Rezension über:

Hermann Frhr. von Salza und Lichtenau: Die weltliche Gerichtsverfassung in der Oberlausitz bis 1834 (= Schriften zur Rechtsgeschichte; Heft 163), Berlin: Duncker & Humblot 2013, 541 S., ISBN 978-3-428-13708-4, EUR 104,90
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Rezension von:
Christian Speer
Institut für Geschichte, Martin-Luther-Universität, Halle-Wittenberg
Redaktionelle Betreuung:
Ralf Lützelschwab
Empfohlene Zitierweise:
Christian Speer: Rezension von: Hermann Frhr. von Salza und Lichtenau: Die weltliche Gerichtsverfassung in der Oberlausitz bis 1834, Berlin: Duncker & Humblot 2013, in: sehepunkte 15 (2015), Nr. 7/8 [15.07.2015], URL: https://www.sehepunkte.de
/2015/07/26657.html


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Hermann Frhr. von Salza und Lichtenau: Die weltliche Gerichtsverfassung in der Oberlausitz bis 1834

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Hermann Freiherr von Salza und Lichtenau (1978-2013) hatte sich mit seiner Dissertation nichts weniger vorgenommen, als fast 800 Jahre Verfassungsgeschichte der Oberlausitz mit besonderem Fokus auf die weltliche Gerichtsverfassung zu untersuchen. Das daraus entstandene und hier posthum zu besprechende Buch kann, trotz der Zwänge, denen eine Dissertationspublikation in Struktur und Darstellungsweise unterliegt, mit Fug und Recht als Handbuch zur oberlausitzischen Verfassungsgeschichte bezeichnet werden.

An den Anfang seiner Forschungen stellt der Autor die Prämisse, dass durch die Untersuchung der Geschichte der mittelalterlichen und frühneuzeitlichen Gerichtsverfassung Näheres über die Strukturen und Entwicklungen der allgemeinen Verfassungsgeschichte ermittelt werden kann (12). Gegenstand der Untersuchung ist die Oberlausitz von der Zeit der Markenverfassung im 11. Jahrhundert bis zum Beginn des 19. Jahrhunderts als 1816 im preußischen und 1834 im sächsischen Teil der Oberlausitz die alten Partikularrechte außer Kraft gesetzt wurden. Um die "vorstaatlichen Verfassungsstrukturen" der Oberlausitz und ihre "Entwicklungen und Eigenheiten zu erklären" (19) werden dabei jeweils die Ebenen der Landesherrschaft, der Grundherrschaft sowie der städtischen Verfassung untersucht und der Einfluss bzw. das Wechselspiel genossenschaftlicher und herrschaftlicher Verfassungselemente bei der Herausbildung der vormodernen Verfassung der Oberlausitz dargestellt.

Dem ersten Abschnitt des Darstellungsteils ("Gerichtsverfassung zur Zeit der Markenverfassung") folgt der größte Einzelabschnitt "Landesherrliche Gerichte". Hier werden zu den behandelten Gerichten jeweils systematisch die Gerichtspersonen sowie Gerichtsorte und -zeiten untersucht. Interessant sind die beobachteten Entwicklungen in Bezug auf die landesherrlichen Städte. Zu Anfang waren sie, obwohl sie bereits selbständige vom Landrecht abgeschlossene Rechtskreise bildeten, umfassend dem Vogtding/Landgericht unterworfen, welches entgegen dem dinggenossenschaftlichen Prinzip (noch) keine Urteilsfinder aus der Rechtsgemeinschaft der Städter kannte. Bis ins 16. Jahrhundert gelang es aber den landesherrlichen Städten der Oberlausitz (Görlitz, Bautzen, Zittau, Kamenz, Löbau, Lauban [poln. Lubań]) in unterschiedlichem Maße die Verhältnisse gleichsam umzukehren. Durch Privilegien war es Görlitz zum Beispiel gelungen, zum einen Exemtionen vom Landgericht zu erreichen und zum anderen den eigenen Gerichtsbezirk (Weichbild) geografisch und inhaltlich auszudehnen, sodass die Stadtschöffen nicht mehr nur über die Angehörigen der eigenen Stadtrechtsgemeinschaft inklusive der stadteigenen Dörfer nach Magdeburger Recht urteilten, sondern auch über adlige Grundherren und Bauern grundherrlicher Dörfer. Darin wiederum spiegelt sich, so der Autor, der Einfluss Schlesiens wieder (184f.), und es kann gegenläufig zur Ostwärtsbewegung des Sachsenspiegel-Lehnrechts und des Magdeburger Rechts (verschmolzen zum Sächsisch-Magdeburgischen Recht) die Westwärtsbewegung eines "fortentwickelten Weichbildes" (184) bis in die östliche Oberlausitz beobachtet werden.

Das folgende Unterkapitel "Gericht von Land und Städten/Oberamtsgericht" behandelt ein Gericht, welches gleichsam als Reaktion auf die im vorhergehenden Kapitel geschilderten Entwicklungen am Ende des 15. Jahrhunderts (1483/84 erstmals erwähnt) auf landesherrlicher Ebene neu aufgerichtet wurde. Dieses Gericht war zuständig für den landsässigen Adel, aber auch für die städtischen Eliten, "die eine (standesübergreifende) Rechtsgenossenschaft darstellten" (210).

Der nächste Abschnitt widmet sich dem Landvogt und den Untervögten ([Amts-]Hauptleuten) in den Ämtern Bautzen und Görlitz als den Vertretern der landesherrlichen Gerichtsbarkeit. Das darauf folgende Kapitel behandelt die "Hofgerichte" in Görlitz und Bautzen, welche im Unterschied zu den Gerichten der Ämter wohl vor allem in Lehnssachen urteilten.

Der sogenannte Pönfall von 1547, bei dem die landesherrlichen Städte vorerst die meisten ihrer Privilegien verloren, wurde vom böhmischen König als Landesherrn genutzt, um ein neues Gericht - das Landgericht - zu errichten. Dessen Aufgabe war es von 1548 bis ca. 1570, die den Städten entzogenen Kompetenzen (Obergerichtssachen) der Weichbildgerichte über Adel und Grundherrschaften wieder in die Hände des Landesherrn bzw. seiner Vertreter zu geben. Um die bis 1547 permanent schwelenden Konflikte zwischen Adel und Städtern zu vermeiden, die sich aus der Gerichtshoheit der Städter über den Adel ergeben hatten, wurden die Schöffen, also die Urteilsfinder, der neuen Landgerichte mit Personen aus beiden Gruppen besetzt.

Die folgenden Unterkapitel widmen sich dem "Ritterrecht" und dem "Dingstuhl zu Göda". Den letzten Abschnitt zu den landesherrlichen Gerichten bildet eine kurze Darstellung des 1823 errichteten "Königlich Sächsischen Gerichtsamtes zu Budißin [Bautzen]".

Das nächste Kapitel richtet den Blick auf die Grundherrschaften und ist in zwei Unterkapitel zu den grundherrlichen Gerichten und den Dorfgerichten/Gerichten in grundherrlichen Städten unterteilt. Es folgt ein Kapitel zu den Deditz-/Zeidlergerichten und schließlich eines zu den landesherrlichen Städten und dem Oberlausitzer Femgericht. Auch hier werden jeweils wieder schematisch die Punkte "Gerichtspersonen" und "Gerichtsort/-zeit" abgearbeitet - von den ersten urkundlichen Erwähnungen bis zum Ende des Untersuchungszeitraumes - und unter "Ergebnis" zusammengefasst.

Das vorletzte Kapitel behandelt die Themen Rechtszug und Appellation. Besonders in diesem Kapitel und dem vorhergehenden zu den Gerichten der landesherrlichen Städte gelingt es dem Autor deutlich herauszuarbeiten, dass der Pönfall für die genannten Städte im Bereich der Gerichtsverfassung eine weit größere Zäsur darstellte als für andere Lebensbereiche. "Mit der Beseitigung des Rechtszugs nach Magdeburg und der Einrichtung eines Instanzenzugs zu einer mit gelehrten Räten besetzten landesherrlichen Appellation [...] legte der Landesherr 1548 [...] die Axt an die Wurzel des bis dahin geltenden Sächsisch-Magdeburgischen Rechts" und damit an die "Urteilsfindung durch die (Laien-)Schöffen, die (nur) dieses Recht kannten, und öffnete dem Fremdenrecht, das nur von gelehrten Juristen angewandt werden konnte, und damit der gelehrt-neuzeitlichen Gerichtsverfassung Tür und Tor" (467).

Insgesamt gelingt es dem Autor, indem er die Geschichte der einzelnen Gerichte verfolgt, überzeugend darzustellen, wie sich die genossenschaftliche Rechtsbildung und -wahrung durch genossenschaftliche Urteilsfindung im Gericht ("dinggenossenschaftliches Prinzip") in der Oberlausitz entwickelte, welche Einflussfaktoren wirkten und welche Konflikte dabei entstanden, als zum Beispiel die Görlitzer Stadtschöffen nicht mehr nur über ihre eigenen Rechtsgenossen, sondern im Rahmen bestimmter sachlicher Zuständigkeiten auch genossenschaftsübergreifend über Fälle, die Adelige betrafen, zu Gericht saßen. Der Autor betont zu Recht, dass dies der Adel aus rechtsgenossenschaftlicher Sicht nicht hinnehmen wollte und konnte. Erst die Regelungen im Ergebnis des Pönfalls brachten hier wieder einen Ausgleich der Verhältnisse als Adelige und Bürger gleichermaßen an den Gerichten beteiligt wurden. Schließlich äußert der Autor die These (494), dass durch das Verbot des Rechtszugs nach Magdeburg und das Gebot der Appellation nach Prag das mittelalterliche Genossenschaftswesen seine Bedeutung zugunsten neuer Formen der Organisation des Gemeinwesens verlor: genossenschaftlich dezentrale Strukturen sollten durch obrigkeitliche zentrale ersetzt werden. Zu erkennen sei dies auch an der Herausbildung einer gelehrt-neuzeitlichen Gerichtsverfassung, in der die Funktionsteilung von Richter und Schöffen zugunsten eines allein- oder miturteilenden Richters allmählich aufgegeben wurde und fremdes Recht (Gesetzesrecht) eindringen konnte.

Erst im "Gesamtergebnis" (496f.) kommt der Autor auch auf die Besonderheiten der Oberlausitzer Verfassung zu sprechen, die er mehrfach andeutet, aber erst hier deutlich benennt. Dass nämlich die landesherrliche Förderung der Weichbildverfassung die wirtschaftlich und politisch starken Städte in die Lage versetzte, auch auf weite Teile der Landrechtsgenossenschaften Einfluss auszuüben. Nicht zuletzt seit Gründung des Sechsstädtebundes 1346 konnte sich der Landesherr auf die Wahrung und Durchsetzung des Landfriedens durch seine Städte verlassen. Diese standen in der Ständeversammlung gleichberechtigt neben Adel und Geistlichkeit.

Für sich genommen sind die einzelnen Kapitel und Unterkapitel immer verständlich und nachvollziehbar, die Darstellung wird auf eine breite Literatur- und Quellenbasis gestellt, sodass für weitere Forschungen eine hervorragende Grundlage gelegt wird. Aufs Ganze betrachtet wirken die einzelnen Kapitel aber etwas schematisch, selten werden Bezüge der Kapitel bzw. Gerichte zueinander angesprochen und zumindest dem Rezensenten wurde nicht immer klar, worin denn nun die Unterschiede einzelner Gerichte, die auf den ersten Blick z.B. bei Kompetenzen oder Besetzung sehr ähnlich waren, bestanden. Es werden Schöffen, Richter, Orte, Zeiten und Verfahrenswege erläutert, aber nur sehr selten ganz konkrete Beispielfälle genannt, die dem Leser helfen würden, die Theorie in der Praxis angewandt zu sehen und zu verstehen. Für das Verständnis der hochkomplexen Gerichtsverfassung wäre es sicher auch hilfreich gewesen, einmal das Problem der Streitigkeiten zwischen Parteien, vor welchem Gericht ein Fall denn nun eigentlich verhandelt werden solle, an einigen Beispielen darzustellen. Die genannten Punkte schmälern aber nicht den Wert des Buches, das mit Sicherheit zu den Grundlagenwerken der Oberlausitzer Geschichte gezählt werden darf.

Christian Speer