Rezension über:

Catrin B. Kollmann: Historische Jubiläen als kollektive Identitsätskonstruktionen. Ein Planungs- und Analyseraster. Überprüft am Beispiel der historischen Jubiläen zur Schlacht bei Höchstädt vom 13. August 1704, Stuttgart: W. Kohlhammer 2013, 280 S., ISBN 978-3-17-023421-5, EUR 49,99
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Rezension von:
Barbara Hanke
Institut für Politik- und Geschichtswissenschaft, Pädagogische Hochschule Freiburg
Redaktionelle Betreuung:
Christian Kuchler
Empfohlene Zitierweise:
Barbara Hanke: Rezension von: Catrin B. Kollmann: Historische Jubiläen als kollektive Identitsätskonstruktionen. Ein Planungs- und Analyseraster. Überprüft am Beispiel der historischen Jubiläen zur Schlacht bei Höchstädt vom 13. August 1704, Stuttgart: W. Kohlhammer 2013, in: sehepunkte 15 (2015), Nr. 9 [15.09.2015], URL: https://www.sehepunkte.de
/2015/09/24476.html


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Catrin B. Kollmann: Historische Jubiläen als kollektive Identitsätskonstruktionen

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Die Herausbildung, Merkmale, Ausprägungen und Inszenierungstechniken historischer Jubiläen sind mittlerweile gut erforscht. [1] Dass die Eichstätter Dissertationsschrift von Catrin B. Kollmann trotzdem in eine Lücke stößt, deutet sich schon im Untertitel an: Denn mit dem expliziten Anspruch, die Theorie und Empirie für die Praxis fruchtbar zu machen und nicht nur als abstraktes Analyseschema, sondern "seitens der Akteure eines Jubiläums als praktischer Handlungsleitfaden" (14) verwendet werden zu können, beschreitet sie Neuland.

Die vorliegende Studie lässt sich grob in zwei Teile gliedern: Davon ausgehend, dass "der Prozess der Planung und Manifestierung kaum hinterfragt bzw. die Abläufe [...] intransparent" (13) bleiben, entwickelt die Autorin im ersten Teil (Kap. 2-5) aus ihren konzeptionellen, systematisierenden und kategorialen Überlegungen ein Schema, das sowohl zur Analyse als auch zur Planung historischer Jubiläen dienen soll. Zentral dabei ist, dass sie ihren theoretischen Rahmen vor allem aus dezidiert geschichtsdidaktischen Kategorien und Konzepten gewinnt: So unterscheidet sie etwa im Rückgriff auf das anthropologisch fundierte Modell von Geschichtskultur Jörn Rüsens hinsichtlich der geschichtskulturellen Manifestationen historischer Jubiläen zwischen Formen des Erinnerns und Gedenkens, Formen des Informierens und Aufklärens sowie Formen des Versinnlichens und Erlebens. Diese entsprechen zum einen den drei Dimensionen der Geschichtskultur nach Jörn Rüsen: der politischen, der kognitiven und der ästhetischen. [2] Zum anderen orientiert sie sich, wenn auch unter der Betonung ihrer Gleichzeitigkeit, an den von Bernd Schönemann differenzierten Leitmustern von Geschichtskultur: Geschichte als Nutzen, Geschichte als Bildung und Geschichte als Event. [3] Im zweiten Teil (Kap. 6-8) überprüft die Autorin die Ausprägungen und die Klassifizierung konkreter geschichtskultureller Manifestationen und führt anhand eines Fallbeispiels vor, dass Jubiläen "als ein Mittel kollektiver Identitätskonstruktionen" (259) im Sinne Rüsens [4] regelhaft verlaufen, nämlich von der Intention zur Manifestation und Rezeption.

Bei der Analyse selbst handelt es sich um einen diachronen Vergleich der historischen Jubiläen um die Schlachten bei Höchstädt 1954, 1981 und 2004. Die detaillierte und quellenreiche Untersuchung der Jubiläumspraktiken der Stadt Höchstädt an der Donau (und der Stadt Blindheim 1904) macht nicht nur sichtbar, "weshalb und wie geschichtskulturelle Manifestation von Handlungsträgern initiiert und zu welchem Zweck sie geschaffen wurden, welchen Kontingenzen und ganz pragmatischen Überlegungen" (249) sie unterliegen. Der Zugriff, die historischen Jubiläen sowohl vergleichend als auch in ihrer Prozesshaftigkeit zu untersuchen, ermöglicht es auch, ihre Rückwirkung zu überprüfen. Als ein großer Vorteil der Untersuchung erweist sich die Vielfalt der Quellen. Die Auswertung von Presseerzeugnissen, Akten, Planungsskizzen, Reden, wissenschaftlichen Publikationen, Prospekten und Webauftritten ermöglicht eine aufschlussreiche Rekonstruktion der Höchstädter Jubiläumspraktiken. So etwa im Falle des 1954 errichteten Mahnmals, dessen Genese anschaulich nachgezeichnet wird: Während die ersten Entwürfe noch vorsahen, die Idee "europäischer Verbundenheit" in die Inschrift explizit aufzunehmen, wurden im späteren Verlauf Bedenken laut, in die sich auch nationale Töne mischten. Die Gestalt des Mahnmals könne bei den "Franzosen (Gaullisten)" den Eindruck erwecken, "daß die bösen Deutschen schon wieder Schwerter aus der Erde wachsen lassen." Dass die Rolle der Sieger und Besiegten ausgespart wurde, fand hingegen Zustimmung, da "viele unserer Bayern, deren Vorfahren ja unter den Unterlegenen dieser Schlacht waren, die Inschrift dann nur mit einem Stachel im Herzen lesen" würden. Mit der Gravur "Überwindet den Hass Suchet den Frieden" fand man schließlich eine Formel, die vor allem dem Gedanken der Völkerversöhnung verpflichtet war. Ganz anders der 2004 errichtete Denkmalweg "Auf den Spuren der Schlacht", der von Anfang an als Ausflugsziel gedacht war und als historischer Ort den Tourismus in der Region beleben sollte. Auch wenn die Autorin dem Denkmalweg ein "didaktisches Moment der Aufklärung zum historischen Geschehen" (189) zuspricht, scheint die ökonomische Dimension von Geschichtskultur hier zu überwiegen. Zwar räumt sie ein, dass das Moment des Gedenkens in dem 1954 errichteten Mahnmal deutlich stärker hervortritt, dennoch werden beide geschichtskulturelle Manifestationen der Kategorie Erinnern und Gedenken zugeordnet, was - zumindest in dieser Eindeutigkeit - problematisch scheint. Trotz dieses Einwands erweist sich der Rückgriff auf die oben erwähnten Klassifikationen und Konzepte gerade in dem Kapitel zu den geschichtskulturellen Manifestationen als besonders gelungen.

Die Kritik der Rezensentin bezieht sich auf die Darstellung: Die kleinstschrittigen Kapiteleinteilungen und lange, sperrige Überschriften machen die Lektüre nicht immer einfach. Hinzu kommt, dass auch die optische Unterscheidung zwischen Überschrift und Darstellungstext nicht immer gegeben ist. Besonders anstrengend sind die Wiederholungen, die sich meist auf die Funktionen und Wesensmerkmale von Jubiläen beziehen, sich vor allem aus den häufigen Vor- und Rückgriffen ergeben und die Lust am Weiterlesen erheblich trüben. Das ist schade, denn nicht nur die Analyse selbst ist lohnenswert zu lesen, sondern schon der Ansatz, geschichtsdidaktische Theorien und Kategorien und die Planungspraxis des historischen Jubiläums zusammenzuführen, ist sehr zu begrüßen.


Anmerkungen:

[1] Winfried Müller (Hg.) in Verb. mit Wolfgang Flügel / Iris Loosen / Ulrich Rosseaux: Das historische Jubiläum. Genese, Ordnungsleistung und Inszenierungsgeschichte eines institutionellen Mechanismus, Münster 2004; Paul Münch (Hg.): Jubiläum, Jubiläum ... Zur Geschichte öffentlicher und privater Erinnerung, Essen 2005.

[2] Jörn Rüsen: Geschichtskultur, in: Klaus Bergmann u.a. (Hg.): Handbuch der Geschichtsdidaktik, 5., überarb. Aufl., Seelze-Velber 1997, 38-41.

[3] Bernd Schönemann: Geschichtskultur als Wiederholungsstruktur?, in: Geschichte, Politik und ihre Didaktik 34 (2006), H. 3/4, 182-191.

[4] Jörn Rüsen: Historische Vernunft. Grundzüge einer Historik, Göttingen 1983, 24-29.

Barbara Hanke