Rezension über:

Michael Thimann: Friedrich Overbeck und die Bildkonzepte des 19. Jahrhunderts (= Studien zur christlichen Kunst; Bd. 8), Regensburg: Schnell & Steiner 2014, 488 S., 33 Farb-, 143 s/w-Abb., ISBN 978-3-7954-2728-3, EUR 86,00
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Rezension von:
Sabine Fastert
Fachgebiet Kunstgeschichte, Technische Universität, Berlin
Redaktionelle Betreuung:
Hubertus Kohle
Empfohlene Zitierweise:
Sabine Fastert: Rezension von: Michael Thimann: Friedrich Overbeck und die Bildkonzepte des 19. Jahrhunderts, Regensburg: Schnell & Steiner 2014, in: sehepunkte 15 (2015), Nr. 1 [15.01.2015], URL: https://www.sehepunkte.de
/2015/01/24834.html


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Michael Thimann: Friedrich Overbeck und die Bildkonzepte des 19. Jahrhunderts

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Spätestens seit der großen Ausstellung "Religion Macht Kunst" 2005 in der Frankfurter Schirn Kunsthalle sind die Nazarener wieder im öffentlichen Kunstbewusstsein angekommen. Max Hollein feierte sie dort als "Pioniere der Moderne, als erste Sezessionisten, als originäre Konzeptkünstler". [1] Man muss diese euphorische Einschätzung nicht vorbehaltlos teilen, doch kommt die Forschung zum 19. Jahrhundert in der Tat nicht mehr an dieser lange höchst umstrittenen Künstlergruppe vorbei. Es liegen bereits umfangreiche Arbeiten zu allgemeineren Fragestellungen sowie Spezialstudien zu einzelnen Künstlern vor. [2] Doch gerade bei einem der Protagonisten, Friedrich Overbeck, fehlte bislang eine grundlegende und umfassende kunsthistorische Aufarbeitung. [3] Diese empfindliche Lücke schließt nun Thimanns eindrucksvolles und im wahrsten Sinne des Wortes schwergewichtiges Buch.

Bereits sein Ausgangspunkt verspricht einen erfrischend neuen Blick auf Overbeck. Ausgehend von der jüngeren Diskussion des Klassischen und Romantischen in der deutschen Literatur- und Kunstgeschichte wird das zentrale Problem der Epochenzugehörigkeit des Künstlers eingehend und ausgesprochen ertragreich thematisiert. Im intellektuellen Feld um 1800 gelten Thimann Klassizismus und Romantik dabei nicht als glatt zu setzende Einschnitte, sondern als "zwei eng aufeinander bezogene Optionen künstlerischer Modernität" (10).

Einerseits wird gefragt, wie das zum größten Teil in Italien entstandene Werk überhaupt noch an den ästhetischen Diskurs der deutschen Romantik angebunden werden kann. Andererseits wird das religiöse Fundament Overbecks kritisch in den Blick genommen und nicht zuletzt die Konversion von 1813 in ihren religiösen bzw. ideengeschichtlichen Bedingungen hinterfragt. Zugleich argumentiert Thimann aber immer eng am Kunstwerk und versucht, das gesamte malerische und grafische Werk in die Analyse von Schlüsselwerken aller Schaffensphasen miteinzubeziehen.

Sein erklärtes Ziel ist eine Tiefenbohrung zum Problem des religiösen Bildes und der Grenzen der Repräsentation im 19. Jahrhundert am Beispiel von Overbecks Schaffen und dessen Auseinandersetzung mit der älteren Bildtheorie. Das Buch teilt sich dabei in zwölf längere Abschnitte auf, die problemorientiert angelegt sind. Ein einleitender Beitrag diskutiert den Schlüsselbegriff der nazarenischen Kunsttheorie, die "Wahrheit". Thimann konstatiert bei Overbeck einen Um- und Rückbau des akademischen Regelkanons zugunsten einer neoplatonisch inspirierten Ideenlehre. Bemerkenswert ist dabei in der Tat, dass ein "romantischer" Künstler sein Nachahmungsideal auf einer von der Vernunft kontrollierten electio-Theorie gründet und nicht allein dem subjektiven Gefühl folgen mag (36).

Darauf folgen fünf Kapitel, die sich mit Overbecks lebenslangem Ringen um die Bildgattungen (Porträt, Landschaft, Historie) beschäftigen und um den zentralen Begriff der Allegorie kreisen. Thimann analysiert zunächst das berühmte Bildnis "Vittoria Caldonis" überzeugend als Einfigurenhistorie (104), wendet sich dann Overbecks eigenem Gesicht zu (122), um abschließend mit den Antlitz Christi Anfang und Ende des Porträts zu untersuchen (128). Verstand sich Overbeck auch als Figuren- und Historienmaler, so hat er doch auch beachtliche Fähigkeiten bei der Gestaltung seiner Landschaften ausgebildet. Thimann weist allerdings mit Recht darauf hin, dass die Landschaft bei Overbeck weitgehend allegorisch aufgefasst wurde (151).

Das wichtige Kapitel zur Allegorie wendet sich den Inkunabeln der nazarenischen Kunst zu. Hier gelingen Thimann einige beachtliche Neudeutungen. Das berühmte Gemälde "Italia und Germania" wird überzeugend in den ikonografischen Zusammenhang mit gemalten Allegorien der Malerei seit der Renaissance gestellt (171). Das Aquarell "Verkündigung und Heimsuchung" wird als wichtiges Dokument nazarenischer Miniaturmalerei erkannt und der aufwändige Arabeskenrahmen umfassend interpretiert (190). Auch die Neulektüre des zentralen "Triumph der Religion in den Künsten" bietet mit der Betrachtung der geplanten Randverzierungen aufschlussreiche neue Aspekte zum Umgang Overbecks mit der Allegorie (198). Nach Thimanns erhellender Analyse ist der bekannte "Einzug Christi" gleichfalls in vielerlei Hinsicht vom Historienbild des Klassizismus geprägt. Zudem untersucht er eingehend die von Overbeck intendierte ikonografische und ästhetische Funktion als Pendant zu Franz Pforrs "Einzug des Rudolf von Habsburg in Basel" (224).

Die folgenden fünf Kapitel widmen sich den unterschiedlichen Funktionen religiöser Kunst (Wandbild, Andachtsbild, Altarbild) und werden von abschließenden Bemerkungen zum Kreuzweg abgerundet. Bei der Beschäftigung mit den Fresken der Casa Bartholdy fragt Thimann dezidiert nach der Rolle Overbecks bei Planung und Ausführung (263) sowie beim Giebelfresko in S. Maria degli Angeli nach dem theologischen Kontext und der Bedeutung von Overbecks Künstlertravestie als neuem Fra Angelico (295). Im Rahmen der Auseinandersetzung mit den Andachtsbildern werden anschließend vor allem die fortschreitende Entkörperlichung des Dargestellten und die hieroglyphenhafte Wirkung der auf diese Weise entstehenden Bildzeichen thematisiert (317).

Das große Altarbild "Himmelfahrt Mariens" für den Kölner Dom wird im Folgenden als Gegenstück zur Lübecker "Beweinung Christi" gelesen und in Beziehung gesetzt zur "Heimsuchung Mariens" für S. Maria della Stella bei Spoleto (325). Abschließende Überlegungen widmen sich dem Ausstattungsprogramm Overbecks für den päpstlichen Palast auf dem Quirinal (339) sowie dem späten Projekt des Kreuzwegs (365).

Mit diesem verdienstvollen Buch hat Thimann das lange erwartete Standardwerk zu Overbeck vorgelegt. Er rekonstruiert die spezifischen Probleme nazarenischer Bildtheorie und Bildtheologie bei Overbeck, die in einen größeren Kontext ästhetischer, religiöser und kunsthistorischer Debatten gestellt werden. Nun fehlt nur noch ein kritisches Werkverzeichnis, das allerdings angesichts des Umfangs und vor allem der Verbreitung der Arbeiten von Overbeck noch eine echte Herausforderung sein wird.


Anmerkungen:

[1] Max Hollein: Vorwort, in: Max Hollein / Christa Steinle (Hgg.): Religion Macht Kunst. Die Nazarener, Ausstellungskatalog Kunsthalle Schirn Frankfurt / M., Köln 2005, 9-13, 9.

[2] Cordula A. Grewe: Painting the Sacred in the Age of Romanticism, Farnham / Burlington 2009; Christian Scholl: Romantische Malerei als neue Sinnbildkunst. Studien zur Bedeutungsgebung bei Philipp Otto Runge, Caspar David Friedrich und den Nazarenern, München / Berlin 2007.

[3] Brigitte Heise: Johann Friedrich Overbeck. Das künstlerische Werk und seine literarischen und autobiographischen Quellen, Köln / Weimar / Wien 1999; Andreas Blühm / Gerhard Gerkens (Hgg.): Johann Friedrich Overbeck 1789-1869. Zur zweihundertsten Wiederkehr seines Geburtstages, Ausstellungskatalog Museum für Kunst und Kulturgeschichte Lübeck, Lübeck 1989.

Sabine Fastert