-1832 (130-132). Der zeitliche Abstand zwischen den herangezogenen Quellen und dem erforschten Geschehen wird im Text leider niemals hinterfragt. Dies ist bedauerlich, zumal der Verfasser aus diesen Quellen eindeutige Schlussfolgerungen - wie beispielsweise eine klare und verbreitete antifranzösische Ideologie (30-31) - zieht. Eine größere Behutsamkeit wäre wünschenswert gewesen.

Zusammenfassend kann man sich fragen, für welches Publikum der Verfasser sein Buch bestimmte. Für ein Fachpublikum ist es vermutlich zu narrativ. Vielleicht wird sich aber ein breiteres Publikum für diese detailgetreue, heroische Beschreibung der Schlacht bei Waterloo interessieren.

Claire Gantet